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2018 war ein gutes Jahr - aus Sicht der Fluggesellschaften in der EU.

© dpa

Von wegen Flugscham: Europäer flogen 2018 so viel wie nie

Viele Menschen geben an, für den Umweltschutz weniger zu fliegen. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache.

Die „Flugscham“ greift um sich. Vor allem junge Menschen haben im vergangenen Jahr verkündet, es Greta Thunberg gleichtun und in Zukunft auf das Flugzeug verzichten zu wollen. Doch die Zahlen sprechen bislang eine andere Sprache: Noch nie ist die Menschheit so viel geflogen wie zuletzt. Laut der neuesten Daten von Eurostat nahmen im Jahr 2018 über 63 Millionen Menschen in der EU ein Flugzeug – ein deutlicher Zuwachs von sechs Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor und von 43 Prozent verglichen mit dem Jahr 2010. Knapp die Hälfte dieser Verbindungen, nämlich 46 Prozent, waren Flüge innerhalb der EU.

An den europäischen Flughäfen spürt man den Aufwärtstrend deutlich und meldet seit Jahren immer neue Passagierrekorde. 2018 fertigte Europas am stärksten ausgelasteter Flughafen, London Heathrow, 80 Millionen Menschen ab. Und Frankfurt am Main, der inzwischen zu Europas Hauptknotenpunkt für Frachtflüge geworden ist, verkündete kurz vor Silvester, die Marke von 70 Millionen Fluggästen geknackt zu haben – und überreichte einer Familie beim Check-in freudig einen Gutschein über 1000 Euro.

[Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander. Dieser Artikel wurde im Rahmen eines Projekts des European Data Journalism Network (EDJNet) geschrieben.]

Dabei ist es nicht in West-, sondern vor allem in Osteuropa, wo mehr geflogen wird. Litauen, die Slowakei, Polen und Lettland verzeichneten allesamt einen satten Zuwachs von über 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Weltweit zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Von 2017 auf 2018 nahm der Personenverkehr um 6,4 Prozent zu, gibt die zur UN gehörige Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) an. Insgesamt bestiegen 4,3 Milliarden Passagiere 2018 ein Flugzeug – wobei die tatsächliche Anzahl von Menschen freilich geringer sein dürfte, da viele Menschen mehrfach im Jahr fliegen. Sollte der Trend auch in Zukunft weiter anhalten, so die ICAO, würden im Jahr 2040 aus den 4,3 schon rund zehn Millionen Fluggäste werden.

Emissionen gehen durch die Decke

Passagierzahlen sind das eine, die von ihnen verursachten Emissionen sind das andere. Die globalen Emissionen des Flugverkehrs sind im Vergleich zu 1990 um ganze 214 Prozent in die Höhe geschossen. Und das trotz massiver technologischer Fortschritte, denn im selben Zeitraum gelang es, den Treibstoffbedarf von europäischen Flugzeugen um 44 Prozent zu verringern, wie der deutsche Luftfahrtverband betont.

Innerhalb der EU gehen zwar nur 3,9 Prozent der Treibhausgase auf den Flugsektor zurück. Aber in der Höhe, in der Flugzeuge fliegen, entwickeln Kohlenstoffdioxid, Stickoxide und Wasserdampf einen deutlich stärkeren Treibhausgaseffekt als am Boden. Das Umweltbundesamt geht von einer zwei- bis fünffachen Wirkung aus.

Und angesichts der steigenden Passagierzahlen werden die Flugemissionen weiter ansteigen. Bis 2040 könnten es 42 Prozent innerhalb der EU beziehungsweise der Freihandelszone EFTA sein, rechnet die Europäische Agentur für Flugsicherheit vor.

Um die Umweltschäden durch den wachsenden Flugverkehr in Schach zu halten, einigte sich die internationale Staatengemeinschaft 2016 auf das sogenannte CORSIA-Abkommen, das ab Ende des Jahres gelten soll. In Zukunft sollen Fluggesellschaften dann ihre zusätzlichen Emissionen durch CO2-Kompensationsmaßnahmen ausgleichen und zum Beispiel andernorts Wälder anpflanzen. Der Flugsektor soll ab 2021 also „klimaneutral“ wachsen.

Ob das reicht, um die EU-Klimaziele zu erreichen, ist noch unklar. Die EU wird 2021 entscheiden müssen, ob internationale Flüge auch in Zukunft vom Emissionszertifikatehandel (ETS) ausgeschlossen bleiben sollen, oder ob andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Bislang unterliegen nur innereuropäische dem ETS. Allerdings erhalten Fluggesellschaften derzeit 85 Prozent ihrer CO2-Zertifikate umsonst.

Im kommenden Jahr steht eine Reform des ETS an. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits vorgeschlagen, die kostenlosen Zertifikate für Fluggesellschaften deutlich kürzen zu wollen.

Beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft findet man das kontraproduktiv und setzt stattdessen auf regenerative Kraftstoffe für den Flugverkehr. Damit wäre CO2-neutrales Fliegen theoretisch schon jetzt möglich. Doch bis diese Kraftstoffe in ausreichender und günstiger Menge zur Verfügung stehen, dürfte es noch Jahre dauern.

Ob die „Flugscham“ sich durchsetzt und Menschen tatsächlich weniger fliegen, geht aus den aktuellen Daten noch nicht hervor. Denn sie beziehen sich auf 2018, als das Phänomen noch nicht so weit verbreitet war. Die Zeichen stehen allerdings zumindest leicht auf Veränderung: Schwedische Fluggesellschaften verzeichneten 2019 einen Rückgang bei Inlandsflügen von acht Prozent. Und einer Studie der Schweizer Bank UBS zufolge fliegen bereits über 20 Prozent der Menschen bewusst weniger. Wenn das stimmt, könnte sich der Boom in der Flugbranche zumindest halbieren.

Florence Schulz

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