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Die Frage, ob Strafgefangene für ihre Arbeit in Haft ausreichend bezahlt werden, beschäftigt das Bundesverfassungsgericht

© dpa

Verdienen Gefangene zu wenig?: Inhaftierte ziehen vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

In zwölf Bundesländern sind Strafgefangene dazu verpflichtet, zu arbeiten. Ihr Stundenlohn liegt zwischen einem und drei Euro. Das sorgt immer wieder für Unmut.

Im September soll der Mindestlohn von derzeit 9,82 Euro auf 12 Euro steigen. Ein Grund zur Freude für Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Leer ausgehen werden jedoch all die Strafgefangenen in deutschen Justizvollzugsanstalten, die dort in der Regel ebenfalls einer Arbeit nachgehen.

In zwölf Bundesländern sind sie dazu sogar verpflichtet: Eine Ausnahme vom prinzipiellen Verbot der Zwangsarbeit. Arbeitende Gefangene gelten rechtlich nicht als Arbeitnehmer.Gesetzlich geregelten Mindestlohn gibt es für sie nicht, ihr Stundenlohn liegt ungefähr zwischen einem und drei Euro.

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Im Land Nordrhein-Westfalen liegt der Tagessatz Inhaftierter in der mittleren Vergütungsstufe derzeit bei 14,21, das entspricht 285 Euro bei 20 geleisteten Arbeitstagen.

Gefangene verdienen zwischen einem und drei Euro die Stunde

Auf Nachfrage des Tagesspiegel wird der niedrige Salär vom nordrhein-westfälischen Justizministerium damit begründet, dass Gefangenenarbeit vor allem ein Teil des vollzuglichen Gesamtkonzeptes für eine gelungene Resozialisierung sei, die Gefangene darin unterstützen soll, sich erfolgreich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Gefangenenarbeit sei daher objektiv nicht „wirtschaftlich“ oder auch nur auf eine „Wirtschaftlichkeit“ ausgerichtet. Da sämtliche Dinge des täglichen Lebensbedarfs bereits durch die Justizvollzugsanstalten zur Verfügung gestellt würden, könne die Entlohnung sich in vollzuglicher Hinsicht darauf beschränken, Motivationsanreize zur Aufnahme und sorgfältigen Ableistung einer Arbeit zu setzen.

Im Hinblick auf das wesentliche Ziel der Resozialisierung habe die Höhe der Entlohnung nur eine untergeordnete Bedeutung. Zwei Betroffene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen sahen das anders: Bereits vor Jahren erhoben sie Verfassungsbeschwerde. Nun wird am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zwei volle Tage darüber verhandelt.

In früheren Entscheidungen hat das Verfassungsgericht gesagt, dass Arbeit im Strafvollzug nur unter bestimmten Voraussetzungen ein wirksames Resozialisierungsmittel darstellt. Die Leistung der Gefangenen sollte etwa durch einen greifbaren Vorteil auch angemessene Anerkennung finden, um ihnen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein straffreies Leben vor Augen zu führen.

„Was wir bislang haben ist bloße Ausbeutung der arbeitenden Gefangenen.“

Genau dieser Zweck werde jedoch verfehlt, kritisiert Manuel Matzke, der Sprecher des Vereins „Gefangenen-Gewerkschaft/ Bundesweite Organisation“ (GG/BO) im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Resozialisierung, das sieht gut aus und klingt gut, aber doch nur auf dem Papier.

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Was wir bislang haben ist bloße Ausbeutung der arbeitenden Gefangenen.“ Durch die geringe Entlohnung sei es den Gefangenen weder möglich, Schulden zu begleichen, noch Opfer zu entschädigen oder Unterhalt zu zahlen.

„Wie sollen Gefangene unter diesen Voraussetzungen lernen, dass ehrliche Arbeit sich lohnt?“ Die Argumentation aus der Justiz, dass die Arbeit in den Haftanstalten weniger produktiv sei als in der freien Wirtschaft, weiß Matzke zu entkräften.

„Welche Firma würde denn dann im Gefängnis produzieren lassen, die wollen doch Geld verdienen.“ Es gebe zahlreiche Unternehmen, die auch über Mindestlohn zahlen würden oder sich zumindest daran orientierten. „Das Geld kommt nur nicht bei den Gefangenen an. Für die Unternehmen ist das ein lukratives Geschäft, sie müssen keinerlei Sozialabgaben zahlen.“

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Eine weitere Kernforderung der GG/BO: „Altersarmut ist für Gefangene ein riesiges Problem. Wenn sie zehn Jahre in der Justizvollzugsanstalt schuften, haben sie keinen Cent in ihre Rente eingezahlt, das ist untragbar.“

Der gleichen Ansicht ist Christine Graebsch, die den Beschwerdeführer aus Bayern in Karlsruhe vertritt. Sie weiß, dass viele Menschen nach ihrem Gefängnisaufenthalt hoch verschuldet sind. „Ein fünfstelliger Betrag ist keine Seltenheit. Hauptgläubiger ist meist der Staat mit den Verfahrenskosten“, sagt sie dem Tagesspiegel.

Wegen Corona wird in einer Veranstaltungshalle verhandelt

Davon, dass Gefangene etwas zurücklegen können, sei man Lichtjahre entfernt, es müsse aber zumindest ermöglicht werden, laufende Kosten zu decken. „Es wird immer behauptet, dass die Arbeit im Gefängnis keine richtige Arbeit sei, das ist doch völlig veraltet.“ Auch das Argument mit der geringeren Produktivität lässt Graebsch nicht gelten. „Auch der Mindestlohn ist doch nicht nach Qualität oder Quantität gestaffelt.“

Die Vertreter des bayerischen und des nord-rheinwestfälischen Justizministeriums hielten während der Verhandlung dagegen: Man mache keinen Gewinn mit der Arbeit von Gefangenen, vielmehr decke sie nur einen Bruchteil der Ausgaben.

Wegen der Corona-Pandemie findet die Verhandlung nicht im Sitzungssaal des Gerichts, sondern in einer Veranstaltungshalle statt. Das Urteil wird erfahrungsgemäß in einigen Monaten verkündet.

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