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Die Digitalisierung der Schulen hat Deutschland bisher verschlafen. Zeit zum Aufwachen.

© dpa

Verschlafene Digitalisierung der Schulen: Wir brauchen einen Quantensprung im Bildungswesen

In Estland ist digitales Lernen Kindersache, hier werden Hausaufgaben noch per E-Mail-verschickt. Wir müssen endlich aufholen. Ein Gastbeitrag.

Christian Lindner ist Bundesvorsitzender der FDP

Die abrupten Schulschließungen in der Corona-Krise sind eine historische Ausnahmesituation. Das Lernen von zu Hause ist für die Schulen, aber auch Eltern und Schüler, ein unglaublicher Kraftakt. Engagierte Lehrkräfte meistern die Phase des Improvisierens derzeit so gut es geht.

Gleichzeitig wird deutlich: Es rächt sich die verschlafene Digitalisierung unseres Bildungssystems. Während in Estland die Schulen mit digitalen Schulbüchern unkompliziert in das Lernen von zu Hause wechseln, müssen viele Lehrer in Deutschland über private E-Mail-Adressen mit Schülern und Eltern kommunizieren. De facto verstoßen sie damit gegen den Datenschutz.

Die PISA-Sieger haben das große Chancenpotenzial der Digitalisierung erkannt. In Dänemark gab es 2001 einen ersten Digitalpakt für die Schulen.

In Deutschland brauchte es hierfür im Frühjahr 2019 eine Grundgesetzänderung. Der Bund kann nun nicht nur in Gebäude, sondern damit verbunden auch in pädagogische Köpfe und Weiterbildungen investieren. Im Digitalpakt wurden von über fünf Milliarden Euro erst 150 Millionen abgerufen.

Das Missmanagement fällt uns jetzt auf die Füße

Konzepte für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften fehlen, sie blieben auf Wunsch der Länder in ihrer Hand. Auch wurde die Anschaffung digitaler Lernmittel ausgeschlossen. Nun dürfen seit Ende März zeitlich befristet auch Bildungsinhalte finanziert werden. Das Geld ist noch nicht geflossen. Ein solches Missmanagement fällt uns jetzt auf die Füße.

Es braucht nun einen klugen Stufenplan, wie Schulen schrittweise zurück in den Unterricht geführt werden können. Eine Debatte über die Verkürzung der Sommerferien gehört nicht dazu. Gleichzeitig müssen Lehrer und Eltern bestmöglich unterstützt werden.

Die Corona-Krise darf nicht zu einer fundamentalen Chancen-Krise werden. Trauen wir uns, frei und mutig über die Zukunft der Schule nachzudenken. Die jetzt geplanten 500 Millionen der Bundesregierung für bedürftige Schüler sind ein erster Schritt. Bis wir digitale Vorreiter und PISA-Sieger werden, ist es noch ein langer Weg.

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Wir brauchen jetzt einen digitalen Quantensprung für unser Bildungssystem. Es braucht Onlinekurse mit guten Inhalten, geschultes Lehrpersonal und einen Zugang zu mobilen Endgeräten für alle. Aus einem Pool von qualitätsgeprüften digitalen Lernangeboten sollten Schulen unkompliziert die für sich besten Angebote auswählen können.

Da diese Möglichkeiten im Digitalpakt nicht berücksichtigt sind, sollten ihn Bund und Ländern hierfür öffnen. Auch muss ein Digitalpakt 2.0 folgen, damit angeschaffte Technik dauerhaft Eingang in moderne digitale Lern- und Lehrmethoden findet.

Geschlossene Schulen vergrößern die soziale Kluft

Zweitens kann eine schrittweise Öffnung der Schulen unnötige Risiken vermeiden. Es ist eine kluge Entscheidung, dass zunächst Schülerinnen und Schüler, die kurz vor dem Abschluss stehen, in die Schulen zurückkehren. Geschlossene Schulen vergrößern jedoch die soziale Kluft in der Bildung. Deshalb sollten – sobald es die Fallzahlen zulassen – im Schichtmodell alle Klassenstufen auf verschiedene Zeitfenster oder Tage aufgeteilt werden.

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Drittens braucht es einen Plan B für die Abschlussprüfungen. Es ist richtig, dass die Abiturprüfungen in diesem Jahr stattfinden. Gleichzeitig ist es eine Chance, die Digitalisierung in den Schulen weiter voranzutreiben. Es gibt datenschutzkonforme digitale Plattformen.

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Warum können mündliche Prüfungen nicht auch per Videokonferenz stattfinden? Bundesweite Abschlussprüfungen für die Mittlere Reife und das Abitur hätten von Beginn an eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse sichergestellt und Alleingänge einzelner Länder verhindert.

Wir brauchen Kooperationsgebot zwischen Bund und Ländern

Die Corona-Krise zeigt: Der Bildungsföderalismus ist überfordert. Die Schulschließungen und -öffnungen sind unkoordiniert. Bei den Abschlussprüfungen gehen 16 Länder 16 unterschiedlichste Wege. Nicht einmal in Krisenzeiten können sich die Kultusminister auf ein gemeinsames Handeln einigen. Es braucht einen grundlegenden Systemwechsel.

Um schneller und effizienter zu agieren, sollte das paradoxe Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern abgeschafft werden. Beispielsweise um bundesweit Digitalkompetenzen und digitale Lern- und Lehrmethoden als feste Bestandteile der Lehrerausbildung zu verankern.

Wir brauchen ein Kooperationsgebot. Bund und Länder könnten dann in zentralen Bildungsfragen dauerhaft und nachhaltig zusammenarbeiten. Nicht nur in Krisenzeiten.

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