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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) neben Markus Söder (CSU, l), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, sowie Michael Müller (SPD, r), Regierender Bürgermeister von Berlin.

© Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Vergeblicher Kampf gegen Corona: Merkels Superregierung, die es nicht bringt

Nicht nur das Virus mutiert, sondern auch das Regierungssystem. Der Staat greift zu tief in die Demokratie ein. Das muss gestoppt werden. Ein Gastbeitrag.

Stephan Bröchler ist Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

Wir leben in der Corona-Demokratie. Seit dem ersten Lockdown im März 2020 ist die Bekämpfung der Covid-19 Pandemie in das Zentrum der parlamentarischen Demokratie gerückt. Damit das Gesundheitssystem aufgrund der hohen Infektions- und Todeszahlen nicht kollabiert, greift der Staat seitdem vielfach und gravierend in die Demokratie ein.

Am Dienstag dieser Woche haben sich Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten erneut getroffen, um bestehende Corona-Maßnahmen zu verlängern und sogar noch weiter zu verschärfen. Die Taktung der Entscheidungen bleibt weiterhin hoch. Doch wie verändert das Regieren in der Pandemie die Demokratie?

Die Corona-Pandemie ist die Zeit des Intensivstaates. Um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, nutzt der Staat ein breites Spektrum von Instrumenten. Das Infektionsschutzgesetz greift mit drastischen Geboten und Verboten unmittelbar in Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, um die Inzidenzzahlen in den Griff zu bekommen.

Mit wohlfahrtsstaatlichen Eingriffen und Programmen in bisher nicht gekanntem Ausmaß sollen die Folgen der Pandemie für Wirtschaft und Gesellschaft abgefedert werden.

Großer Aufwand, ernüchternde Bilanz

Trotz des enormen Aufwands des Intensivstaates ist die bisherige Leistungsbilanz ernüchternd. Den Anfangserfolgen der Corona-Regierung stehen deutliche Defizite in der Folgezeit gegenüber. Das größte Politikversagen liegt darin, dass es dem Regierungsmanagement nicht gelang, das Infektionsgeschehen einzuhegen, bis ausreichend Impfstoff für alle zur Verfügung steht.

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Die Folgen zeigen sich in der sinkenden Zustimmung zum Kurs der Regierung. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte Mitte Dezember 2020, dass nur noch 35 Prozent der Befragten die Maßnahmen für richtig hielten. Demgegenüber forderten nunmehr knapp 50 Prozent deutlich schärfere Maßnahmen.

Die handwerklichen Fehler der Regierung

Handwerkliche Fehler des Regierungsmanagements kommen hinzu. So musste das Infektionsschutzgesetz seit März aufgrund rechtlicher Mängel bereits zweimal im Hauruck-Verfahren novelliert werden. Defizite an vorausschauender Planung werden beim zentralen Baustein der Pandemiebekämpfung deutlich: der Organisation und Durchführung der Impfung der Bevölkerung.

Negative Folgen für die parlamentarische Demokratie zeigen sich in Veränderungen der Regierungsmaschinerie.

Ein kleiner Kreis trifft die Beschlüsse, das ist eine institutionelle Mutation

Seit Beginn der Pandemie erleben wir eine bisher nicht gekannte Machtzentralisierung bei den Regierungschefs von Bund und Ländern. Es entstand ein neues informelles Entscheidungssystem, eine Art Super-Coronaregierung, das in unserer Verfassung nicht vorkommt.

Die institutionelle Mutation im Regierungssystem zeichnet das Bild einer exekutiven Corona-Demokratie. Beschlüsse zur nationalen Pandemiebekämpfung werden zuerst im Kreis von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidentenkonferenz gefällt. Erst danach werden Bundes- und Landesregierungen, Bundestag und Bundesrat eingebunden.

Die Minister sind Vorentscheider und Mitregenten

Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich zum Vorentscheider und Mitregenten in der Pandemie entwickelt. Zu besichtigen ist die Super-Regierung in den Pressekonferenzen, die von hohem Medieninteresse begleitet werden. Und das aus gutem Grunde, denn hier verkünden Bundeskanzlerin, der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz und sein Stellvertreter die neuesten Entscheidungen der Pandemiebekämpfung.

Die Verflechtung von Kanzler- und Ministerpräsidentendemokratie hat weit reichende Folgen für das Regieren im föderalen Bundesstaat. Kabinettsbeschlüsse werden zum Stempelkissen von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidentenkonferenz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), nimmt neben Markus Söder (CSU, r), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, sowie Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, an der Pressekonferenz nach den Beratungen von Bund und Ländern über weitere Corona-Maßnahmen teil.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), nimmt neben Markus Söder (CSU, r), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, sowie Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, an der Pressekonferenz nach den Beratungen von Bund und Ländern über weitere Corona-Maßnahmen teil.

© Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Die Kabinette im Bund und in den Ländern können nur noch im Nachhinein abnicken, was bereits beschlossen wurde. Denn welcher Bundes- oder Landesminister würde schon gegen die Beschlüsse des eigenen Regierungschefs aufbegehren? Bundestag und Landtage haben alle Mühe, nicht das Schicksal des Stempelkissens zu teilen.

Die Kabinette können nur noch abnicken

Betroffen sind sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsfraktionen. Auf dem Tandem von Regierung und Parlamentsmehrheit müssen selbst die Spitzen der Regierungsfraktionen des Bundestages lautstark das Wort ergreifen, um das Gehör der mächtig in die Pedale tretenden Kanzlerin zu finden. Zum Beispiel, als der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagfraktion Ralph Brinkhaus die Kanzlerin öffentlich im Deutschen Bundestag dafür rügte, zu wenig an den Entscheidungen beteiligt zu werden.

Probleme verursacht die exekutive Demokratie zudem für die Opposition. Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke sind selbst Teil der Super-Coronaregierung, denn die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Bodo Ramelow sind dort Mitentscheider. Für eine abweichende Oppositionspolitik im Bundestag bleibt wenig Raum.

Vorsicht: Für die Bewältigung der Klimakrise ist diese Strategie nicht geeignet

Die informelle Coronaregierung erweist sich als ungeeignet, um als Vorbild für die Bewältigung weiterer Notlagen zu dienen, wie etwa die Klimakrise. Im Gegenteil: Sie ist ein Beispiel für eine ungeeignete Strategie. Die Bevölkerung hat gravierende Einschränkungen der Freiheits- und Partizipationsrechte zu erdulden.

Politische Gestaltungsspielräume für die künftige Generation werden durch die Rekordverschuldung erheblich eingeschränkt. Die Corona-Regierung ist überfordert, denn sie muss unter hohem Erfolgsdruck im Stakkato Entscheidungen unter Bedingungen von Unsicherheit und Risiko mit ungewissen Erfolgsaussichten treffen.

Das Regierungssystem nimmt Schaden, weil die Machtzentralisierung der Super-Regierung aus Kanzlerin und Ministerpräsidentenkonferenz die föderale Gewaltenteilung verwischt.

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Trotz des großen administrativen wie medialen Aufwands ist die Super-Coronaregierung nur eingeschränkt zu klaren und konsistenten Regierungsentscheidungen in der Lage. Im Kabinett kann sich die Kanzlerin auf ihre Richtlinienkompetenz berufen, aber im informellen Coronagremium besitzt sie keine herausgehobene Entscheidungskompetenz.

Ihre Forderung nach härteren Maßnahmen konnte sie gegenüber den Ministerpräsidenten erst durchsetzen, als sich das Pandamiegeschehen drastisch verschlimmerte. Die Coronaregierung erweist sich immer wieder als ein Gremium von Vetospielern, weil einzelne Länderchefs abweichende Sonderregelungen einfordern und auch durchsetzen. Die Wunschvorstellung einer einheitlichen Regierungslinie stößt schnell an seine Grenzen.

Die zentrale Lehre aus der Pandemie lautet, die parlamentarische Demokratie in die Lage zu versetzen, widerstandsfähiger gegen Hochrisikolagen wie Covid-19 zu werden. Die Demokratie muss resilienter gegen das Virus werden. Angesichts der beträchtlichen Nebenwirkungen wäre es unklug, das Ende der Pandemie abzuwarten, zumal wir nicht wissen, wann dies der Fall sein wird.

Priorität hat die Rückkehr zum Normalbetrieb der parlamentarischen Demokratie. Es gilt, die intensive informelle Politikverflechtung von Kanzler- und Ministerpräsidentendemokratie zu entflechten, zumal sie nur über eine eingeschränkte Problemlösungsfähigkeit verfügt.

Willensbildung muss wieder ohne Vorschaltung einer informellen Super-Regierung erfolgen

Willensbildung und Entscheidungsfindung muss wieder ohne Vorschaltung einer informellen Super-Regierung in den zuständigen Institutionen der parlamentarischen Demokratie in den Regierungen und Parlamenten des Bundes und der Länder erfolgen.

Wie geboten es für die Parlamente ist, die Zuständigkeiten zwischen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidentenkonferenz wieder zu entflechten, zeigen die Turbo-Novellierungen des Infektionsschutzgesetzes im vorigen November im Deutschen Bundestag.

Das Hauruckverfahren demonstrierte zwar parlamentarische Entscheidungsfähigkeit, aber der Preis war beträchtlich. In der liberalen Demokratie soll das Parlament nicht lediglich über die Entscheidungen der Regierung abstimmen, sondern die Willensbildung mitgestalten.

Der Bundestag sollte mehr Selbstbewusstsein zeigen

Der Bundestag sollte auch im Ausnahmezustand der Pandemie mehr Selbstbewusstsein zeigen und daran erinnern, dass die Regierung nicht erwählt, sondern vom Parlament gewählt ist. Schnelligkeit parlamentarischer Entscheidungen ist kein Wert an sich. Im Gegenteil: Zu schnelle Entscheidungen erhöhen die Fehleranfälligkeit und verschlechtern damit die Qualität der Gesetze.

Zu wenig Beratschlagung macht den Gesetzgeber zum Reparaturbetrieb. Aus diesem Grund darf der Austausch von Argumenten auch in Pandemiezeiten nicht dem Handlungsdruck, unter dem die Regierung ohne Zweifel steht, geopfert werden. In der Demokratie ist nicht nur die Verabschiedung eines Gesetzes, sondern auch der Weg dorthin konstitutiv, weil nur so Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sind.

Je schwerer der Eingriff in die Grundrechte ist, umso zwingender bedarf es der parlamentarischen Debatte und den Anhörungen in den Ausschüssen. Zurecht wird deswegen Kritik am Turboregieren lauter.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach den Beratungen von Bund und Ländern über weitere Corona-Maßnahmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach den Beratungen von Bund und Ländern über weitere Corona-Maßnahmen.

© Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Besonderes Augenmerk sollte der Opposition im Bundestag gelten. Die Aufnahme einer Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament würde beitragen, die parlamentarische Demokratie resilienter zu machen. Tatsächlich ist das bestehende Instrumentarium für Kritik, Kontrolle der Regierung und Alternativentwicklung vielfältig und im internationalen Vergleich beachtlich.

Für eine Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber der Opposition

Doch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, Große und Kleine Anfragen, das Recht auf Akteneinsicht sind allesamt reaktiv. Sie erfordern, dass die Opposition bei der Regierung um Informationen nachsuchen muss. Eine Informationspflicht der Bundesregierung würde die bestehenden reaktiven Rechte um ein aktives Instrument, die Bringpflicht der Regierung gegenüber dem Parlament erweitern.

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In einer Reihe von Bundesländern ist eine solche Informationspflicht bereits verwirklicht und in den Landesverfassungen kodifiziert.

Gefordert ist nicht nur der Bundestag, das sind auch die 16 Landesparlamente. Im föderalen System der Bundesrepublik sind die Länder nicht nur über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Infektionsschutzgesetzes beteiligt, sondern auch für die Umsetzung der Pandemiepolitik unverzichtbar.

Die Debatte über die konkreten Umsetzungsstrategien, wie Öffnung und Schließung von Schulen, gehört auch in die Landesparlamente. Die parlamentarische Aussprache eröffnet die Chance, die unterschiedlichen Positionen kritisch zu reflektieren und Alternativen zu besprechen. All das trägt dazu bei, die Transparenz der Entscheidungen zu verbessern und die Legitimität der getroffenen Maßnahmen zu erhöhen.

Stephan Bröchler

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