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Gefahr aus dem Untergrund. Fast 500 Rechtsextremisten sind abgetaucht. Mehr als 100 werden wegen politischer Delikte gesucht.

© Thomas Frey/picture alliance/dpa

Viele Neonazis auf Fahndungslisten der Polizei: Fast 500 Rechtsextremisten untergetaucht

Die Zahl der gesuchten Nazis bleibt hoch. Erfolg der Polizei werden durch neue Fälle neutralisiert. Ein Teil der Verschwundenen versteckt sich im Ausland.

Von Frank Jansen

Trotz zahlreicher Fahndungserfolge der Sicherheitsbehörden wird das Problem der untergetauchten Rechtsextremisten nicht kleiner. Die Polizei suchte zum Stichtag 30. September insgesamt 475 Neonazis und weitere Personen, die dem rechten Spektrum zugerechnet werden. Die Zahl der offenen Haftbefehle ist mit 627 noch höher. Bei einem Teil der abgetauchten Rechtsextremisten sind Verfahren wegen mehrerer Delikte anhängig. Die Zahlen stehen in einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke (Linke) und ihrer Fraktion. Darüber hatte zuerst die „Neue Osnabrücker Zeitung“ berichtet.

Im Februar hatte das Ministerium, auch auf Anfrage von Jelpke, von 624 offenen Haftbefehlen gegen 482 abgetauchte Rechtsextremisten zum Stichtag 30. September 2019 gesprochen. Doch allein von März 2020 bis September wurden 270 Haftbefehle vollstreckt oder erledigten sich, zum Beispiel durch Zahlung einer Geldstrafe. Dennoch haben sich die Zahlen angesichts der vielen rechtsextremen Straftaten kaum verändert. In diesem Jahr kamen 250 Haftbefehle hinzu. „Das fortlaufende Kriminalitätsgeschehen führt allerdings dazu, dass neue Haftbefehle zu anderen oder sogar denselben Personen erneut erstellt und Fahndungsmaßnahmen eingeleitet werden müsen“, heißt es im Papier des Ministeriums.

Rechtsextreme Kriminalität nimmt weiter zu

Die Polizei hat in diesem Jahr, das geht aus anderen Schriftsätzen der Bundesregierung hervor, von Januar bis Oktober bereits 17 838 rechte Straftaten festgestellt, darunter 814 Gewaltdelikte. Das sind deutlich mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Rechte Kriminalität hat offenkundig in der Coronakrise trotz Ausgangsbeschränkungen noch zugenommen. Die anhaltend hohe Zahl der untergetauchten Rechtsextremisten ist da offenbar ein weiteres Indiz. Das Problem wächst allerdings seit Jahren. Aus älteren Statistiken der Polizei geht  hervor, dass sich seit 2014 die Zahl der gesuchten Rechten fast verdoppelt hat. Und nach einem gewalttätigen Neonazi wird bereits seit 2011 gefahndet.

Fahndung auch wegen unpolitischer Delikte

Es werden allerdings längst nicht alle Verschwundenen wegen politischer Delikte gesucht. In der aktuellen Bilanz liegt nur bei 107 Rechtsextremisten ein offener Haftbefehl wegen einer politischen Straftat vor. Häufig geht es um Volksverhetzung, Beleidigung oder Verwenden von Nazi-Kennzeichen. 20 Rechtsextremisten werden politisch motivierte Gewalttaten vorgeworfen, in einem Fall sogar ein terroristisches Delikt. Details nennt das Ministerium nicht. Bei den anderen Abgetauchten  sind  Straftaten vermerkt wie Diebstahl, Betrug, Verkehrsdelikte sowie unpolitische Gewalt.

Die Sicherheitsbgehörden vermuten, dass sich 58 der Gesuchten im Ausland aufhalten. Sechs in Österreich, fünf in Polen, je vier in der Schweiz und in Tschechien und alle weiteren in mehr als 20 Ländern, bis hin nach Südostasien. Das Ministerium nennt einen Fall, über den der Tagesspiegel im vergangenen Jahr berichtete. Der rechtsextreme Christopher F., der 2016 in Sachsen einen Afghanen blutig geschlagen hatte, sitzt in Kambodscha ein. Der Skinhead raubte dort 2018 einem Mann gewaltsam den Motorroller. Ein Gericht verurteilte F. zu drei Jahren Haft.

Für Ulla Jelpke sind die Angaben des Ministeriums zu untergetauchten Rechten auch diesmal Anlass zu Kritik. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Regierung „das Nazi-Problem noch immer nicht ernst genug nimmt“, sagte die Abgeordnete. Ein großer Teil der Gesuchten entziehe sich seit zwei Jahren oder noch länger der Verhaftung.

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