zum Hauptinhalt
Eine Polizistin geht über den leeren Hackeschen Markt in Berlin.

© Jens Kalaene/dpa

Von Super-Lockdown bis Shutdown-Light: Welche Corona-Maßnahmen haben wirklich Infektionen verhindert?

Mit diversen Beschränkungen versuchen Regierungen weltweit die Pandemie zu bekämpfen. Aber welche wirken? Zwei Studien versuchen eine Antwort zu geben.

Regierungen auf der ganzen Welt haben einschneidende Maßnahmen verordnet, um weitere Infektionen mit dem Coronavirus zu verhindern. Es gibt kaum noch Lebensbereiche, die nicht von Schließungen oder Beschränkungen betroffen sind: Restaurants und Bars sind dicht, Schulen haben auf Fernunterricht umgestellt und selbst bestimmte private Treffen sind verboten.

Doch welche Maßnahmen haben nun wirklich Infektionen verhindert? Wissenschaftler der Universität Oxford haben eine große Untersuchung von Eingriffen in das öffentliche Leben in 41 Ländern durchgeführt, um das herauszufinden. Die Untersuchung betrachtet die Maßnahmen, die im Frühjahr gegen die Pandemie getroffen wurde.

Demnach waren ein Versammlungsverbot für mehr als zehn Personen und die Schließung von Schulen und Hochschulen von Januar bis Mai die wohl effektivsten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Die Schließung aller Geschäfte außer den lebensnotwendigen hatte demnach nur einen mäßigen Effekt; die Vorschrift, zu Hause zu bleiben, sogar nur einen geringen zusätzlichen Effekt.

[Die Toten der Pandemie: Mit einer Gedenkseite erinnert der Tagesspiegel an die Opfer und erzählt ihre Geschichten]

Die Studie einer internationalen Forschergruppe um Jan Brauner ist jetzt in der Fachzeitschrift „Science“ erschienen. Öffentlich zugänglich gemacht wurde die Studie schon im Sommer. Die Wissenschaftler verwendeten zum einen die Fallzahlen und die Anzahl der an Covid-19 Verstorbenen, die das Coronavirus Resource Center der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland, USA) täglich zusammenträgt.

Diese Zahlen setzten sie über ein Computermodell in Beziehung zu einzelnen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit, wie sie in 34 europäischen und sieben nicht-europäischen Ländern ergriffen worden sind. Die Effektivität maßen die Forscher über die Verringerung der Reproduktionszahl R, die ohne staatliche Eingriffe bei 3,3 lag.

Versammlungsverbot und Schließung von Schulen verhinderten Infektionen

Dass die einzelnen Maßnahmen in den verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten beschlossen wurden, half den Forschern, den Effekt der einzelnen Vorschriften zu berechnen. „Wenn alle Länder am selben Tag die gleichen nicht-pharmazeutischen Eingriffe vornehmen würden, wäre die individuelle Wirkung jedes nicht-pharmazeutischen Eingriffs nicht erkennbar“, schreiben die Studienautoren.

[Alle wichtigen Nachrichten des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu Kommentare, Reportagen und Freizeit-Tipps. Zur Anmeldung geht es hier.]

Weil Schulen und Hochschulen in fast allen Ländern zur selben Zeit geschlossen wurden, konnte der Effekt dieser Maßnahmen nicht einzeln berechnet werden, sondern nur als Zusatzeffekt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Als „sehr effektiv“ bezeichnen Brauner und Kollegen eine Maßnahme, wenn der errechnete Medianwert für die Verringerung der Reproduktionszahl bei über 35 Prozent liegt. Dies ist beim Versammlungsverbot für mehr als zehn Personen und der Schließung der Schulen und Hochschulen der Fall.

Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Ländern. Dies führt dazu, dass der Effekt beim Versammlungsverbot im Bereich von 17 bis 60 Prozent liegt, bei der Schul- und Hochschulschließung im Bereich von 16 bis 54 Prozent.

Moderat effektiv waren die Zwangsschließungen für alle außer den lebensnotwendigen Geschäften (27 Prozent). Der Effekt der Vorgabe, das Haus nur für wenige erlaubte Tätigkeiten zu verlassen, konnte nicht einzeln ermittelt werden. Als zusätzliche Maßnahme zu den anderen genannten lag ihr Effekt bei nur 13 Prozent.

Drosten kommentiert Studie

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité nennt bei Twitter eine wichtige Erkenntnis aus der Studie: „Starker Effekt von Schulschließungen“. Er verweist aber zugleich darauf, dass andere Studien keine Effekte von Schulschließungen finden. Die Autoren der Studie geben zu bedenken, dass die Unsicherheiten bei ihrer Modellierung nicht gering, aber überschaubar sind.

Menschen sitzen in Restaurants und Bars in Berlin-Friedrichshain. Treffen an diesen Orten gelten als Infektionstreiber.
Menschen sitzen in Restaurants und Bars in Berlin-Friedrichshain. Treffen an diesen Orten gelten als Infektionstreiber.

© Christophe Gateau/dpa

Mäßige Effekte ergaben sich darüber hinaus aus den Versammlungsverboten für mehr als 100 Personen (34 Prozent) und mehr als 1000 Personen (23 Prozent). Gleiches gilt für das Schließen von Einrichtungen, die hinsichtlich der Pandemie als risikoreich gelten, wie Fitnessstudios, Nachtclubs, Kinos und Restaurants (18 Prozent).

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zu Letzterem haben französische Forscher nun ebenfalls eine eindeutige Erkenntnis gewonnen: Der Aufenthalt in einem Restaurant oder einer Bar erhöht den Wissenschaftlern zufolge das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Auch ein geselliges Beisammensitzen mit Gästen zum Abendessen erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung, teilten die Forscher vom Pasteur-Institut in Paris am Donnerstag mit.

Bars und Restaurants bergen Infektionsrisiko

Die Studie bestätigt Annahmen, wonach das gemeinsame Essen ein höheres Risiko birgt als etwa die Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln oder das Einkaufen. Die Wissenschaftler hatten untersucht, welche Faktoren Infizierte von jenen unterschieden, die sich nicht mit dem Coronavirus angesteckt hatten.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Dazu verglichen sie die Aussagen der Probanden in Hinblick auf Berufe, Verkehrsmittel und besuchte Orte. Insgesamt befragten die Forscher rund 3400 Menschen, die sich mit dem Virus angesteckt hatten, und 1700 Menschen ohne Corona-Infektion.

Bars in ganz Deutschland mussten wegen der vielen Neuinfektionen mit dem gefährlichen Coronavirus schließen.
Bars in ganz Deutschland mussten wegen der vielen Neuinfektionen mit dem gefährlichen Coronavirus schließen.

© REUTERS/Hannibal Hanschke

„Wir haben ein erhöhtes Risiko im Zusammenhang mit dem Besuch von Bars und Restaurants erkannt“, sagte der Hauptautor Arnaud Fontanet, der als Mitglied des wissenschaftlichen Rates auch die französische Regierung berät. Auch Fitnessstudios hätten sich als Orte für häufige Ansteckungen herausgestellt.

„Private Treffen - Familien, Freunde - sind die Hauptquelle für Infektionen“, betonte Fontanet. Es mache dabei keinen Unterschied, ob die Menschen in einer öffentlichen Einrichtung, einem Restaurant oder daheim zusammenkommen.

Aerosole übertragen das neuartige Virus

Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt raten von Treffen in überfüllten Innenräumen ab. Zahlreiche Regierungen verhängten Maßnahmen wie die Schließung von Restaurants, Bars und Fitnessstudios. Wissenschaftler sind sich zunehmend einig, dass das neuartige Virus über feine Partikelwolken, sogenannte Aerosole, verbreitet wird - und dies vor allem in schlecht gelüfteten Räumen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen US-amerikanischer Forscher der Universität Stanford: Demnach infiziert sich ein Großteil der Menschen an sogenannten „Superspreader“-Orten wie Restaurants, Fitnessstudios und Cafés, wie Berechnungen mithilfe von anonymen Handydaten und epidemiologischen Schätzungen zeigen.

Das Forscherteam um den Informatiker Jure Leskovec hat dabei das Verhalten von rund 98 Millionen Menschen in zehn amerikanischen Metropolregionen untersucht, darunter New York, Los Angeles, und Chicago. Dabei konnten die Wissenschaftler auch Wiedereröffnungen von Veranstaltungsorten simulieren.

Die meisten Infektionen finden weiter im Privaten statt

Die Öffnung von Restaurants bei voller Auslastung hat dabei zu dem größten Anstieg von Corona-Infektionen geführt. Dahinter waren Fitnessstudios, Cafés und Hotels in dieser Simulation die größten Infektionstreiber. Hätte zum Beispiel Chicago am 1. Mai Restaurants wieder geöffnet, hätte es binnen eines Monats weitere 600.000 Infektionen gegeben, bei der Öffnung von Fitnessstudios 149.000 Infektionen.

An welchen Orten in Deutschland besonders viele Ausbrüche geschehen, hält das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem täglichen Lagebericht zu Covid-19 fest: Demnach haben die hohen Infektionszahlen ihren Ursprung vor allem im privaten Bereich, in „Alten- und Pflegeheimen, aber auch in beruflichen Settings, in Gemeinschaftseinrichtungen und ausgehend von religiösen Veranstaltungen.“

Für einen großen Anteil der Infektionsfälle können die Wissenschaftler das Infektionsumfeld jedoch weiterhin nicht ermitteln, wie es in dem Lagebericht des RKI heißt. (mit dpa, AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false