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Das Wappen des Stuttgarter Stadtbezirks Möhringen ist umstritten.

© imago images/Arnulf Hettrich

Vertrackter Fall in Möhringen: Stuttgart sortiert das Mohren-Wappen aus

Das Möhringer Wappen erhitzt die Gemüter – wegen einer historischen Fehlinterpretation. Nun soll die Bevölkerung im Stuttgarter Bezirk ein neues Bild kreieren.

Am Anfang war ein erboster Aufruf. „Stuttgart-Möhringen: Rassistisches Stadtwappen umändern SOFORT!“, lautet der Titel einer Online-Petition vom Juni 2020. Das Wappen des Bezirks im Süden der baden-württembergischen Landeshauptstadt sei menschenverachtend und gehöre abgeschafft, steht in dem polternden Appell. Der Grund liegt im oberen rechten Eck des vierteiligen Bildes. Dort prangt ein Frauenkopf: rote Lippen, krauses Haar – und schwarze Haut. Die Abbildung erhitzt die Gemüter.

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Am Montag startete Stuttgart einen Ideenwettbewerb für ein neues Möhringer Wappen. Das alte soll alsbald in den Archiven verschwinden. Eine unmittelbare Reaktion auf die Petition ist der Schritt allerdings nicht. Die Wappen-Angelegenheit ist vielschichtigerer als zunächst ersichtlich. Es geht um Aufregung und Rassismusvorwürfe und um Fehlinterpretationen und Bürgernähe.

Möhringen auf den Fildern: Erst seit 1942 gehört der Ort zu Stuttgart, mittlerweile besteht er aus den Stadtteilen Möhringen, Fasanenhof und Sonnenberg.

Hier, zwischen den Universitätsbezirken Vaihingen und Hohenheim, leben rund 33.000 Menschen. Der Daimler-Konzern ist weggezogen, doch zahlreiche schwäbische und bundesweite Wirtschaftsschwergewichte sind hier fest verankert. Seit 2007 hat zudem das Afrika-Kommando des US-Militärs (AFRICOM) sein Hauptquartier in dem Bezirk.

Der Bezirk Möhringen liegt im Süden von Stuttgart.
Der Bezirk Möhringen liegt im Süden von Stuttgart.

© imago/Arnulf Hettrich

In einer Studie eines Immobilienfinanzierungsvermittlers vom März dieses Jahres konnte Möhringen in der Rangliste der lebenswertesten Bezirke Platz 7 von 23 belegen. Historische und moderne Architektur treffen hier genauso aufeinander wie verschiedene Kulturen – laut Statistikamt Stuttgart haben hier knapp 40 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Rassismus? Das dürfte den meisten in Möhringen fernliegen.

Trotzdem wurde es ab Juni vergangenen Jahres turbulent. Kaum war die Petition gestartet, schnellte die Zahl der Unterzeichnenden empor. Bis heute haben fast 11.000 Menschen unterschrieben, mitunter garniert mit empörten Kommentaren. Ein Boom-Effekt für die lokale Heraldik.

Wappen ohne offizielle Funktion

Kurios: „Das historische Wappen der ehemaligen Gemeinde Möhringen a.d.F. hat seit der Eingemeindung nach Stuttgart im Jahre 1942 keine rechtliche Bedeutung mehr“, erklärt Bezirksvorsteherin Evelyn Weis auf Tagesspiegel-Anfrage. Zudem sagt Stuttgarts Pressesprecher, Sven Matis, zum Tagesspiegel: „Das Wappen ist im Stadtbild kaum präsent“. Die Unruhe indes bleibt.

Die Problematik ist über die schwäbischen Grenzen hinaus bekannt. So steht etwa der aufsehenerregende Fall der Mohrenstraße in Berlin, der noch immer für Streit sorgt, symbolisch für den umstrittenen Umgang mit kolonialistisch geprägten Straßennamen. Zum Zeitpunkt des Möhringer Petitionsstarts war die hiesige Gesellschaft besonders sensibel für Fragen rund um Rassismus und kultureller Identität.

