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Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock beim digitalen Bundesparteitag in Berlin.

© Kay Nietfeld/dpa

Verschärfter Klimakurs: Was das Grundsatzprogramm der Grünen für Koalitionsverhandlungen bedeutet

Wer 2021 regieren will, kommt kaum an den Grünen vorbei. Das 1,5-Grad-Limit ist die Wegmarke ihres Programms. Union und SPD sehen genug Schnittmengen.

Mit ihrem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Pfad setzen die Grünen in ihrem am Wochenende beschlossenen Grundsatzprogramm eine Wegmarke für mögliche Koalitionsverhandlungen im nächsten Jahr. Die derzeitigen Regierungsparteien reagieren gelassen. Die Union baut auf Flexibilität. Die SPD sieht große Schnittmengen. Beide schließen derzeit die Neuauflage einer schwarz-roten Koalition aus und das hieße: Wer 2021 regieren will, kommt laut aktuellen Umfragen an den Grünen als Partner nur bei einer überraschenden Entwicklung vorbei.

Sowohl Christ- als auch Sozialdemokraten stehen zum Pariser Abkommen. So explizit wie nun die Grünen rücken sie den 1,5-Grad-Pfad bisher aber nicht in den Fokus ihrer Politik. Der CSU-Klimapolitiker im Bundestag, Andreas Lenz, äußerte sich auf Anfrage von Tagesspiegel Background skeptisch. „Bei den Grünen hat man oft das Gefühl, sie befinden sich in einem Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Darf es noch ein bisschen mehr sein?“, sagte er. Erst letztes Jahr hätten sie noch das heutige europäische Klimaziel für 2030 – eine Minderung von 55 Prozent der Treibhausgasemissionen – unterstützt.

Verschärfter Klimakurs der Grünen

„Nun wird schon wieder mehr gefordert.“ Natürlich sei ein Mehr immer gut: „Auch wir wollen ambitioniert bleiben. Doch die eigentliche Frage, wie das gelingen soll, ohne den Industriestandort Deutschland zu gefährden, beantworten die Grünen eben gerade nicht“, sagte Lenz, der in seiner Fraktion eher für einen progressiven Klimakurs eintritt. Für die Union gelte es nun, die eigenen Positionen beim Klima im Wahlprogramm gut herauszuarbeiten. Lenz machte deutlich: „Wir lassen uns da sicher nicht von den Grünen hetzen. Uns geht es um einen nachhaltigen Ansatz, der Ökonomie und Ökologie, aber auch soziale Belange zusammenbringt.“

Auch in der SPD zeigt man sich eher gelassen angesichts des verschärften Klimakurses der Grünen. „Nun machen die Grünen schon weitreichende Kompromisse vor vermuteten Koalitionsverhandlungen bei ihrem wichtigsten Thema Klimaschutz. Das nenne ich vorauseilend staatstragend“, kommentierte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch auf Anfrage leicht spöttisch.

Grundsätzlich stimmen Miersch die neuen Beschlüsse aber optimistisch: Sie zeigten, dass Grüne und die SPD „noch sehr gut zusammenpassen“. Die SPD habe sich nämlich mit dem Klimaschutzgesetz, dem Kohleausstiegsgesetz und aktuell mit den ehrgeizigen Forderungen beim EEG längst vorgearbeitet. „Wir können diesen Pfad gut gemeinsam weiter gehen. Denn auch für die nächste Legislatur haben wir sehr ähnlich Vorstellungen, wie zum Beispiel den Ausbau auf 100 Prozent erneuerbare Energien.“

Linke wolle mehr Gerechtigkeit

Miersch weist aber darauf hin, dass die Grünen keinesfalls bis 2021 warten müssten, um ihren Klimakurs durchzusetzen. „Bis zur Wahl wäre es hilfreich, wenn die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung schon ein wenig vom grünen Gestaltungsanspruch und -willen in den Ausbau der erneuerbaren Energien stecken würden, statt ihn zu blockieren – wie zum Beispiel bei der Standardisierung der Regelungen zum Artenschutz“, sagte der SPD-Politiker.

Er nimmt als aktuelles Beispiel die Verhandlungen rund um den Entwurf zur EEG-Novelle: Die Landesumweltminister – auch Grüne – würden seit einem Jahr die Artenschutz-Neuregelung blockieren, ohne die es eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren nicht geben werde.

Auch Linke und FDP werden sich mit dem neuen Klimakurs der Grünen beschäftigen müssen. Wollen die Linken 2021 mitregieren, bleibt ihnen nur die Hoffnung auf eine rot-rot-grüne Konstellation. Klima dürfte zwischen den Parteien zwar kein großes Streitthema sein, dennoch kommt der Linkspartei der Gerechtigkeitsaspekt in der grünen Klimapolitik oft zu kurz. „Im Unterschied zu den Grünen haben wir als Linke zum Beispiel dem CO2-Preis für Heiz- und Brennstoffe nicht zugestimmt, denn dieser würde für Mieterinnen und Mieter die Nebenkosten erhöhen, ohne dass sie Einfluss auf die Wahl ihrer Heizung haben“, machte Lorenz Gösta Beutin, klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion, Unterschiede deutlich. Die Linkspartei glaube nicht, dass „marktliche Instrumente ein Allheilmittel“ seien, denn auch die Lenkungswirkung sei fraglich.

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Jamaika wäre schwierig

Sollte es nicht reichen für Schwarz-Grün, könnte die FDP erneut zu Verhandlungen dazukommen – wenngleich eine Jamaika-Koalition aus Sicht der Grünen möglicherweise noch problematischer als 2017 wäre. Dann hätte sie gleich zwei Parteien, mit denen sie hart um den künftigen Klimakurs ringen müsste, nachdem dieses Thema noch einmal an Bedeutung gewonnen hat und Bewegungen wie Fridays for Future und neue Klimaparteien sie spürbar stärker unter Druck setzen.

Das zeigt auch die Reaktion von Lukas Köhler. „Die Grünen sind eine getriebene Partei. Auch in ihrem Grundsatzprogramm bleiben sie sich darin treu, grundsätzlich immer mehr zu fordern als andere Parteien“, sagte der klimapolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Klimaneutralität bis 2050 sei bereits ein extrem ehrgeiziges Ziel.

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