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Das Europaparlament in Straßburg.

© DPA

Vor der Entscheidung über Ursula von der Leyen: Das EU-Parlament – eine fast normale Abgeordnetenversammlung

Warum das EU-Parlament ein richtiges Parlament ist und was es in der vergangenen Legislaturperiode erreicht hat.

In der Diskussion über die Nachfolge des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker ist gelegentlich die Frage aufgetaucht, aus welchem Grund das Europaparlament für sich ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Entscheidung über die Spitze der EU-Kommission beansprucht. Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich. Der einfache Teil der Antwort besteht darin, dass das EU-Parlament neben den europäischen Mitgliedstaaten der entscheidende Ko-Gesetzgeber für europäische Richtlinien und Verordnungen ist und von daher auch darüber mitzubestimmen hat, wer Chef der EU-Regierung – also der EU-Kommission – wird.

Das Spitzenkandidaten-System ist vertraglich nicht festgelegt

Kompliziert wird die Antwort allerdings, wenn es um die genaue Wirkungsweise des Hebels geht, den die Europaparlamentarier bei der Entscheidung über den Kommissionschef oder die Kommissionschefin in der Hand halten. Denn der Spitzenkandidaten-Prozess, der ursprünglich die Juncker-Nachfolge mit einem Kandidaten-Rennen zwischen dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans und dem christsozialen Deutschen Manfred Weber rückkoppeln sollte, ist in den EU-Verträgen nicht verankert. Es handelt sich lediglich um eine Vereinbarung, die erstmals 2014 getroffen wurde und damals den Luxemburger Juncker an die Spitze der EU-Kommission beförderte. Diesmal griff die Vereinbarung, bei der es letztlich um eine Aufwertung der Europawahl geht, nicht. Als die Staats- und Regierungschefs der EU von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch machten, nominierten sie Ursula von der Leyen – die bekanntermaßen nicht Spitzenkandidatin gewesen war.

Auch wenn sich die EU-Abgeordneten angesichts ihres Zauderns bei der Auswahl zwischen Weber, Timmermans und der dänischen Liberalen Margrethe Vestager die Suppe selbst eingebrockt haben, so führen sie doch weiterhin ein Argument für das Festhalten am Spitzenkandidaten-Prinzip an: die Demokratisierung bei der Entscheidung über die Brüsseler Spitzenposten. Hier wenden Kritiker nun ein, dass das Europaparlament allein schon wegen seiner Zusammensetzung gegen Grundsätze der Demokratie verstoße. Aber wenn die Stimme eines Maltesers bei der Europawahl tatsächlich mehr wiegt als die Stimme eines Deutschen, dann hat das praktische Gründe: Niemand will ein Europaparlament mit über 1000 Abgeordneten.

Wichtige Entscheidungen für Verbraucher

Die 751 Parlamentarier in Straßburg, welche die 28 EU-Staaten in der vergangenen Legislaturperiode vertraten, brauchen sich mit ihrer Leistung jedenfalls nicht zu verstecken. Die Abgeordneten verabschiedeten zahlreiche EU-Gesetze, die für Verbraucher, Unternehmen und Internet-Nutzer unmittelbare Auswirkungen hatten. Zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen die Parlamentarier beispielsweise im April 2015, dass die EU-Länder den Verbrauch von leichten Plastiktüten verringern müssen. Entweder haben die EU-Länder dafür zu sorgen, dass bis Ende dieses Jahres der jährliche Verbrauch im Durchschnitt nicht mehr als 90 leichte Kunststofftragetaschen pro Person beträgt. Bis 2025 soll dann der Verbrauch noch einmal sinken - auf höchstens 40 Plastiktüten pro Person. Das Europaparlament ließ den Mitgliedstaaten zusätzlich noch die Option offen, den Supermärkten die kostenfreie Ausgabe der leichten Plastiktüten zu verbieten.

Eine einschneidende Reform, die so gut wie jeder Internet-Nutzer zu spüren bekam, folgte dann im April 2016. Damals nahm das Europaparlament die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) an. Die Verordnung, die im vergangenen Jahr in Kraft trat, gibt Usern die Möglichkeit, gegen den Missbrauch ihrer Daten vorzugehen. Unternehmen, die gegen die Verordnung verstoßen, müssen mit Geldbußen in Höhe von bis zu vier Prozent des weltweit erzielten Umsatzes rechnen.

Welchen Einfluss das Europaparlament gerade im Internet-Zeitalter hat, dürfte vielen Bürgern zuletzt im vergangenen März bewusst geworden sein, als die Parlamentarier der Reform des Urheberrechts zustimmten. Laut der Reform dürfen urheberrechtlich geschützte Werke auf Plattformen wie Youtube nicht erscheinen, wenn deren Betreiber keine Lizenz dafür besitzen. So kam es auch nicht von ungefähr, dass die Urheberrechts-Reform bei einem der TV-Duelle der Spitzenkandidaten zum Thema wurde. In der heißen Phase des Wahlkampfs kündigte Weber damals an, dass er sich als Kommissionspräsident für eine Revision der Urheberrechtsreform einsetzen wolle, wenn die geplanten Upload-Filter zur Zensur im Internet führen sollten. Wie sich die neue Richtlinie bewährt, wird Weber nun weiterhin als EU-Parlamentarier verfolgen.

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