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Boris Johnson (l.) feiert seinen überraschend deutlichen Wahlerfolg in Großbritannien.

© Lindsey Parnaby/POOL/AFP

Vollidioten, Gangster, Blender, Lügner: Das Trommelfeuer gegen Populisten wirkt kontraproduktiv

Zurzeit laufen Wahlen immer so ab: Die etablierten Parteien unterschätzen die Globalisierungsängste - und unterliegen den Populisten. Ein Kommentar.

Ich möchte beschreiben, wie zur Zeit Wahlen in der westlichen Welt ablaufen. Es ist ein Schema erkennbar, das sich in leichten Varianten oft wiederholt, jetzt in Großbritannien, vorher in den USA, in Österreich, in Italien, in Polen, in Ostdeutschland und so weiter.

Am Beginn steht ein Stimmungswandel in großen Teilen der Bevölkerung. Diese Leute merken, dass die Globalisierung Schattenseiten hat, sie haben Angst um ihre Arbeitsplätze, vor zu viel Einwanderung, davor, dass sich fast alles ändert, nach ihrem Geschmack viel zu schnell. Sie suchen nach der Bremse, das ist selbstverständlich legitim. Die Parteien, die manche von ihnen und vielleicht schon ihre Großeltern gewählt haben, ignorieren diese Stimmung. Sie halten Kurs, obwohl das Wasser unterm Kiel immer flacher wird. Sie bieten ihren Wählern Geld an, also soziale Verbesserungen, wobei nicht immer klar ist, wie das finanziert werden soll. Die Wähler wollen das Geld aber gar nicht. Sie fragen: Was sagt ihr zu unseren Sorgen? Die linken Parteien antworten: Eure Sorgen sind blöd und rückständig. Reißt euch gefälligst zusammen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer!

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums tauchen jetzt charismatische, manchmal recht bizarre Politiker auf. Sie erobern die konservativen Parteien oder gründen neue. Sie erwecken zumindest den Eindruck, die Sorgen dieser Wähler ernst zu nehmen. Von der Konkurrenz werden sie als „Populisten“ beschimpft, ihre Antwort lautet: „Für mich klingt das wie ein Kompliment. Ich spreche für das Volk.“

Die Trommelfeuer gegen Populisten wirken eher kontraproduktiv

Die anderen Parteien bieten gegen sie Kandidaten auf, die aus den Parteiapparaten stammen und wenig Strahlkraft besitzen, sie begeistern nur die Parteimitglieder. In vielen Medien erscheinen vor der Wahl täglich Schmähungen gegen die Populisten, die Vollidioten, Gangster, Blender, Lügner seien. Dieses Trommelfeuer wirkt eher kontraproduktiv. Es bestätigt für viele Wähler ihre Befürchtung, dass die „Eliten“, das ist der Gegenbegriff zu „Populist“, sich gegen sie verschworen haben. Kurz vor der Wahl erscheinen oft Prognosen, die den Populisten eine Niederlage prophezeien. Sie stimmen nicht.

Wenn die Neuen an der Macht sind, erfüllen sie nicht alle ihre Versprechungen, das ist man als Wähler allerdings gewöhnt. Manche machen groteske Fehler. Aber weil sich auf der anderen Seite des Spektrums wenig bewegt, sind die Neuen auch bei der nächsten Wahl für ihre Anhänger das kleinere Übel. So lange die Wahlverlierer aus ihren Niederlagen nicht lernen, geht es weiter, Land für Land. Beschimpfungen der Konkurrenz plus „weiter so“ ist nun mal ein Konzept von sehr begrenzter Überzeugungskraft, jedes Unternehmen würde damit pleite gehen. Bei Parteien ist es ähnlich.

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