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Bei der nächsten Bundestagswahl (hier in der WDR-Seendung "Emanzipation im Krisenkontext - Europas Weg zu mehr Eigenständigkeit vom 20. Mai 2021) wird sich zeigen, wem die Wähler:innen etwas übelnehmen und wem nicht.

© WDR/Oliver Ziebe

Von großen Sünden und kleinen Lässlichkeiten: Wie viele Fehler sind bei Spitzenpolitikern erlaubt?

Baerbock, Giffey, Laschet und Scholz stehen wegen persönlicher Verfehlungen in der Kritik. Bewerten müssen das die Wählerinnen und Wähler. Eine Handreichung.

Baerbock, Giffey, Laschet und Scholz: Diese vier kandidieren für ein herausragend wichtiges politisches Amt. Und bei allen vieren debattiert die Öffentlichkeit persönliche Verfehlungen – solche, die belegt sind, und solche, die bislang als Vorwurf im Raum stehen.

Armin Laschet verbaselte als Uni-Dozent Klausuren, vergab aber dennoch Noten, und zwar auch an Studierende, die die Prüfung nicht geschrieben hatten. Scholz wird vorgeworfen, er habe als Hamburger Bürgermeister Einfluss geltend gemacht, damit das Finanzamt von einer millionenschweren Steuernachforderung an die Warburg-Bank, die Cum-Ex-Geschäfte betrieben hatte, absah. Baerbock hat den am gründlichsten überarbeiteten Lebenslauf der Republik und Giffey keinen Doktortitel mehr.

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Wie schwer wiegen die Sachverhalte? Sprechen sie gegen die Eignung für das Amt? Und warum werden die Themen so unterschiedlich debattiert und bewertet? Weil sie einiges gemeinsam haben, sich aber doch in vielem unterscheiden. Fünf Gradmesser der medialen Skandalisierbarkeit zeigen, wo die Gemeinsamkeiten liegen – und wo die Unterschiede.

Auf je eigene Art tölpelhaft

Der erste Gradmesser: Steht die Professionalität infrage, die Fähigkeit, den Laden im Griff zu haben, die es im angestrebten Amt braucht? Darum geht es weder bei Scholz noch bei Giffey. Laschet und Baerbock hingegen haben auf je eigene Art tölpelhaft agiert.

Bei Baerbock fällt dies besonders in Gewicht. Sie will als Neuling in der Exekutive gleich das ganze Land regieren, ist aber nicht in der Lage, ihren Lebenslauf geradezuziehen. Gegen diesen Eindruck wird sie nur noch schwer ankommen.

Bei Laschet ließe sich ein ähnliches Narrativ aufbauen, doch ihm kommt der zweite Gradmesser zupass: Wie aktuell sind die Vorwürfe? Das Klausurendebakel ist immerhin sechs Jahre her. Wer sich darüber aufregen wollte, hat sich in der Zwischenzeit wieder abgeregt. Nur Scholz, Baerbock und Giffey haben mit Gegenwärtigem zu kämpfen.

Hier noch mir Dr.: Franziska Giffey in der Bundespressekonferenz im November 2020.
Hier noch mir Dr.: Franziska Giffey in der Bundespressekonferenz im November 2020.

© Kay Nietfeld/dpa-Pool/dpa

Was zum dritten Gradmesser führt: Sprechen die Vorgänge gegen die charakterliche Eignung für das angestrebte Amt? Wer für seine Doktorarbeit in großem Umfang plagiiert, ist als Täuscherin überführt. Wer den Verlust von Klausuren zu vertuschen versucht, steht nicht zu eigenen Fehlern.

Wer sich angesichts möglicher millionenschwerer Steuergeschenke auf Erinnerungslücken beruft, hat womöglich vergessen, ob er dem Wahlvolk oder Bankeignern verpflichtet ist. Wer sich im eigenen Lebenslauf irreführenderweise mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen schmückt, will mehr scheinen, als sie ist. Wie relevant all dies ist, muss jede Wählerin und jeder Wähler für sich selbst entscheiden.

Hand hoch, wer den Cum-Ex-Skandal versteht

Dabei spielt sicher auch der vierte Gradmesser eine Rolle: Geht es um große Sünden oder kleine Lässlichkeiten? Da liegen Steuermillionen und systematischer Promotionsbetrug in einer anderen Größenordnung als Klausuren, die niemand absichtlich hat verschwinden lassen. Und auch Baerbocks Versuch, im bestmöglichen Licht dazustehen, erscheint im Vergleich fast schon undramatisch.

So bleibt der fünfte Gradmesser: Wie leicht ist medial zu vermitteln, worin der Vorwurf eigentlich besteht? Hand hoch, wer Cum-Ex-Skandal und mögliche Scholz-Verwicklung auf Anhieb erklären kann. Was am Abschreiben falsch ist, begreift hingegen jeder, der mal zur Schule ging. Und auch die Vorgänge um Laschet und Baerbock sind schnell verstanden.

Auch so erklärt sich, dass besonders die grüne Kanzlerkandidatin mit dem Rücken zur Wand steht. Die Sache ist genau jetzt aktuell, und es ist leicht zu vermitteln, worum es geht. Baerbocks Professionalität steht infrage, das ist ohnehin der Punkt, an dem sie angreifbar ist.

Interessant ist, dass Giffey nicht in gleichem Maße angefochten ist, sind doch bei ihr die Vorgänge viel schwerwiegender. Die Sympathien für Giffey sind übergroß, ihr wird mehr verziehen als anderen. Eine gehörige Portion Irrationalität gehört dazu. Und das macht es auch wieder menschlich.

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