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Der neue Taliban-Führer Hassan Achund (r., hier ein Bild aus 1999) steht auf der „Blacklist“ der Vereinten Nationen.

© Saeed Khan/AFP

Vom FBI gesucht, aus Guantanamo entlassen: Das sind die Hardliner in der neuen Taliban-Regierung

Der afghanische Regierungschef steht auf der UN-„Blacklist“, auf zwei Mitglieder sind Kopfgelder in Millionenhöhe ausgesetzt. Wie reagiert der Westen darauf?

Sie hatten angekündigt, eine „inklusive Regierung“ bilden zu wollen, auch andere Politiker des Landes sollten die Chance erhalten, Posten zu bekommen. Doch nichts davon spiegelt das neue Kabinett der Taliban-Regierung wider. Stattdessen wurde beispielsweise das Ministerium für Frauenangelegenheiten offenbar sogar komplett abgeschafft, zumindest aber vorübergehend nicht besetzt.

Alle 33 Mitglieder stammen zudem aus den Reihen der Taliban. Und mehr noch: Viele hochrangige Posten wurden von Hardlinern besetzt. Allen voran der neue Regierungschef. Wie viele Mitglieder der neuen Taliban-Regierung steht Mullah Hassan Achund auf der „Blacklist“ der Vereinten Nationen (UN), ist von diesen also sanktioniert worden – für seine Mitgliedschaft in der Gruppe Quetta Shura.

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Die Quetta Shura war eine militante Organisation der Taliban, die sich aus den Resten der 2001 gestürzten Regierung von Afghanistan zusammensetzte. Geführt wurde sie von Mohammed Omar, einem der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft ab 1996. Ein Sohn Omars, Mullah Mohammad Jakub, ist als Verteidigungsminister vorgesehen.

Am schwierigsten macht die Wahl des Innenministers es den USA, die Regierung anzuerkennen. Dieser ist Siradschuddin Hakkani, dessen gleichnamiges Netzwerk von den USA als terroristische Gruppierung eingestuft wird.

Er gehört zu den meistgesuchten Männern der US-Ermittlungsbehörde FBI, auf ihn ist ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt. Das „Wall Street Journal“ schreibt, er sei „buchstäblich ein dschihadistischer Terrorist“.

Hakkani soll an Selbstmordanschlägen beteiligt gewesen sein – unter anderem am tödlichsten Attentat der vergangenen 20 Jahre, als 2017 in Kabul mehr als 150 Menschen starben. Er soll auch über enge Kontakte zum Extremisten-Netzwerk Al Qaida verfügen.

Seinem FBI-Profil zufolge wird er unter anderem gesucht aufgrund des Anschlags auf ein Kabuler Hotel im Januar 2008, bei dem sechs Menschen starben, darunter ein US-Amerikaner, berichtet BBC. Außerdem vermutet das FBI, dass er hinter mehreren Anschlägen auf US-Streitkräfte in Afghanistan steckt und involviert gewesen ist in den Plan, den ehemaligen afghanischen Präsidenten Hamid Karsai 2008 zu ermorden.

Khalil Hakkani, der Onkel von Siradschuddin Hakkani, ist der neue Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, auf ihn ist aufgrund von Kontakten zu Al Qaida ein Kopfgeld von fünf Millionen Euro ausgesetzt.

Fünf Mitglieder saßen bis 2014 in Guantanamo ein

Doch damit nicht genug: Fünf Mitglieder der Regierung saßen CNN zufolge bis 2014 noch im US-Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo ein. Sie wurden damals bei einem Gefangenenaustausch im Gegenzug für den US-Sergeant Bowe Bergdahl freigelassen.

Diese sind Norullah Noori, Minister für Grenzen und Stammesangelegenheiten, Abdul Haq Wasiq, Chef des Nachrichtendienstes, Khairullah Khairkhwa, Kommunikations- und Kulturminister und Mohammad Fazil Mazloom, stellvertretender Verteidigungsminister. Mohammed Nabi Omari ist den Taliban zufolge bereits seit vergangenem Monat Gouverneur der südöstlichen Provinz Khost.

Unklar ist noch immer, welche Rolle der oberste Taliban-Führer Mullah Haibatullah Achundsada in der neuen Regierung spielen soll. Seit der Einnahme von Kabul im vergangenen Monat ist Achundsada nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Achundsada, dessen Sohn sich bei einem Attentat in die Luft sprengte, gratulierte dem Land zur Befreiung von „ausländischer Herrschaft“.

Taliban-Führer Mullah Haibatullah Achundsada
Taliban-Führer Mullah Haibatullah Achundsada

© AFP

Eine „inklusive Regierung“, wie die Taliban sie in den Raum gestellt hatte, ist sie auch nicht, was die Verteilung der Ethnien angeht. Bis auf drei gehören alle der Ethnie der Paschtunen an – zwei sind Tadschiken, einer ist Usbeke. Angehörige der Minderheit der Hasara sind keine in der Regierung.

Beobachter nennen es ein „Kabinett der Gewinner“ und werteten die Besetzung der Posten als ein Zeichen dafür, dass der konservative und religiös legitimierte Kern der Gruppe weitgehend unverändert ist.

Auf die fehlende Inklusivität des Kabinetts angesprochen, sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Dienstag erneut, es handle sich um ein Übergangskabinett, in dem noch nicht alle Posten besetzt worden seien. Da aber nun alle Schlüsselpositionen erst einmal an Taliban-Mitglieder gingen, ist zu befürchten, dass Politiker von außerhalb maximal symbolisch berücksichtigt werden und keinen wirklichen Einfluss erhalten könnten.

Die Frage der Inklusivität ist relevant, da viele westliche Regierungen davon abhängig machen, ob sie die künftige Regierung anerkennen und das Land, das massiv von ausländischen Hilfsgeldern abhängig ist, unterstützen werden.

„Mit so einem Taliban-Kabinett wird die Welt Afghanistan nicht mal mit einem Dollar helfen“, schrieb ein afghanischer Journalist auf Twitter. Der ehemalige Gouverneur von Balch, Mohammed Atta Nur, kritisierte die Zusammensetzung unter anderem für einen Mangel an Professionalität und Frauen. Sie widerspreche zudem dem Geist der gültigen Verfassung des Landes.

Der Westen kritisiert die Zusammensetzung der Regierung

Westliche Staaten haben sich zurückhaltend zur neuen Taliban-Regierung in Afghanistan geäußert. Während Deutschland und die USA mit Sorge reagierten, will China die Kommunikation mit den radikal-islamischen Machthabern in Kabul aufrechterhalten.

„Die Verkündung einer Übergangsregierung ohne Beteiligung anderer Gruppen und die gestrige Gewalt gegen Demonstrantinnen und Journalisten in Kabul sind nicht die Signale, die (...) optimistisch stimmen“, teilte Bundesaußenminister Heiko Maas am Mittwoch mit. Das Engagement des Westens werde aber vom Verhalten der Taliban abhängen. Diese hatten die Rückkehr der Diplomaten nach Kabul und die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit gefordert.

Die USA zeigten sich besorgt über einzelne Mitglieder der Übergangsregierung der Taliban sowie deren Werdegang und Vorgeschichte. „Die Welt schaut genau hin“, erklärte das Außenministerium und verwies darauf, dass es keine Frauen im Kabinett gebe.

Auch die Europäische Union (EU) übt scharfe Kritik an der Zusammensetzung der neuen Taliban-Regierung. Die Übergangsregierung spiegele bisher nicht die „ethnische und religiöse Vielfalt Afghanistans“ wieder, sagte ein EU-Sprecher am Mittwoch in Brüssel in einer ersten Reaktion. EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic mahnte zudem die Achtung der „Frauenrechte und grundlegenden Freiheiten“ an.

Der EU-Sprecher bemängelte, bisher hätten die Taliban keine „inklusive und repräsentative“ Regierung präsentiert. Die radikalen Islamisten würden damit ihrem Versprechen nicht gerecht, möglichst breite Teile der Bevölkerung einzubinden. (mit Agenturen)

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