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Bei der AfD-Kundgebung am Samstag in Berlin beleidigten die Demonstranten nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© AFP

Vom Umgang mit Andersdenkenden: Wenn Wutbürger zu Fanatikern werden

Ein kleiner, aber lautstarker Teil des deutschen Mittelstandes probt im Verbund mit einigen Extremisten allwöchentlich den Aufstand. Doch die Grenze ist dort, wo Worte zur Tat, zu Gewalttaten werden. Ein Kommentar.

Erinnern Sie sich noch? Es war einmal, da begehrten die Bürger einer Stadt gegen einen neuen Bahnhof auf, und man nannte sie irgendwann: „Wutbürger“.

Ursprünglich hatte das Wort der „Spiegel“-Journalist Dirk Kurbjuweit geprägt. Mit Blick auf die Auseinandersetzungen um „Stuttgart 21“ sowie einige empörte Zuhörer bei Lesungen des Buchautors Thilo Sarrazin glaubte er, den Wechsel vom „Angstbürger“ zum W-Bürger zu beobachten. Das war vor fünf Jahren. Und wirkt heute von den Anlässen her fast märchenhaft fern.

Aber das Wort war hellsichtig. Inzwischen probt ein zwar kleiner, aber lautstarker Teil des deutschen Mittelstandes im Verbund mit einigen Extremisten allwöchentlich den Aufstand. Gegen die Politik. Gegen Flüchtlinge und Ausländer überhaupt. Gegen Zeitungen und Sender. Gegen Andersdenkende.

Politiker sollten gegenüber Andersdenkenden mindestens in der Form den Respekt wahren

So lange dies im Rahmen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit geschieht, ist es ganz legitim. Wenn daraus jedoch Gewalttaten folgen, wenn Flüchtlingsheime brennen, Politiker und Journalisten Morddrohungen erhalten oder gar niedergeschlagen und niedergestochen werden, ist dies kriminell. Verbrecherisch, bis hin zum Terrorismus.

Eigentlich selbstverständlich. Doch auch beim eben noch Selbstverständlichen beginnen in den letzten Wochen und Monaten die Begriffe mindestens unscharf zu werden. Beispielsweise ist es nicht dasselbe, wenn Leute auf der Straße Politiker als „Pack“ beschimpfen und Politiker, ein Minister, das nämliche Wort an die namenlosen Protestler zurückgibt. Es besteht ein enormes Machtgefälle. Politiker, die auf die Straße oder in eine TV-Talkshow gehen, sollten gegenüber Andersdenkenden, und seien deren Äußerungen noch so fragwürdig, mindestens in der Form den Respekt wahren.

Mit Recht gegen den Galgen

Respekt, die Achtung des Anderen, daran fehlt es natürlich zuallererst bei denen, die gegen andere Stimmung machen. Wo Hass und Hetze den Fanatismus schüren, auch in Symbolen wie mitgebrachten Galgen oder viel schlimmer in den oft anonymen Foren des Internets, muss die Herrschaft des Rechts beginnen. Und hier gibt es tatsächlich ein gebotenes Machtgefälle. Denn das Gewaltmonopol hat der Staat, das ist die Grundlage der wehrhaften Demokratie.

Dass dieses – zum Schutz aller Bürger bisher unstrittige – Fundament nun nicht mehr nur von erklärten Terroristen (einst der RAF, jüngst des NSU), sondern von montäglichen Volksrednern und alltäglichen Netzbeschmutzern infrage gestellt wird, ist das Neue. Renommierte Soziologen wie Heinz Bude und Umfragen warnen, dass die Angst vor sozialem Abstieg, vor Altersarmut und einer ungewissen, unbegreiflichen Zukunft inzwischen breitere Mittelschichten erfasst. Was aus diesen Angstbürgern wird, ist eine von der Sozial- und Bildungspolitik offenbar allzu lange verdrängte Herausforderung.

Allemal aber gilt: Bürgerstreit statt Bürgerkrieg. Die Grenze ist dort, wo Worte zur Tat, zu Gewalttaten werden. Denn Worte können töten, das wussten schon Büchner und Heine, das lehrt die Geschichte der Agitatoren und Diktaturen. Redefreiheit heißt ja nicht Rechtsfreiheit – und auch das Internet als soziale Sphäre darf nicht als vermeintlich rechtsfreier Raum für asoziale Netzwerke dienen. Wut tut manchmal gut. Doch macht sie auf Dauer blind. Mit friedlich streitbarer Vernunft sieht man weiter.

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