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Die britische Premierministerin Theresa May verkündet im Unterhaus die Verschiebung der Brexit-Abstimmung.

© AFP Photo/Pru

Verschiebung des Brexit-Votums: Theresa Mays Verzweiflungstat

Die britische Premierministerin ist politisch am Ende, will es aber nicht wahr haben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sebastian Borger

Zäh und unbeirrt hat die britische Premierministerin am zentralen Projekt ihrer knapp zweieinhalb Jahre währenden Amtszeit festgehalten: den vom Volk beschlossenen EU-Ausstieg im Einvernehmen mit Brüssel über die Bühne zu bekommen. Das Paket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung halten viele Partner auf dem Kontinent für ein weitgehendes Entgegenkommen, manchen gehen die Zugeständnisse sogar deutlich zu weit.

In London aber herrscht totale Uneinigkeit. Die Brexit-Ultras um Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg wollen Ende März ohne jeden Deal von der Klippe springen; dies hätte für die Wirtschaft auf dem Kontinent und in Irland schlimme, für die Briten selbst sogar katastrophale Folgen. Die EU-Freunde – Liberaldemokraten, schottische und walisische Nationalisten, große Teile von Labour, ein kleines Häuflein Konservative – streben das zweite Referendum und damit die Umkehr der 52:48-Prozent-Entscheidung an. Und die politische Mitte beider großen Parteien verharrt in den parteipolitischen Schützengräben.

Die Ideenlosigkeit der Brexiteers ist erschreckend

Theresa May hat Recht, wenn sie sagt: Besonders umstritten bleibt im Unterhaus die sogenannte Auffanglösung für Nordirland. Höflich umschrieben hat die Konservative die komplette Ideenlosigkeit der Tory-Brexiteers, was mögliche Alternativen angeht. Wie kann die Grenze zwischen Irland und der einstigen Unruheprovinz Nordirland offen bleiben, wenn dort bald die EU-Außengrenze liegt? Darauf bleiben die verantwortungslosen Kritiker jede Antwort schuldig.

Dennoch wurde in den vergangenen Tagen immer klarer: May hat im Parlament kaum noch Rückhalt. Die Verschiebung der Brexit-Abstimmung im Unterhaus stellt deshalb einen Verzweiflungsakt dar. Wenn sie vom EU-Gipfel diese Woche keine neuen Zugeständnisse mitbringt, wofür fast nichts spricht, hat eine Neuansetzung des Votums kaum noch Sinn. Der mühsam ausgehandelte Kompromiss würde im Abfalleimer landen. Und May wäre politisch am Ende, egal wie lange sie noch in der Downing Street aushält.

Gewiss hat die Konservative viele Fehler gemacht. Sie hat das knappe Ergebnis der Volksabstimmung als Votum für einen harten Brexit interpretiert, die annähernd vier Millionen EU-Bürger auf der Insel vor den Kopf gestoßen, durch eine unnötige Neuwahl ihre Parlamentsmehrheit zerstört. Wahr ist aber auch: Zu dem ausgehandelten Kompromiss mit Brüssel gibt es keine ernstzunehmende Alternative – es sei denn, man hält den Chaos-Brexit ohne Austrittsvereinbarung für akzeptabel. Der politischen Klasse Großbritanniens ist der Pragmatismus abhanden gekommen. Das wird das Land teuer zu stehen kommen.

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