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Die türkischen Grünen-Chefs Koray Dogan Urbarli und Emine Özkan kämpfen vor Gericht um die Anerkennung ihrer Partei durch die Behörden.

© Promo/Grüne Partei, Türkei

Von Baerbock inspiriert, von Erdogan blockiert: Den türkischen Grünen wird die Anerkennung als Partei verweigert

Seit fast einem Jahr warten die Grünen in der Türkei darauf, offizielle Partei zu werden. Klar ist: Mit Jungwählern könnten sie Präsident Erdogan ärgern.

Waldbrände, Überschwemmungen und Algenteppiche auf dem Meer führen auch den Türken in diesem Sommer die drastischen Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung direkt vor Augen, ohne dass die Politik überzeugende Antworten hätte.

„Die Türkei braucht eine grüne Partei“, sagt deshalb Koray Dogan Urbarli – der 36-jährige Soziologe ist Ko-Vorsitzender der türkischen Grünen und sieht die Zeit gekommen. Und eines Tages würden die türkischen Grünen da sein, wo die deutschen Grünen schon heute stehen, meint er: vor einer Regierungsbeteiligung. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan aber verweigert ihnen die Anerkennung als Partei.

Die deutschen Grünen sind ihr Vorbild

Zusammen mit der 28-jährigen Psychologin Emine Özkan führt Urbarli deshalb eine inoffizielle Partei. Eine Doppelspitze wie Annalena Baerbock und Robert Habeck?

Die deutschen Grünen seien für die türkische Partei „eine große Inspiration“, sagte Özkan dem Tagesspiegel in Istanbul – man steht in Kontakt mit den Parteifreunden in Deutschland und im Europa-Parlament. „Wir träumen davon, eines Tages an die Regierung zu kommen“, sagt Özkan. Um den langen Marsch zur Macht antreten zu können, muss Özkans Partei zunächst den Kampf gegen die Regierungsbürokratie gewinnen.

Ein Schleim aus Schadstoffen und Algen gefährdet das Leben im und am Marmara-Meer, das schon 2,5 Grad wärmer als normal ist.
Ein Schleim aus Schadstoffen und Algen gefährdet das Leben im und am Marmara-Meer, das schon 2,5 Grad wärmer als normal ist.

© Reuters/Ümit Bektaş

Normalerweise ist die Registrierung einer neuen Partei in der Türkei reine Formsache: Das Innenministerium prüft die Echtheit der eingereichten Unterlagen und gibt meist innerhalb weniger Wochen den Weg für die neue Partei frei. Die Grünen warten seit fast einem Jahr auf eine Antwort des Ministeriums – in dieser Zeit haben die Behörden die Gründung von 15 andere Parteien abgesegnet, wie der Journalist Sedat Ergin in der Zeitung „Hürriyet“ schrieb.

„Wenn ich im Innenministerium anrufe, lassen sich die zuständigen Beamten immer verleugnen“, sagt Urbarli. Seit Monaten geht das so, jetzt haben die Grünen vor Gericht geklagt. Doch das Verfahren zieht sich hin.

In der türkischen Provinz Kastamonu wird eine Kuh aus Überschwemmungen und Schlammlawinen gerettet - kurz nach der Entspannung in türkischen Waldbrandgebieten.
In der türkischen Provinz Kastamonu wird eine Kuh aus Überschwemmungen und Schlammlawinen gerettet - kurz nach der Entspannung in türkischen Waldbrandgebieten.

© Uncredited/IHA/AP/dpa

Indem die Regierung ihnen die Anerkennung verweigert, gesteht sie indirekt ein, dass das Thema Umwelt in der türkischen Politik bisher weitgehend unbeackert ist. Besonders Jungwähler tendieren nach Urbarlis Beobachtung zu seiner Öko-Partei – Erdogan will offenbar verhindern, dass die politischen Konkurrenten dieses Potenzial anzapfen.

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Die Zustimmung zu Erdogans Partei AKP und deren rechtsradikalen Partnerin MHP sinkt beständig. Eine Parteigründung mit einem neuen Wählerreservoir könnte für den Präsidenten bei der nächsten Wahl in zwei Jahren verhängnisvoll werden. Urbarli schätzt das grüne Wählerpotenzial in der Türkei auf 15 Prozent oder noch darüber. Die Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament wäre damit kein Problem.

Auch in der Türkei kam es in diesem Jahr zu Starkregen und Überschwemmungen: Rettungskräfte an einem Haus in Bozkurt.
Auch in der Türkei kam es in diesem Jahr zu Starkregen und Überschwemmungen: Rettungskräfte an einem Haus in Bozkurt.

© AP/dpa

Erdogans Regierung setzt in ihrer Wirtschaftspolitik auf die Industrie und milliardenschwere Infrastruktur-Projekte. Sie wischt ökologische Bedenken gegen Vorhaben wie den geplanten „Kanal Istanbul“ zwischen dem Marmara-Meer und dem Schwarzen Meer einfach vom Tisch. Als einziges Mitglied in der Gruppe der 20 größten Volkswirtschaften der Welt hat die Türkei den Pariser Klimavertrag nicht ratifiziert. Das Land verlasse sich weiterhin zu sehr auf fossile Energiequellen und habe keine „grüne“ Strategie, kritisiert die von Deutschland mitfinanzierte Internetseite „Climate Action Tracker“ (CAT): Ohne Gegenmaßnahmen könnten die CO2-Emissionen in der Türkei nach Berechnungen von CAT bis zum Jahr 2030 um bis zu 70 Prozent steigen.

Brände und Überschwemmungen bringen Klimaschutz von allein auf die Agenda

Spätestens seit den verheerenden Waldbränden an den Süd- und Westküsten und den fast gleichzeitigen Überschwemmungen am Schwarzen Meer in den vergangenen Wochen macht sich bei vielen Türken das Gefühl breit, dass es so nicht weitergehen kann. Derzeit gebe es 29 Kohlekraftwerke im Land - und 40 weitere seien geplant, sagte die Klima-Expertin Ecmel Erlat von der Ägäis-Universität in Izmir dem Fernsehsender Yol TV.

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„Unser Haus brennt“ - mit diesem Satz der Klimaaktivistin Greta Thunberg überschreiben die türkischen Grünen ihr Parteiprogramm. Sie fordern ein Ende des „Ökozids“ im Land, den Stopp von Projekten wie dem „Kanal Istanbul“, einen Ausbau von Sonnen- und Windenergie und die Einführung einer CO2-Steuer.

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Urbarli ist sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch politische Mitbewerber das Umweltthema entdecken. Auch in Deutschland hätten erst nur die Grünen das Ende der Atomkraft verlangt, inzwischen ist das politisch weitgehend Konsens. Die Umweltkrise in der Türkei mache es „unausweichlich“, sagt Urbarli, dass sich auch in Ankara grüne Programmatik durchsetze.

Vielleicht hat das Umdenken schon begonnen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf der Regierung jetzt vor, Warnungen der Wissenschaftler vor Folgen des Klimawandels zu ignorieren. Und Erdogan betont, seine Regierung sei für lebenswerte Städte und gegen planlose Betonisierung der Landschaft zum Wohle von Geschäftemachern. Bisher hat er den Bauboom der letzten Jahre immer stolz als Erfolg präsentiert.

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