zum Hauptinhalt
So schön kann es draußen sein - aber mancherorts bitte mit Maske, sonst gibt es Ärger mit der Polizei (Szenenfoto aus Berlin).

© Christophe Gateau/dpa

Von Maskenpflicht bis Ausgangssperre: Regeln ohne Augenmaß verleiten zur Willkür

Die Polizei will die neuen Coronaregeln „mit Augenmaß“ durchsetzen. Das klingt nett - aber auch nach Willkür. Augenmaß ist anderswo nötiger. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

In Berlin ist ein Bußgeldbescheid eingetroffen. Absender: die Stadt Freiburg. Deren Polizeibeamte hatten in einer Einkaufsstraße eine Frau beobachtet, die keine Maske aufhatte, was aber Vorschrift war.

Die Frau aus Berlin, im Badischen zu Besuch gewesen, um nach ihren pflegebedürftigen Eltern zu sehen, sagt: Ich war gerade aus einem Geschäft nach draußen gekommen und habe die Maske abgesetzt, um mal kurz tief ein- und auszuatmen. Als ich die Polizisten gesehen habe, habe ich die Maske sofort wieder aufgesetzt. Aber es war zu spät.

Der Bußgeldbescheid lautet inklusive Gebühren und Auslagen über 128,50 Euro.

Musste das sein? Hätte die Freiburger Polizei nicht sagen können: Ok, wenn die Passantin halbwegs plausibel macht, dass sie nur verschnaufen wollte und ihre Maske ohne Murren und Knurren wieder aufsetzt, lassen wir sie mit ein paar strengen Blicken und Worten gehen?

"So nett!" statt "Die spinnen doch!"

Natürlich wäre das gegangen und unter erzieherischen Gesichtspunkten vermutlich sinnvoller gewesen, weil es eine positive („So nett!“) statt einer negativen („Die spinnen doch!“) Reaktion erzeugt hätte.

Das Verhältnis von Polizei und Bevölkerung wird durchaus belastet durch die vielen neuen Coronaregeln, die weit ins bisher für privat Gehaltene der Einzelnen hineingreifen. Und die Regeln werden immer weitreichender: Am Montag einigten sich die Regierungsfraktionen von Union und SPD auf eine inzidenzinduzierte Ausgangssperre ab 22 Uhr, womit der kritische Punkt möglicher Wohnungsinspektionen hinzukommt.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Gewerkschaft der Polizei hatte vorab bereits kundgetan, dass man die Einhaltung der Regeln „mit Augenmaß“ kontrollieren werde. Das war sicher zur Beruhigung gedacht – und doch geht das so nicht. Das Augenmaß wäre die persönliche Einschätzung der Einsatzkräfte vor Ort. Sind die Beamten mies drauf, folgt buchstabentreue Auslegung à la Freiburg oben, ist ihnen heiter zumute, lassen sie Gnade walten, oder wie? Das würde den Beamten zu viel Macht geben und wäre in letzter Konsequenz dann auch Willkür.

Was in angespannten Zeiten Not tut, sind nicht Ordnungskräfte, die als übertrieben geltenden Allgemeinverfügungen „mit Augenmaß“ zur Durchsetzung verhelfen (oder eben auch nicht), sondern es sind die Allgemeinverfügungen selbst, die des „Augenmaßes“ bedürfen. Sie sollten und müssten mindestens so konzipiert sein, dass bei ihrer Durchsetzung eben nicht alle Welt denkt: Die spinnen doch.

Erst Ansprache, dann Bußgeld

Beispielsweise könnte man dafür sorgen, dass bei Maskenlosigkeit in der Maskenpflichtzone zunächst eine Ansprache erfolgen muss und nur bei Renitenz eine Ordnungswidrigkeit draus wird. Erst recht muss es ausdrückliche Handlungsanweisungen für Wohnungsinspektionen geben. Auf das „Augenmaß“ der Einsatzkräfte zu bauen, hieße nicht nur, Unsicherheit – und womöglich damit einhergehend Vorbehalte – in der Bevölkerung zu schüren, es hieße auch: die Polizei überladen.

Dass die Pandemie in der Gesellschaft Stress ausgelöst hat, ist mehr als bekannt. Wie in der Bevölkerung wird es auch in den Reihen der Sicherheitskräfte jene geben, die alles nicht so dramatisch finden, und solche, denen allmählich himmelangst wird. Umso wichtiger ist, da, wo beide in Konfliktlagen aufeinander treffen, Regeln zu haben, die allseits verbindlichen Halt geben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false