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Thomas Kutschaty gegen Hendrik Wüst. In NRW geht es um mehr als nur das Amt des Ministerpräsidenten.

© Imago/Rene Traut

Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Wiederholt sich 1999?

Erlebt die Ampel, was Rot-Grün im Jahr nach dem Triumph 1998 wiederfuhr? Die CDU kam damals mächtig zurück in den Wahlen - der Grundstein für die Ära Merkel.

1998 war ein Wendejahr der deutschen Politik. Die CDU erlitt bei der Bundestagswahl eine schwere Schlappe und war als Regierungspartei nach 16 Jahren abgewählt. Kanzler Helmut Kohl wurde vom Wahlvolk in die Rente geschickt – er hatte es noch einmal wissen wollen und scheiterte. Sein Nachfolger hieß Gerhard Schröder, er führte den Wahlkampf der SPD von seiner Position als starker Ministerpräsident von Niedersachsen aus und machte die SPD erstmals seit 1972 wieder zur stärksten Partei im Bundestag.

Mit den Grünen um ihren Spitzenmann Joschka Fischer, bald schon Außenminister, bildete er eine progressive Koalition, die daran ging, Deutschland umzukrempeln. „Neue Mitte“ hieß der Slogan. Alles sah nach einem Aufbruch in eine neue Epoche aus. Es herrschte Glanz und Gloria in der neuen Koalition. Dann kam 1999.

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Auch 2021 war ein Wendejahr in der deutschen Politik. Nicht so radikal wie im Jahr 1998, aber immerhin. Es regiert wieder eine progressive Mitte-Links-Koalition – Slogan „Mehr Fortschritt wagen“. Grüne und FDP regieren nach langer oder längerer Auszeit wieder mit. Und die SPD ist nach 20 Jahren wieder stärkste Partei im Bundestag, wenn auch knapp - und vor allem auf deutlich niedrigerem Niveau als unter Schröder. Doch der Einbruch der Union im vorigen Jahr war das eigentlich dramatische Politikereignis des Jahres 2021. Und nun haben wir 2022.

Schnell wieder im Tritt

Und es könnte kommen, was 1999 geschah: Dass die zuvor krachend abgewählte Union schneller als (auch von ihr selbst) gedacht wieder Tritt findet. Vor 23 Jahren folgte dem Überschwang der ersten rot-grünen Regierungsmonate schnell die Ernüchterung. Am 7. Februar 1999 gewann die Union die Landtagswahl in Hessen. Der Wahlsieger Roland Koch, betont konservativ auftretend, bildete eine Koalition mit der FDP. Das Auslaufmodell Schwarz-Gelb war wieder zurück. Die Union hatte plötzlich einen neuen Star, der sich zwar als „Kohl-Enkel“ darstellte, aber frischer wirkte als der damalige Parteichef Wolfgang Schäuble.

Kurz darauf, im März, trat Oskar Lafontaine als Bundesfinanzminister zurück. Rot-Grün war angeschlagen. Im September folgte das Fiasko (aus Koalitionssicht) des Dreifachtriumphes der CDU im Saarland, in Sachsen und in Thüringen, der drei Alleinregierungen zur Folge hatte. In Brandenburg brach die zuvor klar dominierende SPD ein und musste eine Koalition mit der CDU bilden. Im Oktober konnte die CDU in Berlin zumindest leicht zulegen und die große Koalition unter Eberhard Diepgen fortsetzen.

Ein legendäres Bild: Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Oskar Lafontaine feiern die Unterzeichnung des rot-grünen Koalitionsvertrages 1998.
Ein legendäres Bild: Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Oskar Lafontaine feiern die Unterzeichnung des rot-grünen Koalitionsvertrages 1998.

© Martin Athenstädt/dpa

Es waren die Erfolge des Jahres 1999, mit denen die CDU die Basis legte für ihr Wiedererstarken und die Regierungsübernahme im Bund 2005. Passiert nun Ähnliches in diesem Jahr? Gerät die Ampel ins Straucheln? Kommt die Union massiv zurück? Im Saarland im März sah es keineswegs danach aus. Die CDU brach ein, die SPD legte massiv zu – kein Vergleich zu 1999. Am vergangenen Wochenende aber sah es umgekehrt aus: Triumph der CDU in Schleswig-Holstein, die Sozialdemokraten abgeschlagen. Für die CDU-Bundesführung um Friedrich Merz das erste echte Hoffnungssignal nach den langen Querelen.

Kann die SPD die CDU in NRW schlagen?

Und nun steht am Sonntag die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an. Danach folgt im Oktober Niedersachsen. Aber das Ergebnis in Düsseldorf vor allem wird zeigen, ob sich 2022 ein 1999-Moment einstellt. Die letzten Umfragen deuteten zwar nicht darauf hin – Rot-Grün kann demnach Schwarz-Gelb ablösen. Wenn es nicht  ganz reicht, könnte SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty auch eine Ampel-Koalition bilden. Es wär eine Rückenstärkung für die Koalition im Bund.

Aber in Schleswig-Holstein lagen die Demoskopen zuletzt nicht ganz so gut. Die CDU wurde deutlich unterschätzt. Wenn sich das in NRW wiederholt, kann es durchaus noch knapp werden. Ministerpräsident Hendrik Wüst ist zwar weniger beliebt und bestimmt die Landespolitik nicht so stark wie sein Kieler Kollege Daniel Günther. Aber der Wind aus dem Norden, auf den die CDU in den Tagen vor der Wahl nun setzt, kann ihm helfen. Und Friedrich Merz, immerhin ja NRW-Politiker.

Gestörter Start - oder Aufatmen?

Läge die CDU vorn, wäre eine Regierungsbildung gegen sie nicht möglich, käme es gar zur Bestätigung von Schwarz-Gelb, wäre der Ampel-Start im Bund gestört. SPD, Grüne und FDP hätten jeweils ganz eigene Gründe, sich um eine Neuaufstellung in der Berliner Politik zu kümmern. Die CDU aber könnte sagen: Schaut auf 1999. Wir waren unten. Aber wir kommen zurück. Wie damals. Die Wahl in Niedersachsen am 9. Oktober wäre dann noch deutlicher bundespolitisch geprägt.

Es ginge dann darum, vor allem aus Sicht der Sozialdemokraten (sie führen mit Ministerpräsident Stephan Weil die Landesregierung), ob das Wahljahr 2022 eines zugunsten der CDU wird oder ob man zumindest ein Unentschieden schafft. Aber umgekehrt gilt das auch: Bei einem Erfolg der SPD an Rhein und Ruhr (ob nun mit den Grünen allein oder in einer Ampel) müsste die CDU alles daran setzen, Niedersachsen zu übernehmen. Es wird spannend.

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