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Politik: „Verbote können die Gewalt nicht verringern“ Wissenschaftler: Computerspiele lösen brutales Verhalten nicht aus

Von Ruth Ciesinger Kaum ein Ereignis hat innerhalb so kurzer Zeit Gesetzesnovellen bewirkt und Runde Tische entstehen lassen wie der Amoklauf des 19-jährigen Ex-Schülers in Erfurt vor fast drei Wochen. Am Mittwochabend debattierte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat über die Verschärfung des Waffengesetzes, am Donnnerstagabend lädt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum zweiten Runden Tisch ins Kanzleramt.

Von Ruth Ciesinger

Kaum ein Ereignis hat innerhalb so kurzer Zeit Gesetzesnovellen bewirkt und Runde Tische entstehen lassen wie der Amoklauf des 19-jährigen Ex-Schülers in Erfurt vor fast drei Wochen. Am Mittwochabend debattierte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat über die Verschärfung des Waffengesetzes, am Donnnerstagabend lädt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum zweiten Runden Tisch ins Kanzleramt. Nach den Intendanten der Rundfunkanstalten sitzen nun die Produzenten von Computerspielen und elektronischen Medien mit dem Kanzler zusammen und sprechen über Gewalt und Medien.

Sinnvoll oder Aktionismus? Die Polizei hatte bei dem Attentäter brutale Videos gefunden, jetzt konzentriert sich die Debatte auf ein Verbot von Gewaltdarstellung in Film und Computerspiel. Durchaus begrüßenswert findet das der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, aber eine Tat wie die von Erfurt wird seiner Ansicht nach dadurch nicht verhindert: „Solche Spiele können nur die Strategie liefern“, sagt er, „die Quellen der Entscheidung liegen woanders.“ Massive Gewalt habe es auch zu anderen Zeiten gegeben, Vorbilder für Grausamkeiten könne man sich ebenso in der klassischen Literatur anlesen, argumentiert Heitmeyer weiter. Wer glaube, die geplanten Verbote würden Gewalttaten verringern, der werde enttäuscht sein.

Die gleichzeitig angesprungene Moral-Debatte hält er ebenso für einen Irrläufer. Den Jugendlichen mangele es nicht am Empfinden für „Werte und Tugenden“. Von Seiten der Politik, Wirtschaft und der Schule werde ihnen aber vorgeben, dass nur bestimmte Leistungen wie Erfolg und Durchsetzungsvermögen auch ein „Wert“ seien. Mit der wachsenden Möglichkeit, den individuellen Lebensweg zu planen, steige gleichzeitig der Druck auf die Kinder, verantwortlich für eigenen Erfolg oder Versagen zu sein.

Für das Schulsystem wünscht sich Heitmeyer deshalb einen „Paradigmenwechsel“; anstatt nach Schwächen beim Einzelnen zu suchen, sollten lieber die individuellen Stärken eines Schülers gefördert werden. Dazu brauche es aber deutlich kleinere Klassen, denn „ab 22 Personen beginnt das Massenverhalten“. Eine Forderung, die inzwischen auch Lehrervertreter und Schüler, ebenso wie Elternverbände vorbringen. Gleichzeitig müsse aber auch die Gesellschaft „andere Anerkennungsquellen“ akzeptieren, sagt Heitmeyer, und dazu gehört neben der Schule das Elternhaus. Wenn das Kind nicht den Erwartungen der Eltern entsprechen kann, gerade in Bezug auf schulische und berufliche Leistungen, „dann kennen viele Eltern keine Verwandten mehr“, berichtet der Sozialwissenschaftler.

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