[Lesen Sie hier ein Interview mit dem Kulturhistoriker Wolfgang Kaschuba: Warum die Mohrenstraße weiter Mohrenstraße heißen soll (T+)]

Im Juni vergangenen Jahres gab es infolge der Tötung des Afroamerikaners George Floyd im US-Staat Minnesota nicht nur in den USA die berühmten Black-Lives-Matter-Massenproteste, sondern auch in Deutschland – und in Stuttgart.

Wille zur historischen Aufarbeitung deutlich

Inmitten dieser Wirren sahen sich auch die Stadt und insbesondere Möhringen infolge der Petition mit dem Rassismusvorwurf konfrontiert. Die Mohrin müsse weg. Die Lokalpolitik reagierte zügig, schließlich wurde das Thema im Gemeinderat bereits im Mai 2020 diskutiert. Eine Arbeitsgruppe nahm ihre Arbeit auf und schnell wurde klar: Ein komplett neues Wappen soll her.

In welchem Ausmaß diese eingeleiteten Schritte auf öffentlichen Druck hin erfolgten, ist nicht bekannt. In einer Mitteilung der Stadt erklärt Bezirksvorsteherin Evelyn Weis allerdings, die „Mohren“-Debatte habe den Bezirksbeirat dazu veranlasst, „sich erneut mit dem Wappen der ehemaligen Gemeinde Möhringen auf den Fildern auseinanderzusetzen“.

Auf Tagesspiegel-Nachfrage erklärt Weis: „Der Bezirksbeirat hat den Wunsch geäußert, den Einwohner*innen des Stadtbezirks ein identitätsstiftendes Wappen/Logo zur Verfügung zu stellen, worin sich alle drei Stadtteile wiederfinden.“ Demnach soll mit einem gemeinsamen Wappen trotz jeweils eigener Entwicklungsgeschichten die Zusammengehörigkeit gezeigt und gestärkt werden.

Das aktuelle Wappen hängt ist auch im Heimatmuseum Möhringen zu sehen.
Das aktuelle Wappen hängt ist auch im Heimatmuseum Möhringen zu sehen.

© Marijan Murat/dpa

Zudem heißt es in der Mitteilung zum Ideenwettbewerb, der Bezirksrat habe „schon im Juli 2020“ die Aufarbeitung der „gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinter der Entstehung des historischen Wappens“ als Ziel gesetzt.

Folgenreiche Fehlinterpretation

Bei diesem Vorhaben dürfte Irene Reichert eine bedeutende Rolle zukommen. Die Leiterin des Heimatmuseums Möhringen kennt die Geschichte des Bezirkes wie kaum eine zweite Person. Und sie ist von einem historischen Irrtum überzeugt. Der Name des Ortes sei falsch verstanden worden, sagt Reichert dem Tagesspiegel. Möhringen bedeute etwa „Stammessitz des Moro“ – der alemannische Fürst Moro wirkte zwischen laut Reichert 500 und 700 n.Chr. in der Region.

Zunächst habe das Wappen ein anderes Erscheinungsbild als heute gehabt: „Unser Wappen ist zusammengefügt und wahrscheinlich entstanden, als die Witwe des Pfalzgrafen von Tübingen (wahrscheinlich aus Geldgründen) Möhringen 1495 an das Katharinenkloster in Esslingen verkauft hat und dann die dreilatzige Fahne der Pfalzgrafen mit den Symbolen des Klosters, dem gebrochenen Rad der Katharina und den Kugeln der Mönchskutten zu einem neuen Wappen zusammengefügt wurden“, erläutert Reichert.

Das historische Wappen von Möhringen besteht lediglich aus drei Teilen.
Das historische Wappen von Möhringen besteht lediglich aus drei Teilen.

