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Kanzler Olaf Scholz hat mit Hamburger Altlasten zu kämpfen.

© Britta Pedersen/dpa

Exklusiv

Verzicht auf 47-Millionen-Rückforderung 2016: Justiz entlastet Scholz in Warburg-Affäre – Kein Verdacht auf Fehlverhalten

Der Kanzler muss am Freitag erneut in den Hamburger U-Ausschuss zum Cum-Ex-Skandal. Seine Sichtweise wird nun von den Hamburger Strafverfolgern gestärkt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg sieht keine Hinweise auf einen Verdacht zur Beihilfe auf Steuerhinterziehung durch den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Politiker im Zusammenhang mit dem Steuerskandal um die Warburg Bank. Die Generalstaatsanwaltschaft habe die Beschwerde eines Anwalts gegen den Verzicht auf ein Strafverfahren abgelehnt, sagte Oberstaatsanwältin Mia Sperling-Karstens dem Tagesspiegel.

Der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate hatte im Februar eine Strafanzeige „wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ gegen Olaf Scholz, Peter Tschentscher und weitere Beteiligte gestellt. Das wurde nun als von der Generalstaatsanwaltschaft als „unbegründet“ zurückgewiesen und damit die Sichtweise der Staatsanwaltschaft Hamburg bestätigt.

Scholz war seinerzeit Erster Bürgermeister und bestreitet jede politische Einflussnahme auf die Entscheidung im Jahr 2016, rund 47 Millionen Euro, die die Warburg Bank im Zuge der Cum-Ex-Betrügereien zu Unrecht an Kapitalertragssteuern bekommen hatte, zunächst nicht zurückzufordern.

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Es gebe keine „zureichenden tatsächlichen Anzeichen für den Verdacht, eine mutmaßliche Steuerhinterziehung der Warburg Bank sei von Verantwortlichen der Hamburger Finanzverwaltung wissentlich oder willentlich gefördert worden“, heißt es in der Beschwerdeablehnung der Generalstaatsanwaltschaft vom 10. August 2022, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Kanzler Scholz befindet sich derzeit auf Auslandsreise in Norwegen und Schweden und musste sich vergangenen Woche in der Bundespressekonferenz vielen kritischen Fragen zu seiner Hamburger Zeit und dem Fall Warburg stellen.

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2016 war die juristische Lage noch unklarer, sagen die Ermittler

Die sich im Jahr 2016 akut stellende Frage einer Rückforderung der Kapitalertragssteuer – plus Solidaritätszuschlag – in Höhe von 47 Millionen Euro für den Veranlagungszeitraum 2009 sei ein überaus komplexer Abwägungsprozess gewesen, betont die Generalstaatanwaltschaft.

Wegen der damals noch rechtlich unklaren Situation habe es auch Prozessrisiken für den Fiskus einschließlich etwaiger Regressansprüche durch die Warburg Bank gegeben.

Allerdings stuften Gerichte in anderen Bundesländern die Cum-Ex-Geschäfte schon damals als kriminell ein.

Die schwierige „Gemengelage“ sei auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss durch den seinerzeit ermittelnden Kölner Oberstaatsanwalt Alexander Fuchs bestätigt worden, betont dagegen die Generalstaatsanwaltschaft in der Ablehnung der Ermittlungen gegen den damals Ersten Bürgermeister Scholz und seinen damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher.

Fuchs habe ausgesagt, dass der von den damaligen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln betroffene Sachverhalt rund um die von der Warburg Bank getätigten Cum-Ex-Deals noch nicht hinreichend verlässlich gewesen sei. Heute sieht das die Staatsanwaltschaft Köln allerdings offensichtlich anders - und wirft durch ihre Ermittlungen und an den U-Ausschuss übermittelten Erkenntnissen neue Fragen auf - auch an Scholz. Am kommenden Freitag muss er dort erneut aussagen

Scholz' Mails durchleuchtet und die Rolle von Johannes Kahrs

Zuletzt wurde bekannt, dass im Zuge der Ermittlungen, die die Kölner Staatsanwaltschaft führt, auch die Dienstmails von Scholz aus seiner Hamburger Zeit durchleuchtet worden sind. Zudem gibt der Fund von 214.800 Euro in bar in einem Schließfach des SPD-Politikers Johannes Kahrs Rätsel auf, der als eine Schlüsselfigur in der Affäre gilt und sich für die Warburg Bank einsetzte. Das hatte die Affäre wieder hochkochen lassen. Ebenso Hinweise auf gelöschte Emails im Kontext der Warburg-Entscheidungen.

