zum Hauptinhalt
Diese Frau demonstriert in Cottbus gegen eine AfD-Kundgebung – aber könnte ihre Parole nicht auch eine Aufforderung zur Debatte sein?

© Patrick Pleul/dpa

Vom Wagnis des Wangehinhaltens: Sollten die Kirchen mit der AfD reden?

Jesus hat sich keinem Gespräch verweigert – das gilt heute mit Blick auf die AfD. Aber zur Meinungsfreiheit gehört auch zu sagen: Es reicht. Ein Pro und Contra.

Von

Christen sollten auch mit denen reden, deren Prägungen sie nicht teilen und deren Werte sie ablehnen. Jesus hat sich nie einem Gespräch verweigert. Er hat Filterblasen platzen lassen und Echokammern gesprengt. Statt nur mit Gleichgesinnten zu kommunizieren, ist er auf die zugegangen, die gesellschaftlich geächtet waren. Jesus vertraute in die Kraft seiner Worte. Er sprach „den Verfluchten, den Gottlosen gerecht“, wie Bischof Kurt Scharf es einmal ausdrückte.

Als Bischof Scharf im Jahr 1974 die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof im Gefängnis von Moabit besuchte, wutschnaubten die konservativen Medien. Sie warfen ihm „missverstandene Nächstenliebe“ vor, eine „Gewährung des Geistes, der aus dem Terror kommt“, eine Erniedrigung seiner Kirche zum „Tanzpalast der Linksputschisten“. Ähnlich erging es zwei Jahre zuvor Heinrich Böll, der sich im „Spiegel“ für eine faire Behandlung von Ulrike Meinhof eingesetzt hatte. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum meinte dazu rückblickend: „Alle, die versucht haben, Brücken zu bauen – wie der Bischof Scharf in Berlin oder Heinrich Böll – wurden verunglimpft.“ Auch der Staat mit seinem Radikalenerlass habe damals die Fassung verloren. „Die Terroristen wollten uns den Krieg erklären, und wir haben die Kriegserklärung angenommen.“

Bischof Scharf rechtfertigte seinen Besuch mit der Zöllner-Geschichte aus dem Neuen Testament. Die Geschichte steht im Lukas-Evangelium. Der Zöllner heißt Zachäus, der von den Römern eingesetzt worden war, Abgaben von der jüdischen Bevölkerung einzutreiben. Als Kollaborateur mit der Besatzungsmacht ist Zachäus verhasst und isoliert. Mit unlauteren Methoden vergeht er sich am Volk Gottes.

Als Jesus nach Jericho kommt, klettert dieser Zachäus auf einen Baum, um den Einzug in die Stadt besser sehen zu können. Überraschend spricht Jesus ihn an und lädt sich in dessen Haus ein. Bei Lukas heißt es: „Und alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.“ Jesus erwiderte, dass auch dieser Mann ein Sohn Abrahams sei, und er schließt mit den Worten: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“

Gauland so verhasst wie ein Zöllner

Es dürfte unstrittig sein, dass sich ein direkter Vergleich zwischen dem Terror der RAF und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der AfD verbietet. Doch Zachäus dürfte bei den Bewohnern von Jericho ungefähr so verhasst gewesen sein, wie es Alexander Gauland auf einem Kirchentag wäre.

Wenn Christen anfangen, andere Menschen, die sich als Christen verstehen, auszugrenzen, gefährden sie das völkerverbindende Element ihres Glaubens. Darf es künftig kein ökumenisches Gespräch mehr geben mit Katholiken in Ungarn und Polen, wenn sie Orban und die PiS unterstützen? Darf es Kontakte geben zu amerikanischen Rechtsevangelikalen, die für Trump votieren? Einer der berühmtesten Verse des Altertums lautet: „Ich bin ein Mensch. Nichts Menschliches ist mir fremd.“ Wenn sich das Herz von Christen zusammenzieht, statt öffnet, triumphieren am Ende diejenigen, die immer schon auf Spaltung gesetzt hatten. Malte Lehming

Contra: Es gibt keinen Debattenzwang

Teilnehmer einer Demonstration protestieren 2015 in Erfurt mit einem Plakat gegen eine Kundgebung der AfD.
Teilnehmer einer Demonstration protestieren 2015 in Erfurt mit einem Plakat gegen eine Kundgebung der AfD.

© Martin Schutt / dpa

Mit Menschenfeinden zu reden, mit Extremisten, Verschwörungstheoretikern und sonstigen Vertretern unvertretbarer Ansichten gehört zum Beruf von Journalisten. Das macht man nicht gerne, ist aber für die Recherche zu den Zuständen in der Gesellschaft unerlässlich. Doch es gibt Grenzen.

Die oben Genannten bekommen im Tagesspiegel keine Plattform für ihre Parolen. Große Interviews mit Personen, die den Boden der Verfassung verlassen, die verbal oder auch handfest die Menschenwürde antasten, sind tabu. Die Zeitung ist kein Ort für einen Diskurs um jeden Preis. Zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit gehört auch die Ansage: Es reicht.

Einen Debattenzwang gibt es in der Bundesrepublik nicht. Schon deshalb steht auch der evangelischen Kirche das Recht zu, die AfD nicht als Diskurspartner zu akzeptieren. Und beim Kirchentag keinen Rechtspopulisten auf die Bühne zu holen. Genauso wenig muss die AfD zu einer Parteiveranstaltung einen Bischof oder wenigstens einen Pfarrer einladen. So viel zum Selbstverständlichen. Und nun zum unappetitlichen Detail.

Alexander Gauland hat am 2. Juni 2018 beim Bundeskongress der AfD-Nachwuchstruppe „Junge Alternative“ gesagt, „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte“. Der Parteichef hat mit nur einer Vokabel das mörderischste Regime der deutschen Geschichte, samt Angriffskrieg und Schoah, als tierisches Exkrement verharmlost. Als etwas, das man vom Gartenstuhl wischt. Die Leidtragenden des braunen Terrors, darunter sechs Millionen ermordete Juden, sind für Gauland, folgt man der Diktion, lediglich Vogelschissopfer. Sozusagen Pechvögel.

Gauland ist immer noch Vorsitzender der AfD. Auch die sogenannten Gemäßigten in der Partei, die gerne, aber meistens nur halblaut, den Radikalinski Björn Höcke verfluchen, haben Gaulands Menschenverachtung, die Höckes Niveau locker toppt, hingenommen. Warum sollte die evangelische Kirche mit dieser AfD einen Dialog führen?

Der Verfassungsschutz dürfte sich freuen

Es kommt hinzu, dass zumindest Teile der AfD die evangelische Kirche von heute mit den Kirchenleuten gleichsetzen, die in der Nazizeit kollaboriert haben. „Vom Bündnis mit den Thronen des Kaiserreiches über den Nationalsozialismus und die DDR-Diktatur bis zum linksgrünen Doktrinarismus der Landes- und Bundesregierungen unserer Tage – immer wieder hat sich die offizielle evangelische Kirche (keineswegs alle ihre Gläubigen) mit der Macht verbrüdert“, steht in einem Papier zum angeblichen „Pakt der evangelischen Kirche mit dem Zeitgeist und den Mächtigen“, das die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag im Juni veröffentlicht hat.

Der Satz ist infam. Er passt zu Gaulands Vogelschiss. En passant wird da die Bundesrepublik mit Kaiserreich, NS-Diktatur und DDR auf eine Stufe gestellt – und delegitimiert. Der Verfassungsschutz dürfte sich freuen: neues Material für die Prüfung extremistischer Tendenzen in der AfD.

Wenn überhaupt, sollte die Kirche mit der AfD-Basis sprechen. Mit Menschen, die noch zu erreichen sind, die Nächstenliebe nicht nur als völkisches Privileg für Deutsche interpretieren. Das dürfte schon schwer genug sein. Frank Jansen

Zur Startseite