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Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Bundesministerin der Verteidigung spricht bei dem Besuch des I. Deutsch-Niederländische Korps Anfang September 2020 mit einem Soldaten.

© Guido Kirchner/dpa

Verhandlungen über den Verteidigungsetat: Warum Deutschland trotz Covid-19 mehr für Verteidigung ausgeben sollte

Am Dienstag beginnen die Verhandlungen über den deutschen Verteidigungshaushalt. Unsere Gastautoren von der DGAP meinen: Er muss gleich bleiben oder wachsen.

Sophia Becker und Torben Schütz sind Research Fellows im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Christian Mölling ist Forschungsdirektor der DGAP.

Wie in jedem anderen europäischen Land beginnt im Herbst in Deutschland die heiße Phase der Haushaltsverhandlungen für das nächste Jahr. Auch wenn es eigentlich der wichtigste hoheitliche Auftrag ist - das Geld der eigenen Bürger für deren Wohl einzusetzen - ist dies seit langem kein rein nationaler Akt mehr. Covid-19 hat die finanziellen Abhängigkeiten innerhalb von Europa erhöht - spätestens seit der Einrichtung des „EU Recovery Funds“: Die Europäische Kommission wird für diesen Topf an Coronahilfen im Namen der EU Kredite aufnehmen.

In der Verteidigungspolitik sind die EU-Ländern längst stark voneinander abhängig

Auch im Verteidigungsbereich weisen die Zeichen in eine europäische Richtung: Nicht (nur) wegen EU und Nato müssen wir Verteidigung gemeinsam denken: In der Vergangenheit wurden militärische Fähigkeiten derart abgebaut, dass sie gar nicht mehr in jedem Land, manchmal nicht einmal mehr im Verbund vorhanden sind. Veränderungen in einem Land haben deshalb bei den Nachbarn Konsequenzen. Da die Covid-Krise überall Löcher in die Haushalte für 2021 reist, dürften diese gegenseitigen Abhängigkeiten schmerzhaft spürbar werden. Das betrifft auch den deutschen Verteidigungshaushalt. Hier droht der geplante Anstieg mindestens zum Erliegen zu kommen. Der Etat könnte sogar kleiner ausfallen. Dies hätte gravierende Folgen für die Europäische Verteidigung.

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Deutschland bildet im europäischen Geflecht von Rüstungs- und Militärbeziehungen das unbestrittene Zentrum. Frankreich ist zwar die größte Militärmacht der EU. Der wichtigste Kooperationspartner für die meisten Europäer ist jedoch die Bundesrepublik.

Die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern sind fester Bestandteil der Sicherheitsplanung Deutschland

Die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern sind fester Bestandteil der Sicherheitsplanung Deutschlands – so steht es auch im Weißbuch 2016, das die strategischen Ziele und Prinzipien der deutschen Verteidigungspolitik festschreibt. Zentrale Rüstungsprojekte sind entweder Kooperationsprojekte oder direkt relevant für die gemeinsamen Truppenverbände. Wir bauen U-Boote mit Norwegen, Panzer und Flugzeuge mit Frankreich. Deutsche Verbände für die Schnelle Eingreiftruppe der Nato (VJTF) rüstet die Bundeswehr so aus, dass andere sich ankoppeln können. Das schafft gegenseitige Abhängigkeiten.

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Neben diesen gemeinsamen Projekten und Abhängigkeiten ist europäische Sicherheit auch immer die Summe ihrer Teile. Das Rückgrat gerade bei kostspieligen, aber unverzichtbaren Fähigkeiten wie der Luftverteidigung werden meist von größeren Staaten wie Deutschland bereitgestellt. Kleinere Partner können sich diese nicht allein leisten. Zugleich sind es diese teuren hochtechnologischen Fähigkeiten, an denen es Europa schon jetzt am meisten mangelt.

Deutsche Haushaltsentscheidungen haben europäische Konsequenzen

Deutsche Haushaltsentscheidungen haben also schon länger europäische Konsequenzen – auch im Verteidigungsbereich. Dass der deutsche Verteidigungshaushalt seit 2014 wächst, hat die Europäisierung erst möglich gemacht. Zunächst galt es, die seit den 1990er Jahren entstandenen Lücken beim Material und bei der Modernisierung zu schließen und fehlendes Personal zu rekrutieren. Doch auch der Gedanke der Kooperation war prägend. Deutschlands Partner stellen sich mit ihren Planungen schrittweise auf deutsche Angebote ein - allen voran die Niederlande, die ihr Heer bereits tiefgreifend mit Deutschland verzahnt haben.

Diese positive Dynamik droht nun durch die Auswirkungen von Covid-19 auf die öffentlichen Haushalte zum Stillstand zu kommen oder sogar umgekehrt zu werden. In Anbetracht der wirtschaftlichen Krise stehen alle Europäer vor der gleichen Frage: Wo kann gespart werden und wie stellen wir gleichzeitig die Sicherheit und Verteidigung Europas sicher? Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass zumindest in südeuropäischen Ländern wie Italien und Spanien die Verteidigungsbudgets stark unter Druck geraten werden. Im Ostseeraum könnten die Budgets 2021 stabil bleiben – hier sind die Haushalte aber nicht besonders groß.

Deutschland hat eine Vorbildrolle in der Verteidigungspolitik - ob es das will oder nicht

So unfair es sein mag – alle schauen nun darauf, welche Priorität Deutschland der Verteidigung in den nächsten Jahren einräumt. Welche Schwerpunkte setzt das reichste Land und die größte Ökonomie in Europa – das Land, das offensichtlich bislang so gut durch die Covid-Krise gekommen ist? Diese Rolle als Regionalmacht wider Willen hat sich lange abgezeichnet. Wenn Deutschland sie ablehnt, vertut es die Chance, Europa mehr Kohärenz zu geben; nimmt Deutschland die Rolle nicht an, werden andere das Vakuum nutzen, um Europa zu spalten.

Deutschland muss also seine nationalen Haushaltsplanungen dieses Mal noch vorausschauender und mit Blick auf die Europäischen Partner führen. Dabei kommen zwei weitere Eigenheiten zum Tragen: Militärische Fähigkeiten zu schaffen, dauert oft mehr als ein Jahrzehnt - sie abzubauen gelingt hingegen quasi über Nacht. Und: Auch Stillstand ist Abbau. Halbfertige Panzer schrecken ebenso wenig ab wie veraltete Software oder untrainierte Soldaten. Der Betrieb des Alten ist so wichtig wie die neuen Projekte.

Wenn Deutschland weniger für Verteidigung ausgibt, wäre das ein fatales Signal

Sollten europäische Partner Verteidigungshausalte kürzen und Fähigkeiten abbauen, werden multilaterale Verteidigungskooperationen insgesamt leiden. Deutschland kann hier proaktiv Schadensbegrenzung betreiben und mit gutem Beispiel vorangehen. Bei der bisherigen Budgetplanung zu bleiben, wäre dafür ein erstes wichtiges Signal. Deutschland sollte daher trotz der Krise daran festhalten, dass das Verteidigungsbudgets wächst. Man könnte dafür plädieren, dass das Budget schneller als bisher wächst, um wegbrechende Beiträge von Partnern auffangen zu können. Eine andere Variante wäre ein europäischer Unterstützungsfond, der das kurzfristige Wegbrechen von Fähigkeiten mangels Geldes verhindert. Die Auswahl der infrage kommenden Fähigkeiten würde über die Prioritätenlisten von EU und Nato bestimmt.

Da Geld und Verteidigung in Europa so eng zusammenhängen, sollten sich Europäer untereinander schneller und umfassender informieren. Gerade in dieser heißen Phase der Budgetverhandlungen und gerade, wenn es um gegenseitige Hilfe geht. Die europäischen Staaten können sich über die Gesprächskanäle in der EU und der Nato austauschen . Oder aber einige Staaten bauen auf nationaler und europäischer Ebene ein neues engmaschiges Monitoring auf, über das sie schnell Hinweise auf Veränderungen in Budgets, Strukturen oder Strategien erhalten.

Der Verteidigungshaushalt sollte gleich hoch bleiben oder wachsen

Bundesregierung und Bundestag müssen den schnellen Veränderungen durch Covid-19 bei den Partnern in Europa Rechnung tragen. Der Verteidigungshaushalt sollte gleich hoch bleiben oder wachsen. Deutschland hat jetzt die Chance, seinen eigenen Ansprüchen zu genügen und das zu tun, was seine europäischen Partner erwarten: Führen durch Vorbild.

Sophia Becker, Torben Schütz, Christian Mölling

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