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Eine Fußgängerzone in London ist gut besucht.

© Niklas HALLE'N / AFP

Verdopplung innerhalb einer Woche: Großbritannien meldet 18.270 Neuinfektionen

Die Delta-Variante lässt die Zahl der Neuinfektionen in Großbritannien explodieren. Zeit für härtere Auflagen?

Großbritannien entwickelt sich immer mehr zum Sorgenkind der Pandemie in Europa. Am Samstag stieg die Zahl der Corona-Neuinfektionen auf den höchsten Stand seit mehr als vier Monaten. Als Ursache gilt die Delta-Variante. Die erstmals in Indien nachgewiesene Variante wird als 40 bis 60 Prozent ansteckender eingeschätzt als die Alpha-Variante.

Die Behörden meldeten 18.270 neue Fälle - rund 2400 mehr als am Vortag und so viele wie seit dem 5. Februar nicht mehr. Im Vergleich zum vorigen Samstag hat sich die Zahl fast verdoppelt.

Dabei sah es viele Wochen lang so gut aus: Großbritannien hatte seit dem Jahresbeginn gute Erfolge mit einer schnellen Impfkampagne gefeiert – und weitgehende Öffnungsschritte umgesetzt. Nun musste die für Juni geplante Aufhebung aller Corona-Maßnahmen kurzfristig um vier Wochen verschoben werden.

Nachdem die Zahl der täglichen Todesopfer dank der Impfkampagne in Großbritannien zwischenzeitlich auf 0 gesunken war, starben in den vergangenen sieben Tagen 110 Menschen an Covid-19, das waren fast 53 Prozent mehr als in der Vorwoche.

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Die Regierung drückt wegen Delta bei der Impfkampagne nun aufs Tempo. Am Wochenende konnten sich Menschen landesweit ohne Anmeldung in Impfzentren eine Spritze setzen lassen. Es bildeten sich lange Schlangen. Insgesamt haben bisher mehr als 32,2 Millionen Menschen die für den vollen Impfschutz notwendigen zwei Dosen erhalten - gut 60 Prozent der Erwachsenen.

Tausende demonstrieren gegen Corona-Maßnahmen in England

Trotz der Ausbreitung der Variante haben am Samstag tausende Menschen gegen die anhaltenden Corona-Maßnahmen in London demonstriert. Die Menschenmenge zog vom Hyde Park und durch die Einkaufsstraße Oxford Street bis zum Parlament. Die Demonstranten forderten eine sofortige Aufhebung aller Beschränkungen.

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Das Parlament und der Regierungssitz von Premierminister Boris Johnson in der Downing Street wurden mit Tennisbällen beworfen, auf einem Plakat wurde die Festnahme von Gesundheitsminister Matt Hancock gefordert.

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert derweil scharfe Auflagen aus Brüssel für Briten. Heftige Kritik gibt es zudem an den bevorstehenden EM-Spielen in London, bei denen zehntausende Zuschauer zugelassen sind.

[Lesen Sie auch: Wie Virologen Urlaub machen (T+)]

Die Bundesregierung hat Großbritannien zwar als Virusvariantengebiet eingestuft. Lauterbach reicht das aber nicht aus. „Es ist komplett unverständlich, warum es keine harten EU-weiten Einreisebeschränkungen für Reisende aus Großbritannien gibt“, sagte er am Samstag der „Bild“-Zeitung. „Angesichts der dramatischen Corona-Entwicklung im Vereinten Königreich mitten in der Hauptreisesaison wäre ein Reise-Embargo aus dem Vereinigten Königreich nach Europa ratsam.“

Arzt und Epidemiologe: Karl Lauterbach (SPD).
Arzt und Epidemiologe: Karl Lauterbach (SPD).

© Imago Images/Eduard Bopp

Der Epidemiologe Lauterbach plädierte zumindest für eine „zehntägige Quarantäne mit ersten Test nach fünf Tagen für Briten in allen EU-Ländern“. Es könne nicht sein, dass „in der letzten Phase vor der Impfung noch ganz Europa im Urlaub der Delta-Variante aus England ausgesetzt wird“.

Die Regierung in London hatte zuletzt für ihre Bürgerinnen und Bürger Urlaube in 16 Ländern und Regionen erlaubt. Dazu zählen auch die Balearen mit den Ferieninseln Mallorca und Ibiza sowie Malta. Wer von dort einreist, muss nun nicht mehr in Quarantäne.

Merkel warnt vor vierter Coronavirus-Welle

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Freitag vor einer vierten Corona-Welle auch in Deutschland gewarnt. Beim EU-Gipfel in Brüssel setzte sie sich für ein gemeinsames Vorgehen der EU bei den Reisebeschränkungen ein. Deutschland hat bisher 16 Länder als Virusvariantengebiete eingestuft, darunter auch Großbritannien.

Die Einstufung als Virusvariantengebiet zieht ein weitgehendes Beförderungsverbot für Fluggesellschaften, Bus- und Bahnunternehmen nach sich. Sie dürfen nur noch deutsche Staatsbürger und Ausländer mit Wohnsitz in Deutschland über die Grenze bringen. Für diejenigen, die einreisen dürfen, gilt eine strikte 14-tägige Quarantänepflicht, die nicht durch einen Test verkürzt werden kann und auch für vollständig Geimpfte und Genesene gilt.

Britischer Minister reagiert auf deutschen Vorstoß

Der britische Verkehrsminister Grant Shapps sagte am Freitag dem Sender „Sky News“, Deutschland und Frankreich hätten den Vorstoß für einen EU-weiten Ansatz unternommen, weil sie bei den Impfungen hinterherhinkten.

Deutschland habe nicht das gleiche Maß an Impfungen wie Großbritannien, so Shapps. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts waren in Deutschland bis einschließlich 25. Juni knapp 35 Prozent der Gesamtbevölkerung doppelt geimpft, in Großbritannien waren es nach Angaben des Statistikportals Our World in Data (Stand 24. Juni) gut 47 Prozent. Nur eine doppelte Impfung gilt als wirksamer Schutz gegen die Delta-Variante.

Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern: Manuela Schwesig (SPD).
Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern: Manuela Schwesig (SPD).

© Wolfgang Kumm/dpa

Dem Sender „Times Radio“ sagte Shapps, er sei zuversichtlich, dass andere EU-Staaten dem Beispiel Deutschlands und Frankreichs nicht folgten. „Ich glaube nicht, dass es eine EU-weite Politik geben wird. Malta wird britische Reisende sicherlich nicht beschränken, weil Malta sehr hohe Impfraten hat“, sagte der Minister.

Schwesig: Doppelte Testpflicht für Urlauber

Lauterbach und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) brachten eine doppelte Testpflicht für Urlaubsrückkehrer ins Spiel. „Internationale Reisen dürfen nicht dazu führen, dass sich wieder mehr Menschen infizieren und das Virus nach Hause tragen“, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

Für alle Rückkehrer aus Risikogebieten solle daher gelten, dass sie einen Test zu Beginn ihrer Rückkehr machen und einen weiteren nach fünf Tagen Quarantäne. Der Bund solle seine Verordnung entsprechend ändern oder die Länder selbst entscheiden lassen.

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Lauterbach nannte die aktuellen Testvorgaben für Urlauber zu lückenhaft. Jeder, der aus einem anderen Land per Auto, Schiff oder Flugzeug nach Deutschland kommt, sollte einen negativen Test vorweisen und fünf Tage später einen weiteren PCR-Test machen müssen, sagte er der Zeitung. „Wer aus einem Risikogebiet oder einem Virusvariantengebiet kommt, sollte in dieser Zeit in Quarantäne bleiben“, forderte Lauterbach. Doppelt Geimpfte oder Genesene würden solche Tests nicht benötigen.

Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) rechnet damit, dass die Delta-Virusvariante bis Ende August für 90 Prozent der Neuinfektionen in der EU verantwortlich sein wird.

EU fordert höheres Impftempo

Die EU-Kommission forderte daher die Mitgliedsstaaten auf, ihre Anstrengungen bei den Impfungen deutlich zu steigern. „Für die Ungeimpften und nur teilweise Geimpften ist die Delta-Variante eine echte Bedrohung“, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides der „Welt“.

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Solange kein höheres Niveau bei den Zweitimpfungen erreicht sei, müsse alles dafür getan werden, um die Übertragungskette der Delta-Variante zu unterbrechen. „Das bedeutet, dass unsere Anstrengungen, die Bevölkerung zu impfen, verdoppelt und die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit respektiert werden müssen“, erklärte die EU-Gesundheitskommissarin. Außerdem müssten weitere „gezielte politische Maßnahmen“ ergriffen werden, falls dies erforderlich sein sollte.

[Alle aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Nach positiven Coronavirus-Testbefunden bei Fußball-Fans, die EM-Spiele in Kopenhagen, St. Petersburg und München besucht hatten, wächst zudem die Sorge, dass auch das Turnier noch zu einem Superspreader-Event werden könnte. Beim ersten Londoner Achtelfinale zwischen Italien und Österreich am heutigen Samstag dürfen 21.500 Fans, die weitgehend aus Großbritannien kommen werden, ins Wembley Stadion.

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Beim Achtelfinalspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England am kommenden Dienstag sind 45.000 Zuschauer zugelassen. Tickets dürfen allerdings nur Personen mit Wohnsitz in der sogenannten „Common Travel Area“ (Großbritannien, Irland, Isle of Man, Guernsey und Jersey) Tickets bestellen. Bei beiden Halbfinals und dem Finale in London können dann sogar 60.000 Zuschauer dabei sein.

Lauterbach: EM-Spiele sind „Brandbeschleuniger“

In der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ bezeichnete Lauterbach die Spiele insgesamt als „Brandbeschleuniger“ für die Delta-Variante. Es sei weder „epidemiologisch noch symbolisch“ eine kluge Entscheidung, in Großbritannien vor so vielen Zuschauern zu spielen. Auch RKI-Chef Lothar Wieler kritisierte den Beschluss der Uefa. „Aus infektionsmedizinischer Sicht ist das keine gute Idee“, sagte er der „Rheinischen Post“.

Blick ins Wembley-Stadion bei einem EM-Spiel der Engländer.
Blick ins Wembley-Stadion bei einem EM-Spiel der Engländer.

© Imago Images/Sportimage

CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte dem Tagesspiegel: „Die Uefa sollte Vorbild sein, auch im Hinblick auf die Durchführung anderer Großereignisse. Dazu gehört auch, die Maskenpflicht in Stadien durchzusetzen.“ Und weiter: „Niemandem ist geholfen, Europameister im Inzidenz-Höhenflug zu werden. Und was eine Verlegung von Spielen angeht, hat Markus Söder ja schon gesagt: Wir sind in München zu allem bereit.“

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sagte im Interview der Woche des Deutschlandfunks, sie selbst sei riesengroßer Fußball-Fan. Aber man könne in der jetzigen Situation eine Europameisterschaft nicht so durchführen, wie sie derzeit durchgeführt werde.

Roth nennt unterschiedliche Kriterien „absolut irre“

Konkret kritisierte die Bundestagsvizepräsidentin Roth, dass beim Achtelfinalspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England in London mehr als 40.000 einheimische Fans ins Stadion dürfen. Dies sei angesichts hoher Inzidenzwerte unverantwortlich. Sie verwies darauf, dass auch in Baku und Budapest die Stadien voll gewesen seien.

Es sei, „absolut irre“, dass an den verschiedenen Austragungsorten unterschiedliche Kriterien angelegt würden – ebenso wie die Tatsache, dass man trotz der Klimakrise zwischen zehn verschiedenen Ländern hin- und herjette.

Zuvor hatte bereits der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, vor Reisen zu EM-Spielen nach London gewarnt. „Ich halte das für Populismus und kann nur von Reisen zu den Spielen abraten“, sagte Montgomery der „Passauer Neuen Presse“. Er kritisierte auch die britische Regierung scharf.

„Ich verstehe nicht, warum Premierminister Boris Johnson das zulässt“, betonte der Weltärztebund-Chef. „Schon ein Geimpfter, der die Abstandsregeln einhält und dort ins Stadion pilgert, geht ein begrenztes Risiko ein.“

Das gelte nicht in erster Linie für den Stadionbesucher selbst, aber er könne das Virus mitbringen und andere anstecken. „Wer ungeimpft ist, handelt verantwortungslos angesichts der in Großbritannien vorherrschenden Delta-Variante und ihrer Ansteckungsgefahr“, sagte Montgomery über Stadionbesuche in London.

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