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Volkskrankheit Kopfschmerzen. Vor allem junge Erwachsene leiden immer stärker darunter.

© Oliver Killig/picture alliance /dpa

Vor allem junge Menschen betroffen: Berlin ist Kopfschmerz-Hauptstadt

Kopfschmerzen werden immer stärker zur Volkskrankheit. Vor allem bei jungen Erwachsenen, wo das Leiden aus Sicht der Barmer Ersatzkasse inzwischen "alarmierende Ausmaße" angenommen hat.

Die Attacken kommen plötzlich und heftig, sie kommen immer wieder – und gegen das dumpfe Pochen, das Stechen und Hämmern hilft immer mehr Menschen nur noch der Griff zur Tablette. Kopfschmerzen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der Barmer Ersatzkasse, werden hierzulande zunehmend zur Volkskrankheit.

Insbesondere bei jungen Erwachsenen, so Kassenchef Christoph Straub, nehme dieses Leiden „inzwischen alarmierende Ausmaße“ an. Der Anteil der 18- bis 27-Jährigen mit Kopfschmerzdiagnose erhöhte sich in den vergangenen zehn Jahren um 42 Prozent. In der Gesamtbevölkerung betrug der Anstieg lediglich 12,4 Prozent.

Fast jeder Zehnte geht damit zum Arzt

Insgesamt wurde 7,6 Millionen Patienten im Jahr 2015 eine der rund 250 bekannten Formen von Kopfschmerz diagnostiziert. Betroffen waren 9,3 Prozent der Bevölkerung, also fast jeder Zehnte. Und wohlgemerkt: Es geht nicht um diejenigen, die mal einen Brummschädel haben und sich mit einem der vielen rezeptfreien Kopfschmerzmittel behelfen. Der Leidensdruck der Genannten ist so hoch, dass sie sich damit an einen Arzt wenden.

Vor allem trifft es Jüngere. Im Alter von 19 Jahren werden dem Report zufolge Kopfschmerzen am häufigsten diagnostiziert. Bei Frauen dieser Altersgruppe war mit 19,7 Prozent fast jede Fünfte betroffen, bei Männern waren es 13,8 Prozent. Von den 18- bis 27-Jährigen litten 2015 etwa 1,3 Millionen unter behandlungsbedürftigem Kopfschmerz – 400.000 mehr als im Jahr 2005. Und die Dunkelziffer dürfte für dieses Alter, wo man eher selten zum Arzt geht, noch beträchtlich höher sein.

Ursache: Überforderung in Ausbildung und Beruf?

Über die Ursachen der Kopfschmerz-Epidemie rätseln die Experten. Der Besorgnis erregende Anstieg könne „ein Beleg dafür sein, dass der Druck auf die jungen Menschen in den letzten Jahren enorm zugenommen hat“, sagt Straub. Ausbildung, Studium, Berufseinstieg: Auch die steigende Zahl junger Menschen mit Depressionen verweist darauf, dass sich viele den Anforderungen und den Ansprüchen an sich selber nicht gewachsen fühlen. Dazu kommen dürften Digitalisierung und Bildschirmarbeit, die enorm gestiegene Nutzung von Smartphones samt dazugehöriger Körperhaltung.

Belegbar ist: 4,5 Prozent der Bevölkerung, also 3,7 Millionen Menschen, leiden hierzulande unter echter Migräne. Bei jungen Erwachsenen stiegen die Verordnungszahlen entsprechender Medikamente um mehr als 50 Prozent. Spannungskopfschmerz betrifft als zweithäufigste abgrenzbare Kopfschmerzform 1,1 Prozent beziehungsweise 930 000 Patienten.

Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer: Von ihnen kamen 13,3 Prozent auf mindestens eine solche Diagnose. Bei den Männern betrug die Quote nur 6,3 Prozent. Und schon von den Kindern und Jugendlichen gaben 40 Prozent an, in Stresssituationen Kopfschmerzen zu bekommen. Mehr als die Hälfte der Befragten zwischen neun und 19 hat damit mindestens einmal im Monat Probleme, ein Viertel einmal die Woche, vier Prozent sogar täglich.

In Brandenburg werden am häufigsten Migränemittel verordnet

Die Kopfschmerzhauptstadt der Republik ist der Studie zufolge Berlin, hier ist der Anteil der Betroffenen bundesweit am größten. Am wenigsten unter ärztlich diagnostiziertem Kopfschmerz leiden die Sachsen. Dabei korrespondiert die Diagnosehäufigkeit keineswegs mit den Arzneiverschreibungen. Die Stadtstaaten Bremen und Hamburg etwa haben mit die wenigsten Migräne-Erkrankten, kommen aber auf Verordnungsquoten weit über dem Bundesdurchschnitt. Einsam an der Spitze bei den Verordnungen steht übrigens Brandenburg, gefolgt von Berlin.

Die Experten beunruhigt aber nicht nur die Steigerung bei den Kopfschmerzdiagnosen. Sie warnen auch vor übermäßigem Tablettenkonsum. Schon von den Neun- bis 19-Jährigen greifen der Studie zufolge 40 Prozent regelmäßig zu Medikamenten, wenn sie Kopfschmerzen haben. Dabei seien die verordneten Mittel – vorzugsweise aus der Substanzgruppe der Triptane – „Hilfe und Problem zugleich“, wie es Straub beschreibt. Wer immer wieder zu ihnen greift, lande mitunter in einem Teufelskreis aus Tablettenkonsum und Dauerkopfschmerz. „Die Betroffenen sitzen dann in einer Pillenfalle.“

Experten raten zu Sport und Entspannungstechniken statt Tabletten

Helfen könne vor allem Prävention, betont der Kassenchef: Sport, Entspannungstechniken, ein veränderter Lebensstil. Entsprechende Pilotprojekte der Barmer ("Aktion Mütze" für Schulkinder, Aktion "KopfHoch" an Universitäten) seien sehr erfolgversprechend. Allerdings dürfe man Kopfschmerzen auch nicht einfach als vorgeschoben abtun oder als Folge von Alkoholkonsum und übermäßiger Computerspielerei auf die leichte Schulter nehmen. Im schlimmsten Fall könne das Leiden in sozialen Rückzug münden und sogar die berufliche Existenz der Betroffenen gefährden.

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