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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Chefs der Ministerpräsidentenkonferenz, Markus Söder (CSU) und Michael Müller (SPD).

© Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Verordnung für Geimpfte soll erst ab Juni gelten: Die Regierung verweigert Bürgern ihre Rechte

Grundrechte sind keine Verfügungsmasse. Die Regierung aber will sie Geimpften noch wochenlang vorenthalten, ohne dass das zu rechtfertigen wäre. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Da stockt einem schon der Atem. Was in der Pressekonferenz der Kanzlerin nach der Runde mit der Ministerpräsidentenkonferenz am Montagabend noch undeutlich blieb, stellten hernach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und einige Länderchefs klar: Die Bundesverordnung zugunsten von Geimpften und Genesenen soll erst Ende Mai kommen, also in fünf Wochen. 

Das ist schon erstaunlich, um es freundlich zu formulieren. Nachdem das Bundesgesetz zur „Notbremse“ bei gestiegenen Infektionszahlen nicht schnell genug durch Bundestag und Bundesrat gehen konnte, soll nun die begleitende Regelung für alle, bei denen Grundrechtsentzüge nicht mehr zu rechtfertigen sind, erheblich verzögert werden.

Das Ergebnis der Bund-Länder-Runde vom Montag läuft somit darauf hinaus, dass die Spitzen der Bundesregierung und zumindest ein Teil der Ministerpräsidentenkonferenz schlicht und ergreifend eine Art Rechtsverzögerung planen. Die Verordnung, für die sich die Bundesregierung eine gesonderte Kompetenz hat geben lassen, hätte eigentlich mit dem Gesetz zusammen vorgelegt werden müssen. Oder jedenfalls unverzüglich danach. 

Ausnahmeregelung geboten

Denn mit den weiteren Einschränkungen der Grundrechte durch das Bundesgesetz war es angesichts der Lage geboten, die nötigen Ausnahmen ebenfalls zu regeln. Denn die Zunahme der Infektionszahlen geht mittlerweile einher mit der Zunahme der Zahl der Geimpften. Dass für diese und auch Genesene keine Einschränkungen mehr gelten dürfen, weil sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weder sich noch andere gefährden, weiß man nicht erst seit Montag – das Robert-Koch-Institut hat das schon vor Wochen so mitgeteilt.

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Aber die Architekten der bundeseinheitlichen Regelung per Gesetz und Verordnung – Kanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und die Führungen der Koalitionsfraktionen – wollen das Gebotene offenbar erst einmal hintanstellen. Sie wollen die Situation aussitzen, weil sie ihnen politisch unangenehm ist. 

Verordnung erst Ende Mai

Nicht an diesem Mittwoch soll der Verordnungsentwurf im Bundeskabinett beschlossen werden, sondern erst kommende Woche. Und die im Gesetz verlangte Zustimmung von Bundestag und Bundesrat wird sich hinziehen bis zum 28. Mai. Dann gilt die Verordnung also praktisch ab Juni. 

Das Gesetz ist bis zum 30 Juni befristet. Die Verordnung damit auch. Was danach kommt, weiß man nicht.  Dass am Montag nur eine Art Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums auf dem Tisch lag und nicht schon ein ausformulierter Text einer Verordnung (was kein Hexenwerk gewesen wäre), hat schon gezeigt, in welche Richtung es gehen soll. 

Unmissverständliche Rechtslage

Dabei stand in dem Papier schon unmissverständlich drin, was geboten ist: Wenn bestimmte Personengruppen für andere nicht mehr ansteckend sind „oder das Restrisiko einer Weiterübertragung ganz erheblich auf ein auch in anderen Zusammenhängen toleriertes Maß gemindert ist“, dann entfallen die drei Begründungen für einschränkende Maßnahmen. Also die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Angemessenheit. Die Bundesregierung weiß also schon, was zu tun ist. Aber sie will jetzt nicht. Später reicht auch noch.

Grundrechte sind aber unveräußerliche und einklagbare Individualrechte und keine Verfügungsmasse für eine politische Führungsriege, die Bammel hat vor dem Volk. Vor allem vor jenen, die sich dann möglicherweise betrogen fühlen um Freiheiten wie eingeschränktes Shopping, Kinobesuch, Essen im Restaurant, Treffen mit Freunden in leicht größerer Runde als erlaubt. Das ist die große Mehrheit, jedenfalls für einige Monate. 

Die Minderheit der Betrogenen

Diejenigen, die nun tatsächlich betrogen werden, sind die Geimpften. Doch sie sind eine Minderheit. Viele Alte sind darunter, die vielleicht gar nicht so dringend alles an Freiheit zurückhaben wollen, aber doch - gerade in Heimen - besonders zu leiden hatten. Es waren auch die Älteren, die in der Pandemie bisher das höchste Risiko zu tragen hatten. Medizinisches Personal ist häufig doppelt geimpft, auch viele Pflegekräfte haben die zweite Spritze schon. Warum wird denen allen ihr Recht auf mehr Freiheit nun nochmals wochenlang verweigert?

Nichts spricht dagegen, dass zum Beispiel Kinos demnächst für Geimpfte öffnen. Nichts spricht gegen das Öffnen von Cafés, auch innen, für diese Gruppe. Was ist mit Lockerungen von Kontaktverboten in Heimen? Niemand kann auch gerechterweise unterbinden, dass ein geimpftes älteres Ehepaar eine Woche in eine Ferienwohnung an die Ostsee fährt, auch wenn dort der Inzidenzwert über 100 liegt und damit automatisch ein Beherbergungsverbot greift. 

Groteske Situation

Es ist ein Witz, dass Geimpfte nun unter Umständen leichter nach Griechenland fliegen können als nach Usedom zu fahren. Ebenso grotesk ist das Vorhaben, Geimpften allenfalls zuzugestehen, was auch Getestete an Möglichkeiten haben sollen.

Man hat nun also auf höchster Regierungsebene eine mindestens wochenlange Rechtsverzögerung beschlossen. Gegen eine Rechtsverordnung, die es nicht gibt, kann niemand klagen. Aber gegen das Gesetz. Und zu dem gehört die Ermächtigung zur Bundesverordnung zugunsten Geimpfter und Genesener. Diese nicht anzuwenden, gehört in den Zusammenhang, wenn nun in Karlsruhe geprüft wird, wie verhältnismäßig das Gesetz  ist. Man darf gespannt sein, was die Richter dazu sagen.

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