De Masi: Hier wird versucht, den Kanzler "aus der Schusslinie zu nehmen"

Scholz beantwortet Fragen zur Rolle von Kahrs und der Gespräche zwischen ihnen beiden zum Fall Warburg nicht eindeutig. Bei Treffen mit den Warburg-Bankern verweist er auf Erinnerungslücken.

Der Scholz-Kritiker Fabio de Masi (Linke) betonte, verantwortlich für die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft sei die Justizsenatorin Anna Gallina. vom Koalitionspartner der SPD in Hamburg, den Grünen. Die Aussagen seien der Versuch, den Kanzler "aus der Schusslinie zu nehmen". Auch der Finanzexperte und frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick stellte den Zeitpunkt in Frage.

"Staatsanwaltschaften sind in Deutschland nicht unabhängig, sondern unterstehen den Justizministerien", betonte er bei Twitter. "Da stellen sich bei dem guten Timing direkt vor der Scholz-Anhörung am Freitag natürlich ein paar Fragen."

Bundeskanzler Olaf Scholz weilt gerade beim Treffen der Nordischen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Oslo.
Bundeskanzler Olaf Scholz weilt gerade beim Treffen der Nordischen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Oslo.

© Kay Nietfeld/dpa

Generalstaatsanwaltschaft sieht auch keine Hinweise auf Falschaussagen von Scholz

Die Hamburger Oberstaatsanwältin Mia Sperling-Karstens betonte gegenüber dem Tagesspiegel, schon 2021 sei festgestellt worden, dass sich Hamburger Finanzbeamte – und somit auch ihre Vorgesetzten – nicht strafbar gemacht hatten, als sie es in Ausübung ihres Ermessens unterließen, für das Jahr 2009 angerechnete Kapitalertragssteuer in Höhe von 47 Millionen Euro aus Cum Ex-Geschäften von der Warburg Bank AG zurückzufordern.

Es gebe bisher auch keine Anhaltspunkte für Falschangaben des Bundeskanzlers Olaf Scholz im Cum-Ex Untersuchungsausschuss. Scholz traf sich insgesamt drei Mal mit den Warburg-Gesellschaftern, kurz nach einem Treffen Ende Oktober 2016 kam es zur Entscheidung, die 47 Millionen Euro nicht zurückzufordern.

Der Kanzler betont: Am Ende wurde alles zurückgezahlt

Seine Kritiker betonen, gerade dieser Ablauf werfe Fragen auf. Vor allem, dass er dem Warburg-Gesellschafter Christian Olearius kurz vor der Entscheidung angerufen und ihm gesagt habe, er möge einen Brief, der die Argumentation der Bank stützt, kommentarlos an die Finanzbehörde weiterleiten. Kritiker fragen, welche weiteren Gespräche von Scholz gab es, hat er indirekt doch politisch Einfluss genommen? Sie führen auch nun erst bekannt gewordene Chatnachrichten der für den Fall zuständigen Finanzbeamtin an, die von einem "teuflischen Plan" schrieb, der aufgegangen sei.

Wenige Monate nach dem vorläufigen Verzicht auf die 47 Millionen gab es Spenden der Bank an die SPD Hamburg und Kahrs' Kreisverband von rund 45.000 Euro. Hier wird nun geprüft, diese zurückzuzahlen.

Aber parallel zur Nichtrückforderungsentscheidung 2016 wurden die Verjährungsfristen verlängert - das führen die Verteidiger von Scholz und den anderen damaligen politischen Akteuren als entlastendes Indiz an, denn so sei das Geld nicht final verloren gewesen. Im Folgejahr wollte Hamburg jedoch auf weitere 43 Millionen Euro an Rückzahlungen verzichten, in einem ungewöhnlichen Schritt ordnete das damals von Wolfgang Schäuble geführte Bundesfinanzministerium die Rückforderung an.

Am Ende urteilte dann das Landgericht Bonn im Jahr 2020, dass die Warburg Bank auch für andere Jahre letztlich alles zurückzahlen muss, das summierte sich mit Strafzinsen auf 176,5 Millionen Euro. Scholz argumentiert daher, dem Staat sei letztlich kein Schaden durch den Fall entstanden. Seine Kritiker wie de Masi betonen, das sei aber sicher nicht sein Verdienst.

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