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Nicht unumstritten. Ursula von der Leyen muss um jede Stimme kämpfen, um Präsidentin der EU-Kommission zu werden. Foto: Jean-François Badias/AP/dpa

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Von der Leyen auf Werbetour in Brüssel: Die wichtigste Woche ihres Lebens

In genau sieben Tagen wird das EU-Parlament über von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin abstimmen. Nun wirbt sie um unentschlossene Abgeordnete.

Es bleibt ihr gerade einmal eine Woche. In dieser Zeit muss Ursula von der Leyen, die von den Staats- und Regierungschefs für den Posten an der Spitze der EU-Kommission vorgeschlagen ist, es schaffen, sich eine Mehrheit im Europaparlament erarbeiten. Seit Sonntag ist die noch amtierende deutsche Verteidigungsministerin in Brüssel in dieser wichtigsten Mission ihrer Karriere im Einsatz. Sie hat bereits ein kahles Büro in der EU-Kommission bezogen, wie ein von ihr getwittertes Bild zeigt.

Nach einem EU-Beschluss haben Kandidaten für den Kommissionsvorsitz sowie die gewählten, aber noch nicht ihr Amt angetretenen Kommissionschefs einen Vertrag mit der Kommission als „spezieller Ratgeber“. Leyen, die ihr Ministeramt in Deutschland noch nicht aufgegeben hat, erhält kein Honorar für diese Tätigkeit.

Sie hat aber Anspruch darauf, dass ihr die Auslagen für Reisen und sonstige Spesen im Zusammenhang mit der Kandidatur erstattet werden. Außerdem hat sie Zugang zum Fuhrpark der Kommission. Als Anwärter auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker stehen ihr acht Mitarbeiter zu. Aus Berlin hat sie ihren Pressesprecher sowie ihren Büroleiter mitgenommen.

Schnell muss sie sich einen Überblick über die wichtigsten EU-Themen verschaffen

Ihre Termine in Brüssel sind in der ersten Woche extrem eng getaktet. Daneben arbeitet sie daran, inhaltlich fit zu werden. Sie muss sich einlesen, binnen kürzester Zeit das ungewohnte EU-Fachvokabular draufbekommen und sich zumindest einen ersten Überblick über alle EU-relevanten Themen verschaffen. Wie zu hören ist, haben sich viele Politiker aus anderen EU-Ländern gemeldet, die ihre Bewerbung unterstützen wollen. Außerdem ist da die Arbeit an ihrem Regierungsprogramm, das sie vor der geheimen Wahl im Plenum vorstellen wird. Es soll bis zum Wochenende stehen.

Oberste Relevanz haben alle Treffen, die dazu dienen, die Beziehungen zu den Fraktionen im Europaparlament zu verbessern. Wenn am Dienstag nächster Woche im Europaparlament abgestimmt wird, muss Leyen im ersten und einzigen Anlauf die Stimmen von 376 der 751 EU-Parlamentarier bekommen. Ansonsten ist sie gescheitert. Der Rat müsste dann binnen vier Wochen einen anderen Kandidaten vorschlagen. Dass sie durchkommt, ist alles andere als sicher.

Die drei europäischen Parteienfamilien, die im Rat den Vorschlag für Leyen unterstützt haben, also die christdemokratische EVP, die Sozialdemokraten und die Liberalen, kommen im Europaparlament zwar zusammen auf 444 Abgeordnete. Aber bei vielen der 153 Sozialdemokraten hat die Deutsche einen schweren Stand. Wie schwer gerade bei den deutschen SPD-Abgeordneten, das machte Bernd Lange, Vizefraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, in seinem Tweet zum Wochenanfang noch einmal deutlich: „Nächste Woche dann von der Leyen eine Absage erteilen. Manchmal hilft nur ein klares ,No‘.“

In der SPD in Berlin muss man sehen, wie man von dem hohen Baum wieder herunterkommt. Denn in letzter Konsequenz die Koalition wegen Leyens Nominierung platzen lassen will niemand, zumindest ist das der Tenor der Parteiführung. Die Sprachregelung ist, dass der Vorgang auf die Minusseite bei der Halbzeitbilanz kommt – beim Parteitag im Dezember soll über die Zukunft der großen Koalition entschieden werden.

Ein Nein der deutschen SPD-Abgeordneten kann Leyen verschmerzen

Allerdings sind die deutschen Genossen im Europaparlament nur noch mit 16 Abgeordneten vertreten. Ihre spanische Fraktionschefin Iratxe Garcia hat sich noch nicht festgelegt: „Wir werden die Person nicht beurteilen, bevor wir ihr nicht zugehört haben.“

Leyen wird am Mittwoch erst in einer Runde die Chefs der Fraktionen im Europaparlament treffen und danach in die Fraktion der Sozialdemokraten gehen. Ihre Hoffnung ist, dass möglichst viele Sozialdemokraten für sie stimmen, um den Teil des Personalpakets nicht zu gefährden, der sie selbst betrifft: Der Spanier Josep Borrell soll EU-Außenbeauftragter werden. Sollte Leyen im Parlament durchfallen, ist auch Borrell aus dem Rennen.

Die Grünen, die im Parlament 74 Stimmen haben, sind zwar in den Deal im Rat nicht eingebunden. Doch von der Leyen bemüht sich auch bei ihnen um jede Stimme. Montagnachmittag traf sie die beiden Fraktionschefs, die Deutsche Ska Keller und den Belgier Philip Lambert. Beide verlangten, dass von der Leyen sich einer Live-Anhörung in der Fraktionssitzung stellt. Damit hat die sprachgewandte und TV-routinierte Politikerin keine Probleme.

Schwieriger zu erfüllen ist da der zweite Wunsch. Er liegt nämlich nicht in von der Leyens Kompetenz. Sie fordern, dass der Rat sowohl das Prinzip der Spitzenkandidatur sowie transnationale Listen für die nächste Europawahl garantiert. Diese Entscheidung muss aber der Rat einstimmig treffen. Die Grünen wissen auch: Das ist bis Dienstag, wenn in Straßburg über von der Leyen abgestimmt werden soll, nicht zu schaffen. Sie setzen also darauf, dass die Abstimmung auf die Zeit nach der Sommerpause verschoben wird.

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