© Irene Reichert/Heimatmuseum Möhringen

Später sei es zur folgenreichen Fehlinterpretation gekommen - „aber erst um 1860/1870 herum“, sagt Reichert: „Auf einmal kam diese Mohrin ins Wappen.“ Die Forscherin sieht darin eine Vermengung von Fehlinterpretation und kolonialistischem Zeitgeist. „Das war damals eine Modegeschichte“, sagt sie. Der Mohr war „zu Zeiten der Deutschtümelei“ en vogue – wie später etwa bei der Berliner Schokoladenfirma Sarotti. Der Name Möhringen habe damals viele dazu verleitet, einen Bezug zu dunkelhäutigen und exotischen Personen zu dem Ort herzustellen.

Verein ISD mit gemischtem Urteil

Nun will sich der viertgrößte Stuttgarter Bezirk des Zankapfels entledigen. Alles gut also? Mitnichten, findet Tahir Della. Der Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) begrüßt im Gespräch mit dem Tagesspiegel die Möhringer Bestrebungen, fordert jedoch weiteres Engagement. Jede Entscheidung, sich von rassistischen Darstellungen, Bezeichnungen oder Zuschreibungen zu verabschieden, sei gut und wichtig, sagt Della.

Der Fall Möhringen verdeutliche, „dass unsere Gesellschaft durchdrungen ist von kolonialrassistischen Spuren und dem öffentlichen Raum beim Abbau dieser Verhältnisse eine zentrale Rolle zukommt“. Hierbei müsse es zudem historische Aufarbeitung mit „klar antirassistischen Ansätzen“ geben, sagt Della. Als Beispiel für „kolonialrassistischen Spuren“ nennt er die sogenannten Mohren-Apotheken, welche es auch in Stuttgart gibt.

Entscheidung erst im Frühjahr 2022

Doch die Stadt Stuttgart ist bereits sensibel für das Thema. So etwa hatte der Stadtrat vergangenes Jahr beschlossen, die Verträge der Schausteller auf dem Cannstatter Wasen um ein Verbot für diskriminierende Werbung und diskriminierende Gestaltungsmerkmale ihrer Fahrgeschäfte zu erweitern. Eine gut sichtbare Plastik dreier „Mohren“ an der Hausfassade des inzwischen geschlossenen gleichnamigen Restaurants im Stadtzentrum oder entsprechende Straßennamen mögen jedoch die ISD-Argumentation eines noch zu unreflektierten öffentlichen Raums bestärken.

Das historische Wappen befindet sich noch am Eingang des Spitalhofs in Möhringen.
Das historische Wappen befindet sich noch am Eingang des Spitalhofs in Möhringen.

© Irene Reichert/Heimatmuseum Möhringen

Das Möhringer Beispiel widerlegt allerdings die pauschalen Vorwürfe der Tatenlosigkeit. Der Bezirk setzt auf Bürgernähe und ruft ab diesem Montag „alle Einwohner*innen ab sechs Jahren“ dazu auf, an dem Ideenwettbewerb für ein neues Wappen teilzunehmen. Die Frist endet am 26. November und Ende März, so steht es in den Teilnahmebedingungen, soll die Auswahl enden. Dann sind auch die letzten Tage des Wappens auf der Stuttgarter Internetseite angebrochen.

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Bis zum Frühjahr 2022 ist also eine Entscheidung anvisiert, wobei der Bezirksbeirat in einer öffentlichen Sitzung entscheidet, welcher der eingereichten Entwürfe an die Stadtverwaltung weitergegeben wird. Für die drei Gewinnervorschläge sind Preisgelder in Höhe von insgesamt 1000 Euro ausgelobt.

Für die Teilnehmenden hat Heimatforscherin Reichert einen Vorschlag: „Lassen Sie uns zum alten Wappen zurückkehren“, sagt sie. „Das haben wir mehr als 500 Jahre lang gehabt.“ Sie selbst werde an dem Wettbewerb allerdings nicht teilnehmen.

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