zum Hauptinhalt
10.000 Flüchtlinge campieren in Zelten im griechischen Idomeni und hoffen darauf, dass sich die Grenze zu Mazedonien wieder öffnet.

© IMELA PANTZARTZI/dpa

Versperrte Balkanrouten: Grenzfall: Die Not in Griechenland

Weil die Balkanroute weitgehend geschlossen ist, stauen sich die Flüchtlinge in Griechenland. Wie geht das Krisenland damit um?

An der geschlossenen Grenze von Griechenland zu Mazedonien sitzen derzeit rund 10.000 Flüchtlinge fest. Auch kleine Kinder und alte Menschen sind darunter. Nur insgesamt 170 Menschen ließen die Grenzbeamten der kleinen Balkanrepublik in der Nacht zu Mittwoch und am Morgen in zwei Schichten passieren, allerdings nur Flüchtlinge aus Irak und Syrien. Die Regierung in Athen kann die wachsende Zahl an Flüchtlingen im Land aus eigener Kraft kaum noch bewältigen. Nun hat die EU zum ersten Mal einen Nothilfefonds zur Bewältigung der humanitären Krise beschlossen.

Wie ist die derzeitige Lage in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien?
Das Flüchtlingscamp in Idomeni ist völlig überfüllt. Für 2500 Menschen ist es eigentlich angelegt, vier Mal so viele Menschen sind es nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration derzeit. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) warnt bereits vor einer humanitären Katastrophe. Nicht einmal genug Zelte gibt es, sodass mehr als 1500 Menschen im Freien übernachten müssen – bei niedrigen Temperaturen und Nässe. Auch die sanitären Anlagen sind nicht für die große Zahl von Flüchtlingen ausgelegt, die medizinische Versorgung ist unzureichend. Die griechischen Behörden arbeiten daran, Notunterkünfte in der Umgebung aufzubauen. Doch mit dem stetigen Anwachsen der Flüchtlingszahlen fällt es den Helfern vor Ort schwer, Schritt zu halten.

Wie bewältigt Griechenland die Flüchtlingskrise?
Seit Österreich und die Westbalkanstaaten ihre Grenzen für Flüchtlinge praktisch geschlossen haben, hat die griechische Regierung auf Katastrophen-Modus geschaltet. Ehemalige Militärbaracken, Lagerhallen und Flugzeugplätze werden zur Zeit provisorisch in Aufnahmelager umgewandelt. Im Innenministerium in Athen geht man von 50 solcher Lager und mittelfristig 150 000 neuen Flüchtlingen auf dem griechischen Festland aus. Die drei Lager in Athen und Umgebung – darunter ein Hockeystadion – sind bereits seit dem vergangenen Wochenende überfüllt.

Auf den Inseln in der Ostägäis vor der türkischen Küste kommen täglich zwischen 1000 und 3500 Menschen an. Seit Januar waren es bereits knapp 160.000. Da Griechenland für die Flüchtlinge nach der Überquerung der Ägäis das erste EU-Land ist, müssen die Flüchtlinge nach EU-Recht hier registriert und aufgenommen werden. Das soll möglichst schon auf den griechischen Inseln in sogenannten Hotspots geschehen. Diese Hotspots, die Griechenland der EU bereits im Herbst vergangenen Jahres zugesagt hatte, laufen mittlerweile auf vier der fünf Inseln, die Flüchtlinge bevorzugt ansteuern: Lesbos, Chios, Leros und Samos. Auf Kos sperren sich Bürgermeister und Bevölkerung bislang gegen ein solches Sammellager für Flüchtlinge. Dort soll der Hotspot am 16. März seinen Betrieb aufnehmen, wie ein Sprecher des Innenministeriums in Athen angab.

Welche Forderungen stellt Griechenland an Europa?
Die griechische Regierung hat in Brüssel 480 Millionen Euro an Nothilfe zur Versorgung der Flüchtlinge beantragt. Ministerpräsident Alexis Tsipras glaubt nicht mehr, dass Österreich und die Balkanstaaten die Grenzschließung rasch rückgängig machen, auch wenn die Regierung dies besonders lautstark von Wien verlangt und ein Veto von EU-Beschlüssen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise ankündigte. Tsipras geht nun von einer zwei bis drei Monate dauernden akuten Krise in seinem Land aus. Bis dahin sollte das Programm zur Verteilung syrischer Kriegsflüchtlinge aus Griechenland über die EU greifen, dessen Umsetzung Athen immer wieder einfordert.

Darauf zu pochen sei „nicht gut durchdacht“, kommentiert Gerald Knaus, Leiter der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative, die auch die Bundesregierung in Sachen Flüchtlingskrise berät. Viel entscheidender seien die Übersiedlung syrischer Flüchtlinge direkt aus der Türkei in die EU und die volle Anwendung des bilateralen Abkommens zwischen Griechenland und der Türkei zur Rücknahme von Migranten.

Die türkische Seite nahm am Dienstag erstmals eine Rekordzahl von 308 Personen zurück. 500 weitere sollen am heutigen Donnerstag überstellt werden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Flüchtlinge der vergangenen Tage, sondern um illegale Immigranten, deren Fälle bereits älter sind. „Es ist ein erster Schritt für uns“, heißt es gleichwohl im Ministerium für Migrationspolitik in Athen. Von den Flüchtlingen, die durch die Hotspots auf den griechischen Inseln gehen, kann – anders als von Brüssel geplant – bisher keiner in die Türkei zurückgebracht werden.

Was beinhaltet der Nothilfefonds der EU?
Die EU will in der Flüchtlingskrise den von der Flüchtlingskrise betroffenen Staaten in den kommenden drei Jahren mit zusätzlichen bis zu 700 Millionen Euro unter die Arme greifen. Das hat der zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides am Mittwoch in Brüssel vorgeschlagen.

Es ist das erste Mal, dass in Brüssel ein Nothilfefonds zur Bewältigung einer humanitären Krise innerhalb der Europäischen Union aufgelegt wird. Die 700 Millionen Euro sind für alle EU-Staaten gedacht, die einen plötzlichen, starken Andrang von Flüchtlingen erleben – nicht nur für Griechenland. Griechenland erhält zwar schon Unterstützung von der EU, doch die aktuellen Instrumente lassen sich laut EU-Kommission nicht schnell genug einsetzen.

Die ersten 300 Millionen sollen so schnell wie möglich schon im laufenden Jahr fließen. Dazu will die Kommission den EU-Staaten und dem Europaparlament einen Nachtragshaushalt vorschlagen. Je 200 Millionen Euro sind für 2017 und 2018 vorgesehen.Die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament müssen den Plänen noch zustimmen. Mittel, die für Hilfe außerhalb der EU vorgesehen sind, werden dafür nicht angezapft.

Welche Rolle spielt Österreich in der Debatte über die Verteilung von Flüchtlingen aus Griechenland?
Österreich hat seine Politik in der Flüchtlingskrise inzwischen geändert und lässt ähnlich wie Mazedonien und andere Länder auf der Balkanroute täglich nur noch eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen ins Land. Da Deutschland ein solches Vorgehen ablehnt, hat Österreichs Bundeskanzlers Werner Faymann nun vorgeschlagen, Deutschland solle Flüchtlinge direkt aus Griechenland, Jordanien oder der Türkei holen, um sie in die Bundesrepublik zu bringen.

Die Bundesregierung will sich einen solchen Alleingang aber nicht aufzwingen lassen und reagierte prompt auf den diplomatischen Affront aus Wien. „Deutschland operiert nicht mit Tagesquoten“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Es gebe niemanden, dem die Bilder von den Flüchtlingen an der griechisch-mazedonischen Grenze nicht nahegingen. „Sie zeigen leider überdeutlich, wie notwendig es ist, dass Europa abgestimmt und gemeinsam agiert und nicht Binnengrenzen in einer Weise schließt, die dann bei anderen Mitgliedsstaaten die Belastungen in die Höhe schnellen lassen“, sagte Seibert. (mit dpa)

Zur Startseite