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Ursula von der Leyen übernimmt am 1. November den Posten als EU-Kommissionschefin.

© REUTERS/Ciro De Luca

Von Juncker zu von der Leyen: Der Stil der europäischen Politik wird sich ändern

Ursula von der Leyen gelingt schon jetzt ein anderer Zugang zu den Visegrád-Staaten. Budapest und Warschau hoffen auf mehr Verständnis. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Das ist gewiss: Der Stil der europäischen Politik wird sich ändern. Natürlich ist es kein Epochenwechsel, der am 1. November in Brüssel eingeleitet werden wird. Dann folgt die Deutsche Ursula von der Leyen dem Luxemburger Jean-Claude Juncker im Amt des Präsidenten der EU-Kommission. Aber damit steigen auch die Chancen auf Überwindung der Gräben zwischen Nord- und Süd-, zwischen Ost- und Westeuropa.

Denn diese beiden Politiker sind in ihren Methoden der Machtausübung und der Beeinflussung von Entscheidungsprozessen so verschieden, wie zwei Menschen nur sein können. Das hat schon jetzt Folgen für das Geschehen in Brüssel und die Rückkoppelungen in die 27 Hauptstädte der Union.

Von der Leyen, obwohl nur vier Jahre jünger als ihr Vorgänger, verkörpert eine andere Generation. Juncker liebte den direkten Zugriff auf seine Gesprächspartner, verbal, nonverbal, physisch. Etwa wenn er den Ungarn Viktor Orbán fröhlich lächelnd als „Diktator“ begrüßte, dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras freundschaftlich-mahnend eine Ohrfeige – luxemburgisch: eine Batsch – verpasste oder US-Präsident Donald Trump charmierte. Von der Leyen hingegen gilt als Musterbeispiel an Selbstdisziplin, Fleiß, Zielstrebigkeit und Durchsetzungswillen.

Man sollte meinen, dass die Methode Juncker Europa vorangebracht hat, so gewieft und intrigenerfahren der 65-Jährige ist. Aber das Ergebnis des Kumpelhaften war eben auch oft Unkalkulierbares – etwa, als er seine Langmut angesichts französischer Verstöße gegen die Haushaltsregeln der Union mit dem Halbsatz begründete, „weil es Frankreich ist“. Und im viel tiefer gehenden Streit um die Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien in Ungarn und Polen etwa bewirkte sein dort als arrogant empfundener Stil das Gegenteil des Erhofften: In Budapest wurde er geradezu zur Persona non grata.

Ursula von der Leyen gelingt da bereits jetzt ein anderer Zugang. Nicht etwa nur, weil sie auch mit vielen Stimmen von Abgeordneten aus den Visegrád-Staaten gewählt wurde. Nein, in Budapest, Warschau, Prag und Bratislava erhofft man sich von ihr größeres Verständnis für die ganz speziellen Befindlichkeiten der Staaten des östlichen Mitteleuropa. Signalisiert hat sie das bereits. Und im Baltikum genießt sie einen ganz besonderen Bonus: Als Verteidigungsministerin hat sie nach der russischen Aggression gegenüber der Ukraine entschlossen die Beteiligung der Bundeswehr am Aufbau eines Nato-Verbandes in Litauen betrieben.

Brüssel muss die Legitimität der Regierungen im Osten respektieren

Natürlich muss die EU, muss vor allem die Kommission auf der Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien in allen Mitgliedsstaaten bestehen. Dazu gehören freie Wahlen, Gewaltenteilung, Presse- und Meinungsfreiheit und eine unabhängige Justiz. Da wird auch der künftige EU-Kommissar für Rechtsstaatlichkeit, Nachfolger oder Nachfolgerin von Frans Timmermans, nicht weniger entschlossen handeln als der niederländische Sozialdemokrat. Aber in Brüssel muss man respektieren, dass alle europäischen Regierungen, auch die im Osten der EU, mehrfach durch freie Wahlen legitimiert sind.

Diese Staaten wollen nun, nach Jahrzehnten der indirekten Fremdherrschaft durch die Sowjetunion, den Stolz auf die wiedergewonnene Souveränität und nationale Identität ausleben. Sie sperren sich, diesen Freiraum durch irgendeine Institution wie zum Beispiel die EU von außen wieder einschränken zu lassen. Da liegen auch die Ursachen der Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen. Hier gibt es keinerlei Erfahrung mit Migration und eine panische Angst vor allem, was fremd wirkt. Ändern kann das nur die Zeit. Wenn Deutschland meint, als moralische Instanz hier warnend den Finger heben zu können, ist der Widerstand heftig. Der NS-Terror ist in Europa unvergessen.

Im Vertrag von Lissabon, Artikel 3a, heißt es: „Die Union achtet die jeweilige nationale Identität“ ihrer Mitgliedsstaaten. Das ist ihre Basis. Man könnte es auch Einheit in Vielfalt nennen.

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