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Im ehemaligen Gästeschlafzimmer des Bayernkönigs Ludwig II. im alten Schloss Herrenchiemsee auf der Herreninsel tagte 1948 der Verfassungskonvent.

© dpa

Verfassungskonvent 1948: Der Grund für die Demokratie

Zwei Wochen Streiten auf Herrenchiemsee: Vor 70 Jahren entstand unser Grundgesetz. Die Verfassungsväter legten den Grund für eine geglückte Demokratie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es gibt Grund, dem bayerischen Ministerpräsidenten dankbar zu sein. Ja, doch – nur nicht gerade dem amtierenden, sondern einem seiner Vorvorgänger, genauer: dem dritten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der hieß Hans Ehard und gehörte auch schon der CSU an. Also so wie der heutige. Nun leuchtet aber zuweilen das Gestern ins Heute herüber, und so ist es beim Verfassungskonvent vom 10. bis zum 23. August 1948. Für den können wir bis heute dankbar sein. Und mehr als das.

Die hohen Herren – es waren seinerzeit nur Herren – hatten knapp zwei Wochen Zeit, bis der Parlamentarische Rat tagen würde, der auf ihre Vorschläge wartete. Sie saßen in dieser Zeit eng beisammen im Konventstock des Augustiner-Chorherrenstifts auf Herrenchiemsee im schönsten Bayern. Ehard, der Ministerpräsident, der später auch noch einmal Justizminister werden sollte, verfügte, dass die Herren unbeeinflusst von amtlichem Getriebe gründliche Arbeit leisten sollten. Und wie!

Der Parlamentarische Rat 1948.
Der Parlamentarische Rat 1948.

© imago/ZUMA/Keystone

Einer dieser Herren war übrigens der legendäre (und heutzutage viel zu selten noch erwähnte) Carlo Schmid, der Württemberg-Hohenzollern vertrat. Von ihm heißt es, er habe die einleitenden Worte Ehards nicht gehört, weil er am Steg der Insel stehend eine Lieferung des geschätzten Trollingers erwartet habe. Aber das nur am Rande.

Staunenswertes Ergebnis

149 Artikel waren dann das staunenswerte Ergebnis nach diesen (wenigen) Tagen des Streitens unterschiedlicher Charaktere und politischer Herkünfte auf hohem, auf intellektuellem Niveau: Grundlage für das Grundgesetz der Bundesrepublik, wie es danach vom Parlamentarischen Rat verabschiedet wurde. Die Verfassung der Republik war eine neue, buchstäblich, mit der Garantie der Menschenrechte oder auch der politischen Einspruchsrechte, darunter das konstruktive Misstrauensvotum im Parlament. Und eben Carlo Schmid war es zu verdanken, dass das Grundgesetz, zum Provisorium deklariert, offen blieb für eine mögliche Wiedervereinigung. Wie weitsichtig!

Allerdings: Der Passus, dass Männer und Frauen gleichberechtigt seien, der war nicht den Männern vom Herrenchiemsee zu verdanken, sondern einer Frau im nachfolgenden Parlamentarischen Rat, Elisabeth Selbert.

Warum wir uns der Tage im August vor Jahrzehnten erinnern sollen, ist aber nicht nur die Dankbarkeit oder das Staunen darüber, dass es dieser Runde – von Anti-Nazis bis zu ehemaligen Nazi-Mitläufern – gelungen war, diesen neuen Anfang zu machen. Vielmehr ist es die Verpflichtung, die aus diesem Gelingen in die Gegenwart und Zukunft hineinragt: sich immer wieder neu darauf zu einigen, was für dieses Land das Beste sein möge. Ob es um ein Einwanderungsgesetz oder das Asylrecht geht, das Ergebnis des Konvents auf Herrenchiemsee mahnt zu politischen Diskursen, die diesen Namen auch verdienen.

Zumal sich im Grunde jeder und jede die Föderation der Werte dieser Bundesrepublik ganz praktisch zu eigen machen kann. Mit dem Bekenntnis zur Vergangenheit und in der Verantwortung dafür, immer wieder aufs Neue versöhnen zu wollen, statt Spaltung zuzulassen. In diesem Sinn ist uns heute ein Solidaritätsempfinden mit denen zuzumuten, die 1948 eine tragfähige Lösung für ein besseren Morgen geschaffen haben: Sie legten den Grund für eine geglückte Demokratie. Halten wir sie in guter Verfassung.

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