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In Venezuela gibt es seit Monaten heftige Proteste gegen die Regierung.

© Reuters

Venezuela, Brasilien, Kolumbien: Lateinamerikas Demokratien in der Krise

Der drohende Zusammenbruch in Venezuela treibt die Menschen nach Kolumbien und Brasilien. Dort aber gibt es schon andere große Probleme.

VENEZUELA

Zur Beilegung eines Konfliktes braucht es nicht zwingend einen Konsens, aber es braucht einen Dialog. In diesem Sinne ist es unwahrscheinlich, dass die politische Konfrontation, die Venezuela erschüttert, bald zu einem Ende kommen wird.

Die Regierung von Präsident Nícolas Maduro hat deutlich gemacht, dass sie kein Interesse an Gesprächen mit der Opposition hat. Es scheint ihr im Gegenteil um eine Eskalation zu gehen. Wie alle autoritären Regime braucht sie Feindbilder, um ihre Anhänger zu mobilisieren. Praktische Errungenschaften hat sie keine mehr vorzuweisen. Auch deshalb ist Maduro, der 2013 hauchdünn gewählt wurde, nun drauf und dran, sich und seiner Sozialistischen Partei die Macht langfristig zu sichern, sprich eine Diktatur zu errichten.

In diese Richtung deutete bereits die Wahl zu einer Verfassungsgebenden Versammlung am vergangenen Sonntag. Da klar war, dass die Abstimmung nur dazu dienen sollte, das Parlament zu entmachten, in dem die Opposition gegen Maduro seit 2015 die Mehrheit hat, wurde sie von großen Teilen der Bevölkerung boykottiert. Dennoch haben laut Regierung acht Millionen der 19 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Eine Zahl, die von der Opposition als lächerlich bezeichnet wurde – der Konflikt in Venezuela ist auch einer der Behauptungen.

Drei Tage nach dem Votum dann das: Das Unternehmen, das die Wahlmaschinen bereitstellte, gab bekannt, dass mindestens eine Million Stimmen illegal hinzugefügt worden seien. Aber Maduro, dessen Sohn und Frau in die Verfassungsversammlung gewählt wurden, zeigte sich unbeeindruckt. Er beschuldigte die Firma, von den „Gringos“ unter Druck gesetzt worden zu sein.

Mit der gleichen wegwischenden Art tut Maduro auch die US-Sanktionen gegen Regierungsfunktionäre ab oder die zunehmende Kritik aus Europa. Allerdings treten unter Stress die diktatorischen Tendenzen seines Regimes deutlicher zutage. Kurz nach der Wahl wurden zwei prominente Oppositionspolitiker verhaftet. Und es wurden Angestellte aus Staatsbetrieben identifiziert, die sich nicht am Verfassungsvotum beteiligt hatten.

Präsident Nicolas Maduro klammert sich an die Macht.
Präsident Nicolas Maduro klammert sich an die Macht.

© Reuters

Wegen seines Kurses ist Maduro nun auch in Lateinamerika weitgehend isoliert. Lediglich Kuba, El Salvador, Nicaragua, Ecuador und Bolivien halten zu ihm. Vordergründig. So weiß man, das Boliviens Präsident Evo Morales über Maduro lästert, sobald die Mikros abgeschaltet sind. Bolivien hat sich unter Morales zu einem linken Vorzeigeprojekt entwickelt. Das Land verzeichnet die höchsten Wachstumsraten der Region – ohne dabei den sozialen Ausgleich zu vergessen.

Von solch einer Entwicklung ist Venezuela weit entfernