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Erlauben oder verbieten? Am Freitag entscheidet der Bundestag über die Beihilfe zum Suizid.

© dpa

Vor der Abstimmung im Bundestag: Fraktionschefs werben für Verbot von Sterbehilfevereinen

Am Freitag will der Bundestag endgültig darüber entscheiden, ob organisierte Beihilfe zur Selbsttötung untersagt wird. Vor der Abstimmung sind die Fronten verhärtet.

„Am Freitag entscheidet sich, ob Deutschland ein säkularer Rechtsstaat bleibt oder ob wir die Renaissance des christlichen Gottesstaates erleben.“ Mit diesem geradezu apokalyptischen Drohszenario versucht der „Verein Sterbehilfe Deutschland“, im Streit um die Suizidbeihilfe auf den letzten Metern nochmal Land zu gewinnen.

Der Schaum vorm Mund ist verständlich, schließlich geht es der Truppe um den bekanntesten Sterbehelfer der Republik an die Existenz: Der Bundestag will endgültig darüber befinden, ob organisierte Beihilfe zur Selbsttötung, wie sie der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch seit Jahren offeriert und praktiziert, hierzulande verboten wird.

Momentan sieht es ganz danach aus. Zwar wirbt eine Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast darum, Sterbehilfevereine ohne Gewinnabsicht ausdrücklich zu erlauben und nur offensichtliche Geschäftemacherei unter Strafe zu stellen. Und eine weitere um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) verlangt statt eines Verbots die ausdrückliche Freigabe ärztlich assistierter Suizidbeihilfe.

Weit mehr als 200 Abgeordnete für ein Verbot

Doch die mit Abstand meisten Unterstützer hat nach aktuellem Stand der Gesetzentwurf von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD), der jegliche auf Wiederholung angelegte Selbsttötungs-Hilfe untersagen will. Rund 270 Abgeordnete aus allen Fraktionen haben diese Forderung bereits unterschrieben, darunter die Parteichefs Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD).

Am Dienstag machten sich auch die Fraktionsvorsitzenden von Union, SPD und Grünen dafür stark. „Wir sehen die große Gefahr, dass das geschäftsmäßige Angebot von Sterbehilfe insbesondere alte und kranke Menschen, die anderen nicht zur Last fallen wollen, unter Druck setzt, ihr Leben mit fremder Hilfe frühzeitig zu beenden“, heißt es in einem gemeinsam formulierten Brief von Volker Kauder (CDU), Thomas Oppermann (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne).

Fraktionsvorsitzende warnen vor "falschem Signal"

Der Etablierung sogenannter Sterbehelfer, die ihre Angebote per Anzeige offerierten, dürfe „nicht weiter der Weg bereitet werden“, mahnten sie. „Unsere Gesellschaft würde ein falsches Signal setzen, wenn wir solche Angebote weiterhin zulassen oder gar staatlich regulieren.“

Auch Kirchen, Bundesärztekammer und Hospizvereine unterstützen ein solches Verbot. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery stellte am Dienstag nochmals klar, dass er dadurch „keine Gefahr der Kriminalisierung der Ärzteschaft erkennen“ könne, wie von den Gegnern behauptet. „Dieses Argument dient ausschließlich der Verunsicherung der Abgeordneten und auch einiger Ärzte.“

Machen sich Palliativärzte und Onkologen künftig strafbar?

Der bisherige Freiraum für Palliativmediziner, Hospizvereine und Onkologen bleibe erhalten, versicherte auch Griese. Schließlich handle es bei der Suizidbeihilfe durch solche Experten „nicht um ein auf Wiederholung angelegtes Geschäft, sondern jedes Mal eine ethische Einzelfallentscheidung“. Hintze und Künast dagegen beharrten darauf, dass der Brand-Griese-Entwurf „Ärzte der ernsthaften Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetzen“ würde.

Die Befürworter einer liberaleren Regelung - derzeit etwa 180 - kritisierten den Appell der Fraktionschefs. Da die Anträge fraktionsübergreifend erarbeitet seien und die Abstimmung ausdrücklich ohne Fraktionszwang erfolgen soll, hätten sich die Vorsitzenden neutral zu verhalten. "Ich hätte sowas als Fraktionsvorsitzende nie getan", sagte Künast, die selber acht Jahre lang an der Spitze der Grünenfraktion stand. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann nannte die Einmischung einen "bemerkenswerten Vorgang". Oppermann dagegen verteidigte die gemeinsame Wortmeldung. „Wir wollten keinen Druck ausüben“, sagte er: „Wir werfen unser politisches Gewicht in die Waagschale, ich finde das völlig in Ordnung.“

Künast und Hintze drohen mit gemeinsamer Blockade

Zudem kündigten die beiden bislang konkurrierenden Verbotsgegner an, den Brand-Griese-Entwurf im Bundestag notfalls gemeinsam verhindern zu wollen. Wenn keiner ihrer Anträge in den ersten beiden Abstimmungsrunden eine Mehrheit erhalte, werde man die Abgeordneten im dritten Durchgang auffordern, auf alle Fälle gegen eine Strafrechtsverschärfung zu stimmen, kündigten Hintze und Künast an.

Wenn im dritten Anlauf kein Gesetzentwurf mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält, bleibt es bei der bisherigen Regelung, wonach Suizidbeihilfe straffrei ist. Das wäre dann auch im Sinne einer etwa 30-köpfigen Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Katja Keul, die - wie erst am Dienstag bekannt wurde - an der geltenden Rechtslage überhaupt nichts verändert haben will. Etwa ebenso viele um den CDU-Mann Patrick Sensburg verlangen aber auch ein Komplettverbot jeglicher Suizidbeihilfe.

Sterbehilfeverein hat Aktivitäten ausgeweitet

Unterdessen wurde bekannt, dass Kuschs Sterbehilfeverein seine Aktivitäten merklich ausgeweitet hat. Seit Jahresbeginn habe der Verein bereits 77 Menschen zum Suizid verholfen, berichtete das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. 2014 seien es lediglich 44 gewesen. Der Anstieg von Sterbebegleitungen um mehr als 50 Prozent habe sicher „etwas mit dem neuen Gesetz zu tun“, sagte Kusch. Offenbar hätten sich manche Mitglieder noch vor dem drohenden Vereinsverbot das Leben nehmen wollen.

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