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Abendessen in der Residenz München anlässlich der 56. Münchner Sicherheitskonferenz-

© imago images/Sammy Minkoff

Vom Merkel-Ende bis zum USA-Bruch: Was lehrt uns die Münchner Sicherheitskonferenz?

Die Tagung bot Einblicke in eine neue Weltordnung: Diese vier Lehren lassen sich zum Abschluss der Sicherheitskonferenz ziehen.

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1. Die Zeit nach Merkel bricht schon an

Angela Merkel ist in München nicht anwesend, aber gesprochen wird dennoch über sie. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist verärgert, dass er immer auf Berlin warten muss. Wenn es darum geht, Waffensysteme zu vereinheitlichen oder mehr Schlagkraft in der EU zu entwickeln, ist aus der großen Koalition in Deutschland oft nur Kakophonie zu hören.

Macron fordert ein starkes deutsch-französisches Tandem, alles andere könnte sich zum „historischen Fehler“ auswachsen. Er trifft sich in München daher erstmals mit den Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck, drei Stunden dauert das Abendessen – und er lädt sie gleich zum Besuch in Paris ein. Bei der großen Koalition hingegen wissen viele in München nicht, woran sie sind.

Einerseits wird „mehr Europa“ und Investitionen gefordert und eine stärkere Rolle in der Sicherheitspolitik angekündigt, um sich angesichts der Konkurrenz mit China, Russland und den USA zu behaupten. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagt Deutschlands Sicherheit werde auch im Irak, in Libyen und im Sahel und „am Verhandlungstisch in New York, Genf oder Brüssel“ verteidigt.

Aber auf Druck der SPD wird Ende März der Tornado-Aufklärungseinsatz über Syrien und dem Irak im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat beendet. Konferenzchef Wolfgang Ischinger ist sauer, weil er das Reden von „mehr Verantwortung übernehmen“ nicht mehr hören kann. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) pflichtet Macron bei, dass mehr getan werden muss, auch militärisch.

Armin Laschet verteilt bei der Münchner Sicherheitskonferenz Spitzen gegen Angela Merkel.
Armin Laschet verteilt bei der Münchner Sicherheitskonferenz Spitzen gegen Angela Merkel.

© REUTERS/Andreas Gebert

Auch sie wirkt nach dem angekündigten Verzicht auf Kanzlerkandidatur und CDU-Vorsitz geschwächt. In einer Zeit, wo gehandelt werden müsste, wird die CDU zu einem Risiko- und Instabilitätsfaktor. Der mögliche künftige CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet verteilt bei der Konferenz Spitzen gegen Merkel. „In der Zeit von Helmut Kohl kamen die großen europäischen Initiativen aus Deutschland“, sagt Laschet.

Die Abschaffung der Grenzen, der Euro, der Binnenmarkt. „Heute macht der französische Präsident Vorschläge und wir brauchen relativ lange, um darauf zu antworten.“ Intensiv diskutieren Spitzenpolitiker aus anderen EU-Staaten, aber auch deutsche Oppositionspolitiker, ob Merkel noch die Kraft hat, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab Juli für einen Aufbruch zu nutzen – oder ob ein Ende der Hängepartie sinnvoller wäre.

2. Die Anti-Huawei-Koalition wächst

In der Frage, ob der chinesische Netzwerkausrüster beim Aufbau der 5G-Netze in Ländern wie Deutschland zum Zuge kommen soll, gibt es einen großen Dissens zwischen den USA und mehreren EU-Staaten. Die US-Regierung droht nach Teilnehmerangaben bereits, notfalls den schwedischen Huawei-Konkurrenten Ericsson zu kaufen, damit dieser in die Lage versetzt werden kann, auf einem ähnlichen Niveau wie Huawei, auch bei den Preisen, die Technik für die Datennetze der Zukunft anzubieten.

Scharfe Kritik gibt es laut Teilnehmern der vertraulichen Runden an der Deutschen Telekom: Sie habe sich aus Kostengründen schon viel zu stark auf chinesische Huawei-Technik eingelassen. Bei dem Thema sind die US-Demokraten auf einer Linie mit US-Präsident Donald Trump.

So warnt die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi in München eindringlich die Europäer: „Ich sage Ihnen ohne jedes Zögern: Seien Sie sehr vorsichtig, diesen Weg zu beschreiten – es sei denn Sie wollen mit einer Gesellschaft enden, wie China sie schon hat.“

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock schlägt als Ausweg den Aufbau eines europäischen Firmen-Konsortiums nach Vorbild des Luftfahrt-Konzerns Airbus vor. Um das Problem gemeinsam zu lösen, denn auf 5G wird irgendwann 6G folgen.

3. Das Recht des Stärkeren dominiert

Chinas Außenminister Wang Yi ist fast amüsiert, wie der Westen in München auf der Couch liegt. Aus seiner Sicht gibt es keinen Westen, Osten, Norden oder Süden, sondern eine Welt, die miteinander auszukommen versucht. Dabei arbeite man nach Regeln des Völkerrechts und Normen – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Nichteinmischung – zusammen. „Wir müssen die ideologische Kluft überwinden“, sagt Wang Yi. China strebe auch keine globale Hegemonie an.

Doch statt des regelbasierten Multilateralismus dominiert zunehmend das Recht des Stärkeren, China setzt seine Interessen vor allem auch über seine Milliarden-Investitionen durch. Donald Trump setzt auf Deals, er denkt in Gewinner-Verlierer-Kategorien, weniger in verlässlichen Allianzen. Die USA ziehen sich verstärkt aus Konfliktherden zurück, und Europa kann sich nicht länger unter dem US-Schutzschirm ausruhen.

Wang Yi, Außenminister von China.
Wang Yi, Außenminister von China.

© Tobias Hase/dpa

Der größte Kitt ist für den Westen noch die NATO. Generalsekretär Jens Stoltenberg betont, der Artikel fünf sei „noch immer der Kern der Nato“: Wenn ein Land angegriffen wird, gibt es eine gemeinsame Reaktion. Das entfalte eine stark abschreckende Wirkung.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow macht hingegen deutlich, dass es an der Ostflanke zu einer Eskalation kommen könnte: Die Spannungen, der Ausbau der militärischen Infrastruktur der Nato in Richtung Osten, das beispiellose Ausmaß an Übungen an den russischen Grenzen, das Aufpumpen von Verteidigungsbudgets – all dies führt zu einer Unberechenbarkeit, kritisiert Lawrow in München.

Er warnt vor einer „Barbarisierung der internationalen Beziehungen“. Viele Staaten versuchen, sich mit moderneren Waffenarsenalen für die neue Zeit zu wappnen – oder wie der Iran nach der Atombombe zu streben.

Die Kräfte verschieben sich, doch US-Außenminister Mike Pompeo blendet die wenig Vertrauen stiftende Politik von Donald Trump einfach aus. Pompeo zitiert Mark Twain, der sagte: „Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben.“ So ist es für Pompeo mit dem transatlantischen Bündnis, er prophezeit: „Der Westen gewinnt“.

Er bezieht das aber weniger auf stabile Partnerschaften, sondern vor allem auf die weiter geteilten Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten – jeder studiere heute doch lieber in Cambridge als in Caracas. Manchmal kann in der Krise ja auch eine Chance liegen: Ausgerechnet das Coronavirus zeigt gerade, jenseits aller Brüche und Unordnung, welchen Wert eine multilaterale Zusammenarbeit haben kann.

4. Der Bruch mit den USA ist nicht zu retten

Trump versuche, die Welt zu „bilateralisieren“, in lauter Einzelbeziehungen aufzusplitten und Konflikte mit jedem Land einzeln auszufechten, stellt der Regierungschef eines westeuropäischen Landes in einem Hintergrundgespräch fest. Also suchen sich viele Länder aus Frust und zum Selbstschutz alternative Partner, die US-Fokussierung nimmt in vielen Politikfeldern ab.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau etwa wirbt auf der großen Bühne der Sicherheitskonferenz noch einmal ganz offen für die Diversifizierungsstrategie, die sein Land schon kurz nach der Wahl von Donald Trump eingeschlagen hat. Kanada, betont Trudeau, sei jetzt das erste G-7-Land, dass Freihandelsverträge mit allen anderen G-7-Ländern habe und damit privilegierten Zugang zu zwei Dritteln des Weltmarktes.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau.
Kanadas Premierminister Justin Trudeau.

© Thomas KIENZLE / AFP

Es ist ein eloquentes „Ätsch“ an die Adresse der USA. Die EU macht es Kanada nach, und sucht neue Handelspartner. Und Heiko Maas baut mit der „Allianz der Multilateralisten“ gezielt die Freundschaft zu Ländern wie Japan oder Australien aus, etwa bei der Zusammenarbeit in Sachen Cybersicherheit.

Natürlich würde sich das teilweise mit einem demokratischen Präsidenten wieder ändern, versichert der demokratische Senator Christ Coons, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des US-Senats. „Eine demokratische Regierung würde Menschenrechte wieder in den Fokus rücken, auf weltweites gemeinsames Handeln setzen und verstärkt auf Diplomatie als Mittel des Wandels setzen“, sagt er dem Tagesspiegel.

Der demokratische US-Senator Christ Coons.
Der demokratische US-Senator Christ Coons.

© REUTERS/Mary F. Calvert

Auch das Atomabkommen mit dem Iran würde ein demokratischer Präsident erneuern, sagte er – und damit eines der schwierigsten außenpolitischen Dilemmata lösen. „Wir würden intensive Verhandlungen aufnehmen und ein umfassenderes Abkommen anstreben“, sagt Coons. Gerade in sicherheitspolitischen Fragen würden die Europäer sicher auch schnell wieder mit den USA kooperieren. Doch da kommen die innenpolitischen Grenzen ins Spiel.

In den USA, erzählt eine amerikanische Abgeordnete bei einer Diskussionsrunde am Rande der Sicherheitskonferenz, gewinnt eine Generation an politischem Gewicht, deren prägende politische Erfahrung die Folgen der Attentate des 11. September sind – der kostspielige Afghanistan-Krieg und der Einmarsch in den Irak, der mit erfundenen Massenvernichtungswaffen begründet wurde.

In ihrem Wahlkreis lehne eine Mehrheit der jungen Wähler Interventionen ab. Auslandseinsätze und die Unterstützung für die Nato seien nur noch zu vermitteln, wenn der unmittelbare Nutzen für die Sicherheit „zu Hause“ klar sei.

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