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Das Wort des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan hat wieder Gewicht, nicht nur beim Nato-Treffen in Brüssel.

© Gonzalo Fuentes/Reuters

Vertrauensverhältnis zu Putin, Draht in den Westen: Die erfolgreiche Gratwanderung des türkischen Präsidenten

Als einziger Chef eines Nato-Lands hat Erdogan ein Vertrauensverhältnis zu Kreml-Chef Putin. Das nützt jetzt – auch ihm. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Bis vor kurzem handelten westliche Spitzenpolitiker im Umgang mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nach einem Motto von Karl Valentin: nicht einmal ignorieren.

US-Präsident Joe Biden beschränkte seine Kontakte mit ihm auf das Allernötigste, und auch europäische Staats- und Regierungschefs mieden Treffen mit dem türkischen Staatschef. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs kann sich Erdogan nicht mehr über mangelndes Interesse des Auslands beklagen.

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Allein in den ersten zwei Kriegswochen konferierte der Präsident mit 35 ausländischen Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz. Mehrmals die Woche telefoniert Erdogan mit Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Auch wenn Erdogans Vermittlung im Ukraine-Konflikt bisher keine konkreten Ergebnisse erbracht hat: Der türkische Staatschef hat sich auf der internationalen Bühne zurückgemeldet. Anhänger des 68-Jährigen fordern schon den Friedensnobelpreis für Erdogan.

Erdogan profitiert davon, dass er im Ukraine-Konflikt bisher eine Parteinahme vermieden hat. Die Türkei hängt von russischen Erdgaslieferungen ab und sieht die Ukraine als wichtigen rüstungspolitischen Partner und Käufer von Kampfdrohnen.

Weder auf das eine noch auf das andere könne und wolle er verzichten, sagt Erdogan. Die Gratwanderung klappt nicht zuletzt deshalb, weil der türkische Präsident der einzige Staatschef eines Nato-Landes ist, der ein persönliches Vertrauensverhältnis mit Putin aufgebaut hat.

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Pragmatismus und Wandlungsfähigkeit sind Markenzeichen Erdogans. In den vergangenen Jahren hatte er die Türkei mit einer aggressiven Außenpolitik international isoliert. Vor einigen Monaten begann Erdogan dann damit, zerschlagenes Porzellan zu kitten und neue Kontakte zu Israel, Armenien, Griechenland und arabischen Staaten zu knüpfen.

Jetzt beendet die Türkei sogar ihren Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi, um die Beziehungen mit Riad zu reparieren.

Erdogan wird die Europäer nicht vergessen lassen, dass es die Türkei war, die Ukrainer und Russen an einen Tisch gebracht hat. Die Vermittlung hat aus seiner Sicht verdeutlicht, wie wichtig die Türkei im Konzert der internationalen Mächte ist. Für westliche Politiker wird es schwieriger, Karl Valentin zu folgen: Sie können Erdogan und die Türkei nicht mehr einfach ignorieren. 

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