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Erdogan sieht plötzlich keine Probleme mehr mit Deutschland. Umgekehrt sieht Gabriel das nicht ganz so. (Archivbild)

© dpa

Verhältnis Türkei - Deutschland: Erdogan funkt Freundschaft

Der türkische Präsident ändert den Ton. Auch Außenminister Gabriel streckt die Hand aus. Aber Verhandlungen sind noch nicht in Sicht.

Am Ende gibt es immer das Foto mit dem Chef. Recep Tayyip Erdogan sitzt an der Stirnseite des polierten Konferenztischs, oft leger mit einer Strickweste statt Sakko angetan, seine Journalisten um sich geschart. Nur das Blumengesteck in der Mitte des Tischs in der Präsidentenmaschine ändert sich. Dieses Mal war es eine Komposition aus Dahlien, weiß, rosa und rot. „Wir müssen die Zahl der Feinde verringern und die Zahl der Freunde erhöhen“, sagte Erdogan beim Flug nach Tunesien, wie eine mitreisende Journalistin des türkischen Massenblatts „Hürriyet“ am Donnerstag rapportierte.

Zu den Feinden der Türkei zählte Erdogan bisher auch die SPD, die CDU und die Grünen, sowie die Niederländer mit ihrem „verdorbenen Charakter“. Das ist jetzt anders. „Meine Kontakte mit Steinmeier und Merkel sind immer sehr gut gewesen“, erklärte der türkische Staatschef seinen Journalisten. „Wir haben keine Probleme mit Deutschland, den Niederlanden oder Belgien. Im Gegenteil. Jene, die in den Regierungen dieser Länder sind, sind meine alten Freunde.“

Sigmar Gabriel und Sebastian Kurz, der deutsche Außenminister und dessen ehemaliger Kollege aus Österreich, der jetzt Kanzler ist, fehlten in Erdogans neuer Liste der alten Freunde. Beide hatte Türkeis Präsident in der Vergangenheit in Reden als anmaßend und unverschämt abgekanzelt. Beide Politiker steckten dieser Tage aber auch den Horizont für das künftige Verhältnis der EU mit der Türkei ab. Kurz schrieb im Koalitionsvertrag mit der rechtsgerichteten FPÖ den Satz vom „endgültigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei“ hinein und vom „europäisch-türkischen Nachbarschaftskonzept“ als neuer Lösung. Gabriel gab über die Weihnachtstage die Losung von einem „klugen Abkommen“ der EU mit dem Austrittsland Großbritannien aus, das als Modell auch für die Beziehungen mit der Türkei dienen könnte.

Die Abfuhr

Diese erste Abfuhr aus regierungsnahen türkischen Kreisen geht wohl am Kern von Gabriels Vorschlag vorbei, spiegelt aber die zweideutige Haltung des Präsidentenpalasts in Ankara wieder: Erdogan proklamiert einerseits weiterhin die Vollmitgliedschaft in der EU als „strategisches Ziel“ der Türkei; andererseits droht der türkische Staatspräsident aber mit einem Volksentscheid über die Fortsetzung der Verhandlungen, weil die Geduld der Türken mit den Europäern 54 Jahre nach dem Abschluss des Assozierungsabkommens erschöpft sei. Gabriel jedoch greift nur auf, was ein renommierter türkischer Politikwissenschaftler seit Monaten als realistischen Neustart der Beziehungen zwischen Europa und der Türkei zur Diskussion stellt.

Jemand in Sigmar Gabriels Team habe vielleicht ein Papier von Sinan Ülgen gelesen, twitterte Marc Pierini, der ehemalige Leiter der EU-Delegation in Ankara, diese Woche. Pierini und Ülgen sind derzeit beide „visiting scholars“ in Brüssel, bei der Europa-Filiale der amerikanischen Denkfabrik Carnegie. Ülgen hatte im vergangenen März zunächst in einer Studie eine konzertierte Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der Türkei vor dem Hintergrund der Brexit-Verhandlungen empfohlen.

Britische und türkische Entscheidungsträger stünden vor einer sehr ähnlichen Herausforderung, schrieb Ülgen: „Beide müssen ein Verhältnis zu Europa unter neu veränderten Annahmen über ihren zukünftigen Status aufbauen. Das Vereinigte Königreich ist dabei, ein Nichtmitglied der EU zu werden, während die Türkei begreift, dass sie vielleicht nie ein EU-Mitglied werden wird.“

Modernisierung der Zollunion

Ülgen, der selbst ein eigenes Forschungsinstitut in Istanbul leitet, das Zentrum für wirtschafts- und außenpolitische Studien (EDAM), sieht zwei gemeinsame Felder, die Großbritannien und die Türkei mit der EU neu aushandeln müssen: Zollunion und Sicherheitspolitik. Mitte Dezember legte Ülgen nach und präsentierte eine Studie, die sich allein auf die Vertiefung der Zollunion zwischen der Türkei und der EU konzentriert. „Handel als Anker der Türkei in der EU“ heißt der Titel. Die Idee: Durch eine Ausweitung und Vertiefung der Zollunion würde sich die Türkei wieder zurück zur Demokratie bewegen. Wandel durch Handel also. Eine „neue, engere Form der Zollunion“ ist auch das, was Sigmar Gabriel wenig später in einem Interview vorschlägt.

Verhandlungen über die Modernisierung der Zollunion, auf die Ankara schon seit Jahren drängt, könne es aber angesichts der derzeitigen Lage im Land nicht geben, schränkte Gabriel ein. Die Freilassung von mittlerweile drei deutschen Staatsbürgern aus türkischer U-Haft hält er für ein positives, aber nicht ausreichendes Zeichen. Damit liegt der Außenminister auf Linie mit der Kanzlerin. Angela Merkel hatte im Wahlkampf ausgeschlossen, dass Berlin unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem Mandat zu Verhandlungen der EU mit der Türkei über die Zollunion zustimmt.

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