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Warten auf eine Mahlzeit: Diese Kinder in einer Grundschule in der Nähe von Harare, der Hauptstadt Simbabwes, erhalten mit Hilfe von UNICEF zumindest ein Mal täglich etwas zu essen.

© dpa

Vor dem G20-Gipfel: Melinda Gates: Gemeinsam gegen die Armut

Ohne die Zusammenarbeit von Politik und privatem Sektor scheitern wir an den drängendsten humanitären Herausforderungen, warnt die US-Philanthropin in einem Gastbeitrag.

Auf meinen zahlreichen Reisen für unsere Stiftung treffe ich verschiedenste Menschen, die sich weltweit am Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit beteiligen. Mit ihrem Engagement haben sie Bemerkenswertes erreicht. Die Kindersterblichkeit konnte in den letzten 15 Jahren halbiert werden. Polio steht kurz vor der Ausrottung, weniger bekannte Krankheiten wie die Guineawurm-Infektion und die Flussblindheit dürften bald folgen. In vielen Teilen des südlichen Afrikas hat sich das Wirtschaftswachstum auch deswegen beschleunigt.

Dieser Fortschritt ist das Ergebnis enormer Anstrengungen in der ganzen Welt. Leider fürchten zu recht viele, die den Kampf gegen unnötige Armut unterstützen, dass kurzsichtige politische Entscheidungen in einigen der reichsten Ländern der Welt diese Fortschritte stoppen oder sogar umkehren könnten.

Kürzungen der reichen Länder kehren den Fortschritt um

Ich teile diese Sorge. In den vergangenen Monaten hat die Regierung meines Heimatlandes, der USA, Pläne für drastische finanzielle Kürzungen für Forschung und Entwicklungszusammenarbeit vorgelegt. Diese Kürzungen betreffen insbesondere Programme, die Frauen und Mädchen helfen sollen.

Als Bürger dürfen wir nicht gleichgültig zusehen, wie andere schuldlos in widrigen Lebensumständen gefangen sind. Wir müssen politische Initiativen und Investitionen fordern, die langfristige Perspektiven für alle schaffen – auch für die Schwächsten. Das ist heute wichtiger denn je, denn die jetzt aufwachsende Generation junger Menschen ist die größte, die die Welt je gesehen hat.

Diese jungen Menschen bergen großes Potenzial. Sie haben Tatendrang und große Ambitionen. Viele haben aber nach wie vor keine Chance, ihr Potenzial zu entfalten – und das nur aufgrund des Ortes, an dem sie geboren sind.

Wie die G20 erkannt haben, spielt Bildung eine wichtige Rolle für die Verbesserung der Beschäftigungsperspektiven junger Menschen. Trotzdem darf die Politik nicht die Augen vor weiteren wesentlichen Fakten verschließen: Krankheiten können die Entwicklungschancen junger Menschen erheblich einschränken und damit auch ihre Chancen, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Gesundheit ist eine Grundlage für gute Ausbildung und Berufstätigkeit.

Dazu gehört auch die Verhütung. Sie ist ein entscheidender, häufig unterschätzter Faktor bei der Überwindung von Armut und Krankheit. Junge Familien müssen in der Lage sein, nur so viele Kinder zu bekommen, wie sie möchten und es sich auch leisten können. Heute gibt es weltweit 225 Millionen Frauen, die Verhütungsmittel nutzen möchten, aber nicht erhalten können.

Aktivisten und engagierte Bürger leisten tagtäglich Aufklärungsarbeit, um veraltete kulturelle Gepflogenheiten zu bekämpfen, die Frauen das Recht auf eine selbstbestimmte Familienplanung verweigern. Gegen die chronischen medizinischen Versorgungsengpässe in ihren Regionen können sie aber nichts ausrichten. Wir in den reichen Ländern dieser Welt müssen unsere Regierungen und die Wirtschaft dazu auffordern, ihren Teil dazu beizutragen, dass Frauen in Entwicklungsländern besseren Zugang zu bezahlbaren Verhütungsmitteln erhalten.

Die Agenda 2030 gegen Armut muss umgesetzt werden

Die meisten der G20-Staatschefs – auch Bundeskanzlerin Angela Merkel – teilen die Überzeugung, dass wir uns an einem kritischen Punkt der globalen Entwicklung befinden. Sie kennen den Fahrplan in eine nachhaltigere Zukunft: Die Agenda 2030, die im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen für alle Mitgliedstaaten verabschiedetet wurde. Die Agenda geht die Ursachen der weltweiten Armut an. Sie ist ehrgeizig, aber erreichbar. Daher verdient sie ein erneutes klares Bekenntnis und den vollen Rückhalt der G20.

Es muss in Fortschritt investiert werden: nach Schätzungen sind bis zu 66 Milliarden US-Dollar jährlich notwendig, um ein soziales Sicherungsnetz zu schaffen und um extreme Armut zu beenden, und bis zu 7 Billionen US-Dollar jährlich für die Verbesserung von Infrastruktur. Noch hat die Weltgemeinschaft die nötigen Mittel nicht bereitgestellt. Durch traditionelle Formen der Entwicklungszusammenarbeit allein sind diese Summen kaum aufzubringen.

Die G20 sind ein einzigartiges Forum: ihre Mitglieder stehen für 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Wenn die G20 wie nach dem Finanz-Crash von 2008 entschlossen handeln, hat das positive Folgen für die Lebensperspektiven von Milliarden Menschen. Aus all diesen Gründen tut Deutschland gut daran, die eigene G20-Präsidentschaft zu nutzen, um eine neue Partnerschaft zwischen den wirtschaftlich stärksten Ländern dieser Welt und Afrika zu schmieden.

Ohne Privaten Sektor geht es nicht

Ohne die Einbindung des privaten Sektors werden wir dieses Ziel nicht umsetzen können. Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und treiben das Wirtschaftswachstum an. Natürlich gibt es Grenzen für das, was der Privatsektor für die Armen tun kann. Unternehmen fällt es auf Dauer schwer, mit Kunden umzugehen, die nicht zahlen können. Aber mit kreativen Ansätzen können Regierungen und die Zivilgesellschaft Unternehmen dazu bringen, Investitionen in weniger lukrativen Märkten zu tätigen.

Am Beispiel des afrikanischen Agrarsektors zeigt sich, wie wichtig diese Anstrengungen sind. Kleinbauern – häufig Frauen – machen rund drei Viertel der arbeitenden Bevölkerung im südlichen Afrika aus. Sie produzieren bis zu 80 Prozent der Nahrungsmittel, die in der Region verzehrt werden. Gleichzeitig gehören sie zu den Ärmsten der Armen. Sie brauchen Unterstützung von Regierungen und dem privaten Sektor, um über die reine Selbstversorgung hinaus wachsen zu können. Letztlich müssen sie Zugang zu den Teilen der Wertschöpfungskette erhalten, in denen die Gewinne erwirtschaftet werden.

Nur Wachstum vor Ort hilft den Armen

Es gibt genügend Beweise dafür, dass öffentlich-private Partnerschaften wie Gavi, die Impfstoff-Allianz, sowie Investitionen, die finanzielle Erträge bringen und positive gesellschaftliche Auswirkungen bezwecken, inklusives Wachstum schaffen können. Allerdings können nur Regierungen die notwendigen Rahmenbedingungen dafür bereitstellen. Entwicklungsländer müssen Investitionen tätigen, Handelshemmnisse abbauen und die Regierungsführung stärken. Das wird dazu beitragen, lokale Unternehmen zu fördern und sie in die globalen Wertschöpfungsketten zu integrieren. Das schafft Beschäftigung vor Ort.

Deutschland hält sich an seine Zusagen für globale Entwicklung

Der Beitrag des privaten Sektors ist unverzichtbar, aber kein Ersatz für staatlich geförderte Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb wünsche ich mir ein erneutes Bekenntnis der Staatschefs zu ihren Zusagen im Hinblick auf die globale Gesundheit und Entwicklung – zum Beispiel, indem sie ihr Versprechen erfüllen, mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Es ist großartig, dass sich auch Deutschland der kleinen Gruppe wohlhabender Nationen angeschlossen hat, die diesen Mindestwert erfüllen. Ich hoffe, dass Deutschland diese Messlatte weiter einhalten wird. Andere Staaten sollten diesem Beispiel folgen.

Letztlich müssen wir unsere Regierungen in die Pflicht nehmen, Verantwortung für die Welt zu übernehmen, die wir der nächsten Generation hinterlassen. Deshalb unterstützen wir mit der Bill & Melinda Gates Stiftung die Global Citizen Bewegung. Am 6. Juli – am Vorabend des G20-Gipfels – wird Global Citizen in Hamburg ein Festival mit Musikern, führenden Vertretern der Weltgemeinschaft und natürlich vielen Tausend Bürgern aus aller Welt organisieren. Wir werden die G20 dazu aufrufen, die Mittel bereitzustellen, um bis 2030 die extreme Armut abzuschaffen. Die Antwort der Staatschefs wird über deren und unser Erbe für kommende Generationen entscheiden.

Melinda Gates

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