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Flüchtlinge aus Mali im Lager Maingaize im Niger.

© picture alliance / Carola Frentz

Verhandlungen mit Niger: Fluchtursachen in Afrika bekämpfen: So geht es nicht

Die Bundesregierung will, dass "Transitstaaten" wie Niger Flüchtlinge stoppen. Das offenbart ihre Ahnungslosigkeit von der afrikanischen Realität. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Paul Starzmann

Offene Grenzen sind der Schlüssel zu Wachstum und Wohlstand. Davon sind viele afrikanische Regierungen überzeugt. Nach dem Vorbild der EU bauen sie überall auf dem Kontinent Staatsgrenzen ab, damit sich Waren und Menschen frei hin und her bewegen können. Zum Beispiel zwischen den Ländern Niger und Mali, beides Mitglieder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas.

Nigers Staatspräsident Mahamadou Issoufou ist gerade zu Besuch in Deutschland. An diesem Mittwoch empfängt ihn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Schloss Meseberg. Issoufou soll ihr helfen, die Migration aus Afrika zu stoppen. Niger ist ein „Transitstaat“, durch den Migranten aus ganz Westafrika nach Norden ziehen. Die Bundesregierung will, dass das Land die Grenzen schließt.

Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hingegen wünscht sich offene Grenzen in Afrika. Der innerafrikanische Freihandel könne die Wirtschaft im Süden ankurbeln und so „Fluchtursachen bekämpfen“, hofft man im BMZ.

Die Bundesregierung verfolgt eine widersprüchliche Strategie: Einerseits sollen die afrikanischen Staaten ihre Grenzen öffnen, um per Handel ihre Wirtschaft in Gang zu bringen. Andererseits sollen sie die Grenzen dichtmachen, um die Migration zu stoppen.

Die widersprüchliche Politik fußt auf zwei Fehlannahmen, die Berlins Ahnungslosigkeit von der afrikanischen Realität offenbaren. So glauben die Strategen in Berlin, die Regierung von Niger könne mal eben so Tausende Kilometer Grenzverlauf in der Sahara sichern. Selbst wenn die Verantwortlichen in der Hauptstadt Niamey dazu entschlossen wären – logistisch wäre es wohl unmöglich.

Migration ist in Afrika seit Jahrtausenden normal

Außerdem übersehen die Diplomaten und Fachpolitiker in Berlin, dass offene Grenzen seit jeher der Normalfall in Afrika sind. Länder wie Niger sind nicht erst seit gestern „Transitstaaten“. Seit Jahrtausenden wandern Menschen durch die Sahara. Schon im Mittelalter war die Wüste eine Brücke zwischen den wohlhabenden Königreichen in Westafrika und den Gesellschaften im Mittelmeerraum. Durch den Gold- und Salzhandel über die uralten Karawanenrouten stieg etwa das sagenumwobene Timbuktu im 15. Jahrhundert zu einem wichtigen Geschäftszentrum auf. Neben unzähligen Märkten beherbergte die malische Oasenstadt in jener Zeit eine der bedeutendsten Universitäten der Welt. Der Schlüssel zu Wohlstand und Fortschritt – in Afrika lag er schon immer in der Migration.

Das alles ignoriert die Bundesregierung, wenn sie heute die Schließung der Sahara-Routen fordert. Sie handelt wie die ehemaligen Kolonialherren, die im späten 19. Jahrhundert künstliche Grenzen auf dem Reißbrett zogen. Auch sie glaubten, Afrika sei ein „geschichtsloser Kontinent“, in dem sich über die Köpfe der Bevölkerung hinweg nach Belieben schalten und walten ließe.

Das zeigt, dass die „Afrikapolitik“ der Bundesregierung ein echtes Problem hat. Sie ist nicht nur in der Grenzfrage widersprüchlich. Das Hauptproblem ist, dass Afrika in Berlin geringgeschätzt wird. Trotz einer einschlägigen G20-Initiative unter deutschem Vorsitz sind weder Außenministerium noch Kanzleramt bisher mit durchschlagenden Vorstößen zum Thema aufgefallen sind. Mit dem CDU-Politiker Günter Nooke hat Merkel zwar einen eigenen Afrikabeauftragten. Doch der sitzt nicht im Kanzleramt, sondern hat sein Büro drei Kilometer entfernt im Entwicklungsministerium. Dort liegt die Federführung der deutschen „Afrikapolitik“. Das offenbart den einseitigen Blick auf den Kontinent. Er wird nur als Hilfsfall wahrgenommen. Trotz aller Beteuerung von „Augenhöhe“ und „Partnerschaft“ – Chefsache ist Afrika in der deutschen Hauptstadt nicht. Es sei denn, es geht um die Eindämmung von Migration. Dann lädt Merkel auch schon mal nach Meseberg ein.

Entwicklungsminister Müller alleine am Kabinettstisch

Langfristig soll sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) um die Migrationsfrage kümmern. Er sieht die Lösung im „fairen Handel“. Die EU soll ihre Grenzen für „alle afrikanischen Güter“ öffnen, fordert er. Das Problem ist: Der interkontinentale Freihandel hat noch kaum einem afrikanischen Land etwas gebracht. Den Kleinbauern vor Ort hilft es wenig, wenn sie zwar zollfrei Waren nach Europa verkaufen dürfen, ihr heimischer Markt aber gleichzeitig von hochsubventionierten Billigexporten aus der EU geflutet wird.

„Wir müssen dem Kontinent einen neuen Stellenwert einräumen - auch politisch“, forderte Müller kürzlich in der „Welt“. Er hat Recht. Doch solange der Entwicklungsminister an Merkels Kabinettstisch mit dieser Forderung alleine bleibt, wird sich in der deutschen „Afrikapolitik“ nichts ändern. So fördert man Fluchtursachen, anstatt sie zu bekämpfen.

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