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Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel und Vorsitzender der rechtskonservativen Likud-Partei

© dpa/Noam Moskowitz

Update

Vierte Wahl binnen zwei Jahren: Netanjahus abenteuerliche Optionen nach den Wahlen in Israel

Bei der Parlamentswahl in Israel sieht es nach einem Erfolg des Ministerpräsidenten aus. Benjamin Netanjahu ist aber auf einen Königsmacher angewiesen.

Noch werden in Israel die Stimmen gezählt. Doch das vorläufige Ergebnis der Parlamentswahl legt nahe, dass dem Land eine weitere Runde höchst zäher und schwieriger Koalitionsverhandlungen bevorsteht – mit ungewissem Ausgang.

Sah es nach der Wahl am Dienstag zunächst so aus, als könnte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit einer Koalition aus rechten und religiösen Parteien eine Mehrheit erlangen, änderte sich das Bild im Laufe des darauffolgenden Tages. Gegen die Erwartungen scheint es, als würde der islamistischen Ra’am-Partei der Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde ins Parlament gelingen – was die Kräfteverhältnisse der übrigen Parteien neu sortiert.

Selbst mit Naftali Bennett, dem Vorsitzenden der rechten Yemina-Partei, der bis dahin als Königsmacher gehandelt wurde, würde Netanjahu dann die nötige Mehrheit von 61 Mandaten verfehlen.

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In diesem Fall sind mehrere Optionen denkbar – und alle scheinen abenteuerlich. Oppositionsführer Yair Lapid könnte versuchen, die Rechten um Bennett für eine ideologisch breit gespannte Koalition zu gewinnen, um Netanjahu aus dem Amt zu drängen. Lapids Partei, die in der politischen Mitte orientierte Partei Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft), wird mit voraussichtlich 17 Mandaten zweitstärkste Kraft.

Dass Bennett einer Koalition mit linken Kräften wie der kleinen Meretz-Partei (Kraft, Vitalität) den Vorzug gibt, gilt jedoch als unwahrscheinlich. „Bennett will nach Netanjahu Anführer der Rechten werden“, sagt der israelische Politanalyst Yaron Deckel. Rechten Parteien eine Absage zu erteilen, um stattdessen mit linken zu koalieren, könnte diesen Ambitionen zuwiderlaufen.

Netanjahu könnte sich um einen ungewöhnlichen Koalitionspartner bemühen

Netanjahu wiederum könnte sich um einen höchst ungewöhnlichen Koalitionspartner bemühen: den Vorsitzenden der arabischen Ra’am-Partei, Mansour Abbas. Dieser hatte zuletzt einen pragmatischen Weg eingeschlagen und seine Bereitschaft signalisiert, mit Netanjahu zu kooperieren, sollte er damit Zugeständnisse für die arabische Minderheit herausholen.

Am Mittwoch signalisierte er erneut seine Flexibilität in Sachen Allianzbildung: Keiner der Parteienblöcke habe seine Partei „in der Tasche“, sagte er in einem Fernsehinterview, „weder rechts noch links“. 

Netanjahu und seine Parteikollegen hatten zuvor jede Zusammenarbeit mit arabischen Parteien ausgeschlossen. Doch „Netanjahu hat keine Hemmungen, einen hohen Preis zu zahlen“, sofern es seinem Machterhalt diene, meint der Analyst Deckel. Tatsächlich offenbarten manche Likudpolitiker am Mittwoch eine bisher unbekannte Flexibilität.

Eine Einigung mit Abbas sei „besser als eine fünfte Wahl“, sagte der Minister Tzachi Hanegbi in einem Fernsehinterview. Auch sein Parteifreund Miki Zohar, der noch vor Kurzem eine Koalition mit Ra’am als unmöglich abgetan hatte, schien sich plötzlich für dieses Szenario zu erwärmen. „Es ist unsere Pflicht, alles – ich meine, alles – zu tun, um eine fünfte Wahl zu verhindern“, schrieb er auf Twitter. „Wir müssen jede existierende politische Option nutzen, um eine Regierung zu bilden, die für alle Bürger Israels arbeitet.“

Berüchtigter Rechtsradikaler kommt ins Parlament

Als bemerkenswertes Novum gilt, dass der rechtsradikale Politiker Itamar Ben-Gvir ins Kabinett einziehen könnte. Seine Partei Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) ging im Vorfeld ein Bündnis mit der Partei Religiöser Zionismus ein, die auf sechs bis sieben Mandate kommt. Ben-Gvir, berüchtigt für anti-arabische Hetze, galt lange selbst unter rechten Parteien als inakzeptabler Partner.

Dass er bald einen Ministerposten bekleiden könnte, gilt vielen linksorientierten Israelis als beunruhigendes Zeichen für den fortschreitenden Rechtsdrift des Landes. Eine solche Koalition „würde von den extremsten Elementen der israelischen Gesellschaft abhängen“, sagt Yohanan Plesner, Präsident des Israel Democracy Institut, eines liberalen Thinktanks. 

Viele fürchten zudem, dass Netanjahu versuchen könnte, das Justizsystem seinem Willen zu unterwerfen und den Prozess gegen sich zu stoppen. Der Langzeit-Premier muss sich wegen Verdacht auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vor Gericht verantworten.

Anfang April wird Netanjahu erneut im Jerusalemer Bezirksgericht vorstellig werden müssen. Doch die Aussicht darauf scheint seine Unterstützer ebenso wenig abgeschreckt zu haben wie das teils erratische Pandemiemanagement unter seiner Führung. „Die Leute fragen mich manchmal, wie lange Netanjahu noch Premierminister bleibt“, sagt der Politanalyst Deckel. „Ich sage dann immer: Seht euch Netanjahus Vater an, der ist 102 Jahre alt geworden. Er selbst ist erst 71.“

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