zum Hauptinhalt
Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel.

© Johanna Geron/REUTERS

Verkorkste Suche nach Juncker-Nachfolger: Die drei Fehler der Kanzlerin

Auf dem EU-Gipfel wird deutlich: Angela Merkel hat ihre Autorität überschätzt. Beim Streit über die EU-Spitzenposten agiert sie unglücklich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Georg Ismar

Die letzten Tagen waren keine guten für Angela Merkel. Zwei große Gipfel haben wie im Brennglas gezeigt, dass ihr Einfluss international schwindet. Das böse Wort der „lame duck“, der lahmen Ente macht die Runde. Nehmen wir Samstag, Osaka, G20-Gipfel. US-Präsident Donald Trump lobt Merkel als fantastische Frau, als großartige Freundin – und formt im Gespräch mit ihr die Merkel-Raute.

Als wolle er sie auf den Arm nehmen. Sie listet die gewaltigen Investments deutscher Unternehmen in den USA auf, um Strafzölle gegen deutsche Autokonzerne zu verhindern. Trump interessiert das nicht die Bohne, er droht mit neuen Zöllen gegen Europa. Okay, Trump ist Trump – aber abgesehen von der generellen Krise des Multilateralismus ist Merkel in Osaka oft nur noch Außenseiterin  – früher gab sie zum Beispiel beim Klimaschutz den Ton an, doch seit sie auch daheim die Klimaziele reißt, hat sie enorm an Überzeugungskraft eingebüßt. Und die Welt ist noch komplizierter geworden.

Nehmen wir Montag, Brüssel, EU-Gipfel. Obwohl ihr Kandidat Manfred Weber von dem Wahlausgang der Europawahl her EU-Kommissionschef werden müsste, hat sie ihn aufgegeben. Nun soll es der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans werden. Das wäre so, als wenn Merkels Union die Bundestagswahl gewinnt, mit der SPD als Juniorpartner eine Koalition bildet und dann Olaf Scholz das Kanzleramt überlässt.

Die Methode Merkel hat sich abgenutzt

Bei Weber war es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der gesagt hat: Der ist unfähig. Dass Merkel nun Timmermans unterstützt, bringt ihr im eigenen Laden viel Ärger ein. Sie sucht halt immer den Kompromiss, der machbar ist. Die Methode Merkel.

Aber anders als bei der Griechenland-Rettung oder in der Ukraine-Krise dominiert sie die Lösungssuche nicht mehr, ihr Einfluss schwindet für alle sichtbar. Und sie hat es in 14 Jahren Kanzlerschaft bisher nicht geschafft, für das größte EU-Land einen der Top-Exekutivjobs in Brüssel rauszuholen.

Die Konservativen haben im aktuellen Postenpoker schwere Fehler gemacht

Im aktuellen Postenpoker sind ihr und den Christdemokraten gleich drei schwerwiegende Fehler unterlaufen: Erstens war Weber war falsche Spitzenkandidat bei der Europawahl. Er hatte noch nie ein Regierungsamt und sollte nun Chef der EU-Regierung werden. Er gilt vielen Staats- und Regierungschefs als Leichtgewicht.

Zweitens: Merkel dachte, die Alternative mit Timmermans ginge durch – verliert sie das Gespür für Stimmungen? Drittens: Merkel hat ihre Autorität und ihren Einfluss überschätzt, das Postenpaket halbwegs unkompliziert und schnell in der EU durchzusetzen.

Ja, Osaka und Brüssel zeigen auch, dass Egoismus und nationale Interessen die internationale Politik dominieren. Für Merkel ein Graus. Aber sie wirkt ermattet, eine Kanzlerin auf Abruf, da spätestens 2021 Schluss ist. Vieles hängt nun an den Wahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September – vor allem die SPD könnte danach so in Turbulenzen geraten, dass die Koalition auseinanderfliegt.

Vielleicht schafft es Merkel, sich in die deutsche Ratspräsidentschaft zu retten

Aber so ist es halt oft am Ende von Kanzlerschaften, Helmut Kohl ging es ähnlich. Im Gegensatz zu Kohl ist Merkel aber weiterhin sehr beliebt, während ihre möglichen Nachfolger bei der CDU wenig Begeisterung auslösen.

Sie hat oft Politik nach der Konjunktur eines Themas gemacht – und anderes dann vernachlässigt. Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Flüchtlings-Aufnahme, nun ist das Klimathema wieder heiß, sie will kein Pillepalle mehr. Jetzt auf EU-Ebene ein überzeugendes Gesamtpaket zu liefern, ist praktisch ihre letzte Chance, ihrer Kanzlerschaft noch einmal einen richtigen Ruck zu geben.

Dann könnte sie es auch bis zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft Mitte 2020 schaffen und auch international noch mal stärker glänzen als derzeit. Die SPD beschwerte sich früher gerne, man stehe im Maschinenraum und schufte, während Merkel vom Sonnendeck grüße und die Lorbeeren einfahre. Heute steht Merkel eher im Regen. Aber schon Gerhard Schröder pflegte zum „lame duck“-Vorwurf immer zu sagen: „Hinten sind die Enten fett.“ Oder um es mit Helmut Kohl zu sagen: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ 

Zur Startseite