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Ursula von der Leyen bei ihrer Bewerbungsrede am Dienstag in Straßburg.

© dpa

Von der Leyen vor dem EU-Parlament: Energische Rede, Konzessionen an alle

Es sollte die „Rede ihres Lebens“ werden, und von der Leyen blieb hinter den Erwartungen nicht zurück. Im EU-Parlament bekam sie auch von den Grünen Applaus.

Die Fallhöhe ist groß, als Ursula von der Leyen am Dienstag kurz nach 9 Uhr ans Rednerpult im Straßburger Europaparlament tritt. Die EU-Kommissionspräsidentin in spe müsse die „Rede ihres Lebens“ halten, um die Abgeordneten zu überzeugen, hat es zuvor geheißen. Und sie trug ihre Rede mit dem nötigen Nachtdruck vor, sehr energisch.

Für die CDU-Politikerin gilt es am Ende des Tages, mindestens 374 Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen. Um die Mehrheit im EU-Parlament sicherzustellen, versucht von der Leyen in ihrer 33-minütigen Bewerbungsrede zahlreichen Fraktionen etwas anzubieten: den Christdemokraten von der EVP, deren Unterstützung sie sicher hat, aber auch den Sozialdemokraten, den Liberalen von „Renew Europe“ und den Nationalkonservativen von der EKR-Fraktion. Rechtspopulisten und Linke wollen die 60-Jährige nicht mitwählen.

Zur Verweigerungs-Front gehören auch viele Grüne. Und dennoch kommt von der Leyen in ihrer Bewerbungsrede zunächst auf ein ur-grünes Thema zu sprechen – den Klimawandel. Im Straßburger Plenum brandet der erste größere Beifall für die Deutsche auf, als sie verkündet: „Ich will, dass Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent auf der Welt wird.“ Um dieses Ziel zu erreichen, soll nach ihrem Willen bis 2030 der Ausstoß der Treibhausgase im Vergleich zum Jahr 1990 um 50 Prozent, „wenn nicht 55 Prozent“, verringert werden. Auch die Grünen klatschten, zeigten sich aber im Anschluss an die Rede weiterhin skeptisch. So erklärte der Ko-Vorsitzende der Fraktion, der Belgier Philippe Lamberts, dass von der Leyen mit ihren Vorschlägen für eine CO2-Abgabe hinter den Erwartungen der Öko-Partei zurückgeblieben sei.

"Monsieur le Président"

Dass von der Leyen an diesem Morgen in Straßburg vor den Europaabgeordneten steht, um sich für die Nachfolge des Kommissionschefs Jean-Claude Juncker zu bewerben, hat vor allem etwas mit Emmanuel Macron zu tun. Der französische Präsident war es gewesen, der die Deutsche beim EU-Sondergipfel vor zwei Wochen überraschend für das Brüsseler Spitzenamt vorgeschlagen hatte. Und so klingt auch einiges, was die Deutsche in ihrer Rede anzubieten hat, sehr Französisch.

Nicht nur, dass sie zu Beginn ihrer Rede den EU-Parlamentspräsidenten David-Maria Sassoli als „Monsieur le Président“ begrüßt. Auch ihr Vorschlag, im kommenden Jahr eine zweijährige „Konferenz über die Zukunft Europas“ zu starten und dabei die Bürger einzubinden, klingt ganz so, als sei die Idee im Elysée-Palast entstanden. Bürgerdialoge sind ganz nach dem Geschmack Macrons, der auf diese Weise bei den unterschiedlichsten Themen – sei es bei der Weiterentwicklung der EU oder bei der Begegnung mit den „Gelbwesten“ – Konfliktthemen zu entschärfen versucht.

Vage Ankündigung zum Spitzenkandidaten-Prozess

Der aktuelle Streitpunkt, der auch von der Leyens Wahl an diesem Dienstagabend zur Zitterpartie werden lässt, ist die Causa der europäischen Spitzenkandidaten, die im Europawahlkampf als potenzielle Nachfolger Junckers angetreten waren. Der CSU-Vize Manfred Weber, der sich an diesem Morgen in größtmöglicher Selbstverleugnung für die Wahl von der Leyens ausspricht, gehörte zu diesen Spitzenkandidaten, aber auch der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans.

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Bei ihren Begegnungen mit mehreren Straßburger Fraktionen muss von der Leyen in der vergangenen Woche klar geworden sein, dass es viele Parlamentarier nach wie vor schmerzt, dass am Ende bei der Juncker-Nachfolge keiner dieser Spitzenkandidaten zum Zuge kommt.

Also kündigt sie am Dienstag im Zusammenhang mit der geplanten „Konferenz über die Zukunft Europas“ an, dass das Spitzenkandidaten-System bis zur nächsten Europawahl 2024 „sichtbarer“ gemacht werden solle. Zudem müssten transnationale Listen zu einem „zusätzlichen Instrument der europäischen Demokratie“ werden, fordert sie. Die Einführung solcher Listen verlangt auch Macron. So weit wie Weber, der jüngst eine Verankerung des Spitzenkandidaten-Prinzips in einem europäischen Rechtsakt gefordert hat, geht die Bewerberin aus Deutschland allerdings nicht.

Auch wenn insbesondere die französischen Abgeordneten in der liberalen Fraktion „Renew Europe“ stramm auf Macron-Kurs sind, so hat von der Leyen die Stimmen der gesamten Fraktion noch keineswegs in der Tasche. Daher richtet sich ihr Angebot, zusätzlich einen europäischen Rechtsstaatsmechanismus einzuführen, nicht zuletzt an die Adresse der Liberalen.

Viele Abgeordnete aus der „Renew Europe“-Fraktion haben den Verdacht, dass die Noch-Verteidigungsministerin im Amt an der Brüsseler Spitze im Clinch mit Polen und Ungarn die rechtsstaatlichen Grundsätze aufgeben könnte. „Rechtsstaatlichkeit ist universell, sie gilt für alle“, sagt von der Leyen klipp und klar.

Der neue Rechtsstaatsmechanismus, den auch schon der damalige Wahlkämpfer Weber vorgeschlagen hat, sieht nun Jahresberichte für sämtliche EU-Mitglieder vor. Damit sollen beispielsweise die Regierungen in Polen und Ungarn nicht mehr das Gefühl bekommen, als Einzige in der EU an den Pranger gestellt zu werden.

Balsam für die sozialdemokratische Seele

Vor allem gilt es für die Bewerberin aus Deutschland an diesem Vormittag, die Sozialdemokraten – nach der EVP die zweitgrößte Fraktion – zu überzeugen. Speziell die 16 SPD-Abgeordneten haben wegen der Spitzenkandidaten-Angelegenheit mächtig Stimmung gegen die Kandidatin gemacht, aber auch Sozialdemokraten aus anderen Ländern wie Frankreich, Österreich oder den Niederlanden finden nur mäßig Gefallen an der Bewerberin.

Die kündigt nun am Dienstag zahlreiche Dinge an, die wie Balsam für die sozialdemokratische Seele wirken müssen: einen Rahmen für einen europäischen Mindestlohn, einen stärkeren Einsatz gegen die Jugendarbeitslosigkeit im Süden der EU und vor allem eine europäische Rückversicherung für Arbeitslose.

Dieses Instrument, das auch schon Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gefordert hat, soll zwar nicht die nationalen Arbeitslosenversicherungen ersetzen. Aber es soll nach den Worten von der Leyens dann Zahlungen geben, wenn ein Land von „externen Schocks“ gebeutelt wird. Ein solcher „externer Schock“ könnte beispielsweise eintreten, wenn Irland nach dem Brexit in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sollte.

Und da ist noch ein Trumpf, den von der Leyen geschickt ausspielt – die Tatsache, dass sie im Fall ihrer Wahl als erste Frau im 13. Stock des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes einziehen würde, wo derzeit Juncker amtiert. „Wir machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Wir möchten unseren fairen Anteil“, erklärt sie.

Und mit Blick auf die nächste EU-Kommission kündigt sie für den Fall ihrer Wahl an, dass Frauen dabei die Hälfte der Posten besetzen würden. Wenn die Mitgliedstaaten nicht genügend Kommissarinnen vorschlagen, werde sie nicht zögern, „neue Namen zu verlangen“, kündigt sie an.

Am Ende ihrer Rede, die sie auf Französisch, Englisch und Deutsch hält, gibt es dann noch von der CDU-Politikerin einen flammenden Appell, dass gerade die jüngere Generation nun vorzeigbare Ergebnisse von der EU erwarte. „Dazu bin ich angetreten“, erklärt sie. Und dann folgt dreisprachig das Bekenntnis: „Es lebe Europe.“, „Vive l’Europe“, „Long live Europe“.

Energisch ist dann auch ihre Erwiderung auf den AfD-Abgeordneten Jörg Meuthen, der der Ministerin im Namen der rechtspopulistischen Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) vorwirft, „unsere Truppe kaputtgespart“ zu haben. Von der Leyen reagiert mit den Worten: „Ich bin geradezu erleichtert, dass ich von Ihnen keine Stimme bekomme.“.

Den britischen Abgeordneten Nigel Farage von der Brexit Party, der an diesem Vormittag der Deutschen „Kommunismus“ vorwirft, geht sie mit den Worten an: „Auf Reden wie Ihre können wir in Zukunft gut verzichten.“ Sie sagt diesen Satz allerdings auf Deutsch, nicht auf Englisch. An ihren Spontan-Erwiderungen in der jeweiligen Landessprache muss von der Leyen vielleicht noch etwas arbeiten.

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