zum Hauptinhalt
Kopftücher in der Bank erlaubt, aber nicht am Pult? Dass es dahin zurückgeht, befürchten Kritiker:innen eines neuen Gesetzes über das Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten.

© Monika Skolimowska/dpa

Vom Tattoo- zum Kopftuchverbot?: Gesetzentwurf "beunruhigt muslimische Lehrerinnen und Schulen"

Auch der Bundesrat hat dem Gesetz zugestimmt, das neben Tattoo- auch Kopftuch-Verbote erlaubt. Eine Petition dagegen sammelte bereits 174.000 Stimmen.

Gabriele Boos-Niazy fühlt sich zurückversetzt in Zeiten, die überwunden schienen. Seit am Freitag auch der Bundesrat Ja gesagt hat zum "Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds der Beamtinnen und Beamten", ist ihr Rat und der ihrer Kolleginnen im "Aktionsbündnis muslimischer Frauen" (AmF) wieder besonders nötig: "Wir haben jetzt schon etliche Anfragen von Beamtinnen im Schuldienst", sagt die Vorsitzende des Bündnisses, das sich seit langem für Berufschancen von Musliminnen einsetzt. "Es ist nicht so einfach, sie zu beruhigen, weil sie von allen Seiten Unterschiedliches hören und sogar die eine oder andere Schulleitung nur mitbekommen hat: 'Beamtinnen dürfen kein Kopftuch mehr tragen.'"

Dabei schien die Frage nach zwei Jahrzehnten heftigem Streit weitgehend geregelt. 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass pauschale Verbote des muslimischen Kopftuchs gegen das Grundgesetz verstießen. Sie können untersagt werden, wenn es in jedem Einzelfall konkrete Hinweise auf Störung des Schulfriedens durch den Anblick einer Lehrerin mit Kopfbedeckung gibt - nicht aber, weil Politik, Behörden oder Schulleitungen dies abstrakt vermuten.

"Solche Verbote schwächen Vertrauen zum Rechtsstaat"

Etliche Länder - ausgenommen das Land Berlin - änderten daraufhin ihre Kopftuchgesetze. Doch vergangene Woche wurde ein neues Gesetz beschlossen, von dem Betroffene und Fachleute aus Rechtswissenschaft und Diskriminierungsforschung fürchten, dass es als nunmehr bundesweite Ermächtigung zum Verbot wirken könne.

Anlass des Gesetzes zum Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten waren zwar die NS-Tattoos eines Berliner Polizisten, der - unter anderem - deswegen aus dem Dienst entfernt wurde. In der Begründung werden nun aber auch religiöse Zeichen genannt. Genau aus diesem Grund enthielten sich im Bundestag die Grünen bei der Abstimmung, die Linke stimmte gegen den Gesetzentwurf von SPD und Union - und die AfD deswegen für ihn. Vertreter der Koalition versichern jedoch, ein Kopftuchgesetz durch die Hintertür sei nicht geplant.

Wenn sie jetzt wieder mit betroffenen Frauen rede, die sich an sie wenden, sagt Boos-Niazy, tue es ihr "in der Seele weh", weil Albträume wieder wach würden, die sie für überwunden hielten. Sie könne nur immer wiederholen: "Solche Verbote schwächen das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Politik."

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das fürchten auch Wissenschaftlerinnen und muslimische Aktive, die sich letzte Woche in letzter Minute an den Bundesrat wandten, um dessen Zustimmung zum Gesetz noch zu verhindern: ein. "Das Gesetz gefährdet die Berufsfreiheit, die Religionsausübung und die Selbstbestimmung von Menschen, die bereits von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, und damit auch die Verfassungswerte dieses Landes", schreiben die knapp 50 Erstunterzeichner:innen.

Unter ihnen sind mehrere Professoren und Professorinnen der Berliner Alice-Salomon-Hochschule, die Bloggerin und Autorin Kübra Gümüşay, die Politologie-Professorin und Migrationsforscherin Naika Foroutan von der Berliner Humboldt-Universität und die Bremer Professorin für Interkulturelle Bildung Yasemin Karakaşoglu. Sie war vor knapp zwei Jahrzehnten vor dem Bundesverfassungsgericht Gutachterin im Fall der Lehrerin Fereshta Ludin, des ersten und spektakulärsten Verfahrens zum Kopftuch.

Petition gegen das Gesetz mit bisher mehr als 170.000 Unterschriften

Das Gesetz sei nicht neutral, schreibt das Bündnis: "Im Gegenteil, es ist unneutral." Es setze die Diskriminierung von Menschen fort, "die aus religiöser Überzeugung einer bestimmten Kleidungsvorschrift folgen" - das seien "insbesondere, aber nicht ausschließlich" muslimische Frauen, aber auch jüdische Männer mit Kippa oder Sikhs. Das Gesetz bediene Rassismus, denn es folge "dem Trugschluss, dass ein Kleidungsstil neutral sei, während ein anderer dies nicht sei." Damit würden die dominierenden Standards "als neutrale Norm verstetigt, alles "Abweichende" als “unneutral“ ausgegrenzt". Neutralität sei aber "nicht durch eine Verbannung des Religiösen aus der Öffentlichkeit zu erreichen". An Frankreich, das diesem Trugschluss am aggressivsten folge, könne man dies sehen. Die französische Gesellschaft sei "tiefer zerrissen denn je".

Im Bundesrat wies Thüringens Minister für Bundesangelegenheiten, Benjamin-Immanuel Hoff, am Freitag auch darauf hin, dass das Gesetz den Bemühungen der öffentlichen Verwaltung um mehr Vielfalt ihres Personals schade. Beamtinnen und Beamte müssten als divers auch sichtbar werden. "Wir können nicht einerseits wollen, dass Menschen in der Öffentlichkeit ohne Angst Kippa oder Kopftuch tragen, und dann sagen: Aber im öffentlichen Dienst nicht." Thüringen stimmte im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf.

Gesetz wird er erst, wenn der Bundespräsident ihn unterschreibt. Vorerst ist er im Bundespräsidialamt noch nicht eingetroffen, war am Montag zu hören. Inzwischen geht die Mobilisierung gegen das Gesetz auch außerparlamentarisch weiter. Die Petition der Frankfurter Jura-Studentin Rabia Küçükşahin unter dem Titel "Bundesweites Kopftuchverbot stoppen" konnte in nur einer Woche, Stand Dienstagmorgen, 174.000 Unterschriften sammeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false