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Kinder im syrischen Binnish neben einem Wandgemälde, das aus Solidarität mit der Ukraine an die Wand eines zerstörten Hauses gemalt wurde. Russlands Bombardements haben in Syrien viele Ortschaften zerstört.

© Anas Alkharboutli/dpa

Von Aleppo nach Kiew: Das ist der Putin, den wir kennen

Als Syrer erinnert mich der Überfall auf die Ukraine an die russische Kriegsführung in Syrien: Bombardements, Massenflucht, Zerstörung. Ein persönlicher Blick.

Hareth Almukdad, Jahrgang 1986, hat in Syrien Journalismus studiert und dort drei Jahre lang für das Regierungsfernsehen gearbeitet. Seit 2016 lebt er in Deutschland. Er arbeitet im sozialen Projekt Mittelhof e.V. schreibt für das Magazin KulturTür und für den Tagesspiegel.

Als Putin seinen Krieg gegen die Ukraine begann, war ich nicht überrascht, denn dies ist der Putin, den wir als Syrer kennen, und wir können seinen nächsten Schritt vorhersehen, weil er in jedem Krieg, den er führt, dasselbe Szenario wiederholt. Neu sind nur die Ausreden für den Krieg.

Auf der einen Seite unterstützt er Bashar al-Assad, weil er sich nach eigenen Angaben weigert, legitime Regierungen gewaltsam zu stürzen, und einen Regierungswechsel an der Wahlurne fordert. Auf der anderen Seite versucht er, die gewählte Regierung des unabhängigen und souveränen Staates Ukraine durch eine militärische Invasion zu stürzen. 

Ebenso lehnt Putin es einerseits ab, den Kurden Autonomie in Syrien zu gewähren, unter dem Motto, die Einheit und Unabhängigkeit des Landes zu bewahren, während er andererseits gleichzeitig die Separatisten in der Ukraine anerkennt und sie sogar als unabhängige Staaten betrachtet.

Ich bin enttäuscht, weil die Welt Putin nicht ernst genommen hat

Als Syrer war ich nicht von seinem Angriff auf die Ukraine überrascht, aber ich war enttäuscht, weil die Welt Putin nicht ernst nimmt, und ich frage mich, was Putin der Welt seit seiner Machtübernahme in Russland präsentiert hat, außer Kriege und Feindseligkeit gegenüber freien Völkern und Unterstützung für Diktaturen auf der ganzen Welt.

Assads Armee belagerte mit der uneingeschränkten Unterstützung von Putin und iranischen Milizen Dutzende von Dörfern und Städte in Syrien, und ihr Slogan lautete „Hunger oder Unterwerfung“.

Die Nachrichten von Bombenangriffen auf die Ukraine waren für mich nicht nur Nachrichten von Kriegsschauplätzen. Ich hörte die Schreie von Kindern, die ich in den Straßen von Daraa fliehen sah, von weinenden Müttern in Homs, von schutzsuchenden älteren Menschen in Aleppo, in der Nähe von Damaskus, und überall in Syrien.

Ich kann die Unfähigkeit der Eltern in der Ukraine spüren, ihre Kinder vor Luftangriffen zu schützen. Ich kann das Gefühl eines ukrainischen Bürgers verstehen, der vor seinem von der russischen Armee zerstörten Haus steht und nicht weiß, was ihm morgen bevorsteht.

Bombardements, Massenexodus, "Verbrannte Erde" - das war das Muster in Syrien

Die russische Armee beginnt ihren Krieg immer mit schwerem Bombardement, das auf die gesamte Infrastruktur abzielt, angefangen bei Regierungshauptquartieren, Polizeistationen und Feuerwachen bis hin zu Krankenhäusern und Schulen.  Das Hauptziel der Bombenangriffe ist es, die Zivilbevölkerung durch einen Massenexodus zu schockieren, der beim Militär einen Zustand der Angst auslöst und Chaos in den Straßen der Städte verbreitet. 

Zivilisten werden aus Irpin in der Ukraine evakuiert. Die russische Kriegsführung erinnert an die Taktik in Syrien.
Zivilisten werden aus Irpin in der Ukraine evakuiert. Die russische Kriegsführung erinnert an die Taktik in Syrien.

© Vadim Ghirda/dpa

Wenn es in dieser Phase nicht gelingt, die Städte zu kontrollieren, wird die russische Armee mit der Umsetzung des Plans der „verbrannten Erde“ beginnen, der auf alle Gebäude abzielt, einschließlich der Wohnungen der Zivilbevölkerung, unabhängig von der Anzahl und dem Alter der Opfer. Genau das geschah in der Nähe von Damaskus und auch in Aleppo. Diese Bombardierungen werden von Verhandlungsaufrufen begleitet. Das Ziel dieser Verhandlungen ist es, Zeit zu gewinnen, der Armee die Möglichkeit zu geben, mehr militärische Operationen durchzuführen, die ihre Position in den Verhandlungen stärken, und sich gleichzeitig nach außen als Suchender nach Lösungen zu präsentieren.

Wenn die russische Armee anfängt, über die Öffnung sicherer Korridore für Zivilisten zu sprechen, die die belagerten Städte verlassen möchten, sollten Sie wissen, dass dies nur Gerede ist, bevor die Armee beginnt, Städte mit allen zur Verfügung stehenden Waffen zu bombardieren. Denn Putin wird seine Medienkanäle nutzen, um alles genau zu beschreiben: diejenigen, die sich weigern, die Stadt zu verlassen, sind auf einmal Terroristen, Nationalisten oder Neonazis, wie wir jeden Tag in den Reden von Putin und seinem Außenminister Sergej Lawrow hören. Damit werden sie den späteren Tod ihrer Opfer jeden Alters rechtfertigen.

Und weil es der Welt nicht gelungen ist, die Syrer vor Massenmord und Vertreibung zu retten, hoffe ich von ganzem Herzen, dass die Welt aufwacht, damit sich die syrische Tragödie nicht wiederholt.  Ich hoffe auf ein friedliches Ende des Leidens eines Volkes, dessen einziger Fehler ist, dass es an den Grenzen eines Landes liegt, das von einem kriegsdurstigen Diktator regiert wird.

Hareth Almukdad

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