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Unterschiedliche Sichtweise. EU-Kommissionschef Juncker (links), Kanzlerin Merkel und Ratspräsident Tusk im Oktober 2015.

© Olivier Hoslet/dpa

Vor der nächsten Europawahl: Zwei Gäste - zwei Sichtweisen

Beim EU-Gipfel am 23. Februar wollen die Staats- und Regierungschefs über das Vorgehen bei der Juncker-Nachfolge beraten. Am Donnerstag beriet sich Kanzlerin Merkel schon einmal mit dem im kommenden Jahr scheidenden Kommissionschef und EU-Ratspräsident Tusk.

Mit dem einen Gast sprach Angela Merkel zur Mittagsstunde, der andere wurde zum Abendessen erwartet. Möglicherweise war es ganz sinnvoll, dass sich EU-Ratschef Donald Tusk und der Brüsseler Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag im Kanzleramt ein separates Stelldichein gaben. Denn Polens Ex-Regierungschef Tusk und sein früherer Luxemburger Amtskollege Juncker vertreten unterschiedliche Sichtweisen auf ein Thema, das beim nächsten informellen EU-Gipfel Ende des Monats zum Streit führen könnte: Nach welchem Verfahren wird im kommenden Jahr über die Nachfolge des dann scheidenden EU-Kommissionschefs Juncker entschieden?

Juncker und Tusk befinden sich in diesen Tagen auf einer europaweiten Tour, die der Vorbereitung des Gipfels am 23. Februar dient. Die Themenpalette beim Gipfel reicht vom nächsten EU-Haushaltsrahmen, den die Gemeinschaft ohne die Briten stemmen muss, bis zur geplanten Verkleinerung des Europaparlaments, die ebenfalls mit dem Brexit zusammenhängt. Aber die größte Brisanz hat die erwartete Diskussion über das Vorgehen bei der Juncker-Nachfolge.

Widerstand in Osteuropa und bei Macron

Der Ratschef Tusk fungiert als Beauftragter der EU-Mitgliedstaaten, und dort gibt es zum Teil erheblichen Widerstand gegen das bei der letzten Europawahl praktizierte Verfahren. In einer Erklärung der vier Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei wurde Kritik an dem so genannten Spitzenkandidaten-Prozedere laut, das die Kür des EU-Kommissionschefs unmittelbar an die Europawahl koppelt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gilt ebenfalls nicht als Freund des Spitzenkandidaten-Verfahrens, weil seiner Partei „La République en Marche“ die europaweite Verankerung fehlt.

Merkels Dinner-Gast Juncker hatte dagegen zu Beginn der Woche im Europaparlament das Spitzenkandidaten-Verfahren verteidigt. Der Luxemburger war bei der Europawahl 2014 Frontmann der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) gewesen, welche damals die Mehrheit der Stimmen errang und ihn damit auf den Brüsseler Chefposten beförderte.

Merkel gilt nicht als glühende Anhängerin des Verfahrens, will es aber auch nicht stoppen

Merkel gilt zwar nicht als glühende Anhängerin des Verfahrens, das mehr Bürgernähe bei der Kür des Kommissionschefs verspricht. Allerdings dürfte der Kanzlerin nicht entgangen sein, dass das Europaparlament unbedingt an dem Modus festhalten will. Und auch die europäischen Parteienfamilien wollen vor der Europawahl wieder wie beim letzten Mal Spitzenkandidaten aufstellen, die EU-weit antreten.

Barnier könnte zum Opfer des eigenen Erfolges werden

In Merkels eigener Parteienfamilie, der EVP, wird gelegentlich der Franzose Michel Barnier als möglicher Kandidat für die Juncker-Nachfolge genannt. Allerdings könnte der Brexit-Chefunterhändler, der bei den Austrittsverhandlungen vehement die Interessen der EU vertritt, zum Opfer des eigenen Erfolges werden. Denn Barnier dürfte beim Brexit voraussichtlich noch gefordert sein, wenn Europas Parteienfamilien im Frühjahr 2019 gegeneinander antreten.

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