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Mittlerweile gilt mancherorts in Deutschland auch eine Maskenpflicht in der Fußgängerzone.

© Peter Kneffel/dpa

Verdruss über den Corona-Flickenteppich: Was ist nötig, damit die Stimmung nicht kippt?

Politiker sorgen sich um die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen. Die einen fordern jetzt wieder mehr Macht für den Bundestag, die anderen einheitliche Regeln.

So unter Beschuss war die Corona-Politik von Kanzlerin Angela Merkel bisher in kaum einer Phase. Und so diffus, wie sich das Ausbruchsgeschehen derzeit darstellt, so diffus wirken auf viele Menschen inzwischen auch die Pandemie-Maßnahmen.

Wenn Einschränkungen nicht mehr schlüssig erscheinen, Gerichte Maßnahmen kippen und der Bundestag sich nicht berücksichtigt fühlt, wird es schwierig mit der Akzeptanz in der Bevölkerung. Dabei wird diese mit entscheiden, wie Deutschland in den kommenden Monaten durch die Pandemie kommt. Ein Überblick zur aktuellen Debatte:

Woran genau entzündet sich aktuell die Kritik?

Vor allem die FDP kritisiert eine „regierungszentrierte Corona-Verordnungspolitik“. Aber bis in die Reihen von Union und SPD ist das Unbehagen groß, dass die wichtigen Entscheidungen in den Kreisen von Kanzlerin Merkel und den Ministerpräsidenten getroffen werden.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mahnt eine wieder stärkere Rolle des Bundestags als Gesetzgeber bei der Pandemiebekämpfung an. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae kritisiert: „Die weitreichenden Verordnungsermächtigungen wirken auf manchen Minister wie eine Droge, von der sie nicht mehr loskommen und am Ende immer mehr brauchen.“ Der Bundestag und die Landesparlamente müssten sich ihre Macht jetzt wieder zurück holen.

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Das wirksamste Mittel zum Brechen der Infektionswelle ist eine rasche und deutliche Reduzierung von Kontakten. Doch einige der Maßnahmen, die das Erreichen sollen, sind vielerorts als unverhältnismäßig eingestuft worden.

„Setzt sich die Reihe der Schildbürgerstreiche der Regierungschefs weiter fort, drängen sie immer mehr an sich rechtstreuen Bürgern Illegalität auf“, sagt FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann mit Blick auf Maßnahmen, die sich nicht als gerichtsfest und damit als nicht legal erwiesen haben. In der ersten Phase kippten Gerichte Vorgaben, wonach nur Geschäfte bis 800 Quadratmeter wieder öffnen dürfen. Nun sind es Beherbergungsverbote, die wieder kassiert worden sind.

Wieso ist die Lage anders als während der ersten Pandemiewelle?

Auch in der ersten Phase trafen Bund und Länder Entscheidungen, die dann von Landeskabinetten und Parlamenten umgesetzt wurden. Oft war es der Druck für rasche Entscheidungen, der im Rekordtempo zu Beschlüssen für Milliardenpakete und ein neues Infektionsschutzgesetz führte.

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Es gab aber mehr Einheitlichkeit, von Kita- und Schulschließungen bis zum Teil-Lockdown. Dann machten die Länder aufgrund eines regional unterschiedlichen Infektionsgeschehens stärker länderspezifische Regelungen, Merkel entglitt dadurch etwas das Krisenmanagement und nun fällt es schwer, alle wieder auf eine stringente Linie einzuschwören.

Was aber nicht vergessen werden darf: Der Bundestag hat am 25. März 2020 die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt, wodurch das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt wurde, „durch Anordnung oder Rechtsverordnung“ verschiedene Maßnahmen zu treffen.

Mit dem nun bekannt gewordenen und dem Tagesspiegel vorliegenden Entwurf eines neuen Gesetzes „zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, sollen die Sonderregeln über den 31. März 2021 hinaus verstetigt werden. Auf dieser Basis könnte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Beispiel Reisebeschränkungen erlassen. Die FDP fordert dagegen, dass die epidemische Lage nationaler Tragweite sofort aufgehoben wird.

Wie kann mehr Akzeptanz erreicht werden?

„Ich bin ein überzeugter Föderalist, aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine Grenze stößt“, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er ist dafür, dem Bund dauerhaft mehr Rechte beim Infektionsschutz zu übertragen, um das Dilemma zu lösen.

„Wir können nicht auf Dauer die gesamte Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen nur der Verwaltungsgerichtsbarkeit übergeben“, sagt er. Vieles könne in einer Pandemie zudem nicht in herkömmlichen parlamentarischen Debatten entschieden werden, sondern müsse schneller erfolgen.

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Er befürwortet auch eine Nachschärfung der beschlossenen Bund/Länder-Maßnahmen, um die Akzeptanz wieder zu verbessern, etwa eine bundesweit einheitliche Maskenpflicht. Bei mehr als 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen solle eine Maskenpflicht auf stark frequentierten öffentlichen Plätzen, am Arbeitsplatz und in Schulen gelte. Zudem soll ab Überschreiten der 50er-Grenze die Sperrstunde für Lokale überall schon ab 22 Uhr gelten.

Söder wies die Kritik einer unzureichenden Mitsprache zurück: „Das Parlament ist ständig dabei. Das Parlament wird bei allen Gesetzen eingebunden.“ Zudem attackierte er die FDP, die in mehreren Landesregierungen die Entscheidungen mitgetragen hat. „Es gibt nicht nur die AfD, auch andere politische Kräfte, die tagtäglich versuchen, die gesamten Maßnahmen zu relativieren und die Bevölkerung nahezu aufrufen, nicht mitzumachen.“

Worauf kommt es von Krisenexperten jetzt an?

„Nach zehn Monaten Corona sind viele Bürger des Themas müde. Sie verhalten sich - überspitzt formuliert - wie kleine Kinder, die unmittelbar nach der Abfahrt in den Urlaub fragen, wann sie endlich da sind“, sagt der Krisenexperte Frank Roselieb, der das Institut für Krisenforschung in Kiel leitet. Das Ziel „der langen Corona-Reise“ werde aber frühestens im Herbst kommenden Jahres erreicht sein.

Notwendig sind laut Roselieb nun zwei Formen der Krisenkommunikation. Zum einen müsse es von Zeit zu Zeit immer wieder Ad-hoc-Botschaften bei einer vorübergehenden Eskalation der Lage geben. Das habe bisher recht gut geklappt - beispielsweise mit den Brandreden der Bundeskanzlerin am 18. März 2020 und am vergangenen Wochenende.

Zum anderen müsse die Bundesregierung ein gewisses „kommunikatives Grundrauschen“ erzeugen, beispielsweise in Regionen, in denen das Infektionsgeschehen noch recht überschaubar sei. Dadurch solle in ereignisarmen Phasen das Bewusstsein wachgehalten werden, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei, meint Roselieb. „Das klappt derzeit weniger gut.“

Aus Sicht des Krisenexperten gibt es drei Faktoren, die sich negativ auf die Akzeptanz der Maßnahmen auswirken. „Erstens sitzt die Politik einige Entscheidungen aus - wohl aus Furcht vor zu harten, unangenehmen Entscheidungen“, sagt Roselieb. Das sei beispielsweise beim Beherbergungsverbot der Fall gewesen.

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Hier habe man kurzerhand bis zum Ende der Schulferien gewartet - oder auf erste Gerichtsurteile. „Dadurch hat sich zwar das Problem von selbst gelöst, die Akzeptanz in der Öffentlichkeit aber nicht unbedingt gesteigert. Tenor: Die Politik macht bei den Krisengipfeln ihre Hausaufgaben nicht.“

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Zweitens seien die Botschaften zum Teil widersprüchlich. „So waren Deutschlandreisen im Sommer noch ausdrücklich erwünscht - und bezogen auf der Infektionsgeschehen völlig ungefährlich“, sagt Roselieb. Nun seien sie plötzlich in Teilen verboten und sollten besser freiwillig ganz unterbleiben.

„Hier hat die Politik nicht genug erklärt, dass wir nun vom Sommermodus der Pandemiebekämpfung in den Wintermodus schalten. Weil die Menschen nun wieder enger zusammensitzen, sind die Maßnahmen jetzt deutlich strenger.“

Drittens seien die Menschen im Sommer aufgerufen worden, viel Eigenverantwortung im Umgang mit der Pandemie zu zeigen. Das reiche aber in der kalten Jahreszeit nicht aus. Nun trete die Fremdkontrolle in Form von Sperrstunden wieder stärker in Erscheinung. Der einzige der diesen Moduswechsel unterschwellig adressiert habe, sei Markus Söder. „Mit der Tasse ,Winter is coming‘ im Fernsehauftritt zum CSU-Parteitag“, sagt Roselieb.

Was empfehlen Soziologen?

Auch für die Potsdamer Soziologin und Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer sind die wichtigsten Faktoren im Kampf um die Akzeptanz: Transparenz und Nachvollziehbarkeit. In den Bundesländern werde zum Teil ein und dieselben Faktenlage unterschiedlich ausgelegt. „Das verwirrt die Leute und führt zu Verdruss.“ Sie plädiert etwa für einen einheitlichen Umgang mit Risikogebieten.

Schädlich sei, wenn die Bürger das Gefühl hätten, bestimmte Politikerinnen und Politiker in den Bundesländern besonders nur deshalb eine harte Corona-Linie führen, um sich zu profilieren. „Gerade bei Risikokommunikation sollte der Eindruck vermieden werden, eine bestimmte politische Agenda stünde hinter den Maßnahmen.“

Negativ auf die Akzeptanz wirkt sich laut Schweizer auch aus, wenn Menschen das Gefühl haben, es werde mit zweierlei Maß gemessen. Schweizer war kürzlich Gast in einer Radiosendung, da schaltete sich ein Laienschauspieler zu. Dieser hatte kein Verständnis dafür, dass Fußballspielen im Verein erlaubt ist, aber das Theaterspielen nicht. „Solche Dinge sind unlogisch. Da wäre eine Vereinheitlichung dringend notwendig“, meint Schweizer.

Zudem dürfe kein falsches Bild von wissenschaftlicher Arbeit vermittelt werden. „Es muss immer klar kommuniziert werden: Die wissenschaftliche Erkenntnis schreitet voran. Da gibt es nicht die eine Wahrheit, die sich nicht mehr verändert. Maßnahmen müssen auch revidiert oder angepasst werden“, sagt Schweizer. Sie hält es auch für unklug, „magischen Zahlen“ in der Kommunikation eine zu hohe Bedeutung beizumessen.

Damit meint Schweizer beispielsweise den Schwellenwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. „Solche Schwellenwerte unterliegen immer den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und können sich ändern“, sagt sie. Wenn trotz Überschreitung eines viel beschworenen Schwellenwertes nichts passiere, verstünden die Leute das nicht. Besser als sich auf Schwellenwerte zu fokussieren, sei es, Verhaltensstrategien zu kommunizieren. Schweizer nennt als Beispiel die AHA+L-Regel, also Abstand, Hygiene, Alltaskmaske und Lüften.

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