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ier13 Impfungen bis zum zweiten Geburtstag: Jedes zweite Kleinkind hierzulande hat sie komplett.

© Keystone

Von Masern bis zu Keuchhusten: Nur drei Prozent der Kleinkinder ohne Impfschutz

Jedes zweite Kind hierzulande ist bis zum zweiten Geburtstag vollständig geimpft. Ganz ungeschützt seien nur drei Prozent, heißt es in einer Studie.

Fast die Hälfte aller Kleinkinder in Deutschland ist bis zum zweiten Geburtstag vollständig geimpft. Das ist dem aktuellen Kinderarzneimittel-Report der Techniker Krankenkasse (TK) zu entnehmen, der gestern in Berlin präsentiert wurde. Demnach haben 48,4 Prozent aller im Jahr 2018 geborenen Kinder in den ersten beiden Lebensjahren sämtliche Impfungen, die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen sind, komplett erhalten. Das sind insgesamt immer 13. Teilweise geimpft waren 48,3 Prozent, ihnen fehlte also mindestens eine Impfung oder empfohlene Auffrischung. Und nur 3,2 Prozent der Kleinkinder verfügten über gar keinen Impfschutz.

Interessant an diesen Zahlen ist vor allem zweierlei. Zum einen gab es durch die Pandemie keinen Negativeffekt bei den Impfquoten in dieser Altersgruppe. Im Gegenteil: Für die im ersten Halbjahr 2019 Geborenen (aktuellere Abrechnungsdaten liegen der TK bislang nicht vor) zeigt sich nochmals ein Trend nach oben. Die Durchimpfungsquote stieg auf 51,9 Prozent, die Quote der gänzlich Ungeimpften schrumpfte auf 2,8 Prozent. Die Debatten um die Gesundheitsgefährdung durch Corona könnten sich also auch auf die Entscheidung mancher Eltern für die Impfungen ihrer Kinder gegen andere Erkrankungen ausgewirkt haben.

Gleichzeitig bedeutet die geringe Zahl der gar nicht Geimpften, dass es unter den Eltern offensichtlich nur wenige Komplettverweigerer gibt und viele die notwendigen Auffrischimpfungen für ihre Kinder lediglich vergessen zu haben scheinen. Mit einem besseren Impfmanagement, so die Folgerung von TK-Vorstandschef Jens Baas, könnten womöglich noch deutlich mehr Kleinkinder einen kompletten Impfschutz erhalten.

Gute Bilanz vor allem beim Schutz vor Masern

Bei den empfohlenen Impfungen geht es um den Schutz gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, Rotaviren, Tetanus, Diphterie, Pertussis, Kinderlähmung, Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken C und Haemophilus influenzae Typ B (Hib). Spannend ist die Entwicklung vor allem bei den Masern. Von den 2016 geborenen Kindern hatten noch 7,3 Prozent bis zu ihrem zweiten Geburtstag keine der beiden für die Immunisierung nötigen Impfungen erhalten. Bei den 2018 Geborenen waren es nur noch 5,8 Prozent, bei den im ersten Halbjahr 2019 Geborenen 4,7 Prozent. Hier könne die seit März 2020 geltende Impfpflicht für Kindergarten- und Schulkinder beziehungsweise auch die öffentliche Diskussion darüber bereits eine Rolle gespielt haben, meint Baas. 

Jedenfalls ist mit der ermittelten Quote von mehr als 94 Prozent das Ziel einer Herdenimmunität, für die man 95 Prozent benötigt, fast erreicht. Und da die Masernimpfung in der Regel als Kombinationsimpfung verabreicht wird, haben sich die Quoten bei Mumps und Röteln ähnlich nach oben entwickelt. Allerdings gibt es bei den Durchimpfungsquoten auch Ausreißer nach unten. So haben, den TK-Zahlen zufolge, 32,6 Prozent der Kleinkinder bis zum zweiten Geburtstag noch keine Impfung gegen Rotaviren erhalten. Vollständig geimpft sind hier nur 63,2 Prozent. Ein Grund dafür könnte in dem Umstand liegen, dass diese Impfung erst seit 2013 empfohlen wird und sich noch nicht genügend etabliert habe, sagte der TK-Arzneimittelexperte Tim Steimle. Niedrig seien aber auch die Impfquoten bei Hepatitis B und Varizellen.

Auffällig sind zudem regionale Unterschiede. Auf die höchsten Quoten bereits vollständig geimpfter Kinder kommen der Studie zufolge Sachsen-Anhalt (61,2 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (59,1 Prozent), auf die niedrigsten Sachsen (30,7 Prozent) und Hessen (35 Prozent). Die Quoten komplett ungeimpfter Kleinkinder liegen zwischen 2,3 Prozent (Bremen) und 4,9 Prozent (Sachsen). Die Zahlen stehen also teils im Widerspruch zu der Annahme, in den östlichen Bundesländern gebe es generell eine höhere „Impfdisziplin“ bei Eltern. Zumindest in Sachsen ist dieser Effekt nicht mehr sichtbar.

Zahl der Arzneiverordnungen um 40 Prozent gesunken

Ansonsten sind in den Studienergebnissen deutliche Pandemiefolgen zu besichtigen. So sank die Zahl der Arzneiverordnungen für Kinder binnen eines Jahres um fast 40 Prozent. Wurden 2019 noch 434.061 Packungen pro 100.000 versicherte Kinder unter zwölf Jahren verordnet, waren es im Pandemiejahr 2020 nur noch 265.138. Geradezu exemplarisch zeigte sich der Pandemieeffekt bei Fieber- und Schmerzmitteln: Bekamen dafür 2019 noch 45,2 Prozent der Kinder mindestens eine Verordnung, waren es im ersten Pandemiejahr lediglich 29,1 Prozent. Gleichzeitig wurden auch deutlich weniger Antibiotika verordnet. Beim Wirkstoff Amoxicillin waren es gerade mal 3.806 Packungen pro 100.000 Kinder – ein Rückgang von 64 Prozent. Ein Grund dafür natürlich: der deutliche Rückgang von Infektionserkrankungen in den Wintermonaten durch Coronamasken und Hygienevorgaben.

Die Top zwölf der meistverordneten Wirkstoffe für Kinder sind der Studie zufolge die Schmerz- und Fiebermittel Ibuprofen und Paracetamol, die Erkältungsmittel Xylometazolin, Efeublätter und Ambroxol, das Knochenaufbaumittel Colecalciferol, das Allergiemittel Cetirizin, das Zahnprophylaxe-Mittel Olaflur sowie die Antibiotika Amoxicillin, Ofloxacin und Cefaclor. Dabei überstieg im Jahr 2020 die Zahl der selbst gekauften rezeptfreien Medikamente erstmals die der ärztlich verordneten Mittel. Dieser Trend, so heißt es im TK-Report, sei auch für 2021 erkennbar.

Auch freiverkäufliche Arznei birgt Gefahren

Baas warnte in diesem Zusammenhang vor allzu großer Unbedenklichkeit gegenüber freiverkäuflichen Medikamenten. „Auch nicht verschreibungspflichtige Schmerzmittel oder scheinbar harmlose Nasensprays können zu Nebenwirkungen führen, vor allem, wenn sie nicht richtig angewendet werden.“ Bei einer Überdosierung von Schmerzmitteln wie Paracetamol könne es „sehr schnell zu Leberschäden kommen“, sagte Antje Neubert, Leiterin der Zentrale für klinische Studien in der Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen und Mitautorin der Studie. Und bei übermäßiger Verabreichung von abschwellenden Nasentropfen drohe vor allem für Säuglinge die Gefahr von schweren, mitunter sogar lebensbedrohlichen Nebenwirkungen.

Aus Studien wisse man, „dass Medikationsfehler bei Kindern viel häufiger vorkommen als bei Erwachsenen, etwa in Form von Über- oder Unterdosierungen“, betonte die Professorin. Halbes Gewicht bedeute beispielsweise nicht automatisch halbe Dosis. Es sei sehr wichtig, dass Kinder auch frei verkäufliche Medikamente richtig dosiert und in einer für ihr Alter geeigneten Form erhielten.

Immer mehr Psychopharmaka für Schulkinder

Im Gegenzug zum Rückgang der verordneten Erkältungs- und Schmerzmittel stieg die Zahl der verschriebenen Psychopharmaka für Kinder und Jugendliche weiter. So erhielten von den Zwölf- bis 17-Jährigen im Jahr 2020 bereits 4,3 Prozent eine solches Rezept, bei den Sechs- bis Elfjährigen waren es 2,6 Prozent. Zum Vergleich: 2017 waren es bei den Älteren noch 3,5 und bei den Jüngern 2,3 Prozent. Und mit Abstand am häufigsten, nämlich bei 83 Prozent aller Psychopharmaka-Verordnungen für Schulkinder, kamen Mittel zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) zum Einsatz. Hier gibt es übrigens extreme Geschlechterunterschiede. Wurden 4,3 Prozent der Zwölf- bis 17-jährigen mit ADHS-Medikamenten behandelt, waren es bei den Mädchen nur 1,3 Prozent. Bei den Antidepressiva dagegen ist es andersherum: Während 1,6 Prozent der Mädchen eine solche Verordnung erhielten, lag die Quote für die Jungs bei 0,6 Prozent. 

Die hohen Verordnungsquoten für Psychopharmaka seien beunruhigend, sagte Baas. Aus den Daten sei allerdings keine Antwort auf die Frage abzuleiten, ob diese Mittel in Deutschland zu sorglos und zu oft verschrieben werden. Er könne nur darauf verweisen, dass die bloße Verschreibung von Medikamenten im Psychosektor selten die Lösung des Problems seien, so der Kassenchef. Wichtig sei es in vielen Fällen, die Medikation in umfassende Behandlungskonzepte einzubinden und auch Veränderungen in den jeweiligen Lebenswelten anzugehen.

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