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Rechtsradikale provozierten am 21. August im sächsischen Heidenau die Polizei.

© imago/Christian Ditsch

Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen: „Hetze gegen Flüchtlinge führt zu weiterer Radikalisierung“

Verfassungsschutzpräsident Maaßen über die Konsequenzen der aggressiven Rhetorik der Rechten, die Gefahr von Anschlägen und die Rolle der NPD bei den Auseinandersetzungen in Heidenau.

Von Frank Jansen

Herr Maaßen, der Zustrom von Flüchtlingen nimmt kein Ende. Droht der Bundesrepublik ein heißer Herbst mit noch mehr rechter Gewalt?

Durch die rechtsextreme Hetze wird Gewalt natürlich angestachelt. Ebenso wie die Asylbewerberzahlen sind auch die fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten durch Rechtsextremisten im ersten Halbjahr 2015 stark angestiegen. Eine Trendwende für die zweite Jahreshälfte ist derzeit nicht abzusehen.

In welchem Maße ist die NPD für gewaltsame Proteste wie in Heidenau verantwortlich?

In Heidenau hat die NPD zumindest auf eine Eskalation der Auseinandersetzungen hingewirkt. Sie hat die Sorgen und den Unmut der Bürger aufgenommen und durch ihre Hetze eine fremdenfeindliche Proteststimmung gefördert. Es muss überall dort, wo Flüchtlinge in Deutschland untergebracht sind, deutlich werden, wo der legitime demokratische Prostest endet und wo die fremdenfeindliche Hetze beginnt.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.

© dpa

Erstarkt die Partei trotz ihrer jahrelangen Krise jetzt wieder?

Wir dürfen die NPD nicht unterschätzen. In einigen Regionen ist sie auf kommunaler Ebene verankert, verfügt über etablierte Strukturen und ist nach wie vor handlungsfähig. Wo sie einen vergleichsweise hohen Organisationsgrad hat, tritt sie offen auf und ist ein öffentlichkeitswirksamer Akteur.

Welche Rolle spielen bei der Hetze gegen Flüchtlinge andere rechtsextreme Parteien wie „Die Rechte“, „Der Dritte Weg“ und „Pro NRW“?

Asyl ist seit Jahren das beherrschende Thema bei allen rechtsextremistischen Parteien. Auch diese widmen einen Großteil ihrer Aktivitäten der Anti-Asyl-Agitation: Sie führen Demonstrationen und Kundgebungen gegen geplante oder genutzte Asylbewerberunterkünfte durch oder verteilen Flugblätter in deren Nachbarschaft. Bemerkenswert ist, dass sich die Internetseiten der Parteien nahezu vollständig auf dieses Thema fokussieren. Auch wenn sie sich verbal von den Gewaltexzessen distanzieren, tragen rechtsextremistische Parteien eine Mitschuld daran, wenn einige Protestierer zur Gewalt gegen Asylbewerber schreiten.

Ist bei der Welle von Brandanschlägen und weiteren Angriffen auf Unterkünfte für Flüchtlinge eine Koordination von Neonazis und anderen Rechtsextremisten zu erkennen?

Bisher gibt es noch keine konkreten Hinweise für eine zentrale Steuerung durch Rechtsextremisten. Wir beobachten sehr aufmerksam, ob die Angriffe möglicherweise regional oder überregional koordiniert werden. Wir tragen beispielsweise im „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ laufend die Erkenntnisse aus den Sicherheitsbehörden zusammen und bewerten sie. Es gibt aber sicher auch Gewalttaten, die aus der Situation heraus begangen werden oder keinen rechtsextremistischen Hintergrund haben.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich in der rechtsextremen Szene weitere rassistische Terrorzellen nach dem Muster des NSU bilden?

Die aggressive Rhetorik und Hetze gegen Flüchtlinge und Asylbewerber führt zu einer weiteren Radikalisierung in der rechtsextremistischen Szene. Damit wird ein Trend bestätigt, den wir schon in den letzten Jahren festgestellt haben: Die rechtsextremistische Szene schrumpft zwar insgesamt, aber der Anteil der gewaltorientierten Rechtsextremisten nimmt zu, zuletzt auf etwa 50 Prozent. In einer derart aufgeheizten Stimmung können wir nicht ausschließen, dass sich Gruppen bilden, die dazu bereit sind, rechtsterroristische Anschläge zu verüben. Im Fall der im Mai von der Polizei zerschlagenen „Oldschool Society“ (OSS) haben die Verfassungsschutzbehörden frühzeitig entsprechende Absichten erkannt und mögliche Anschläge verhindert.

Hans-Georg Maaßen (52) ist seit dem 1. August 2012 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und damit Nachfolger von Heinz Fromm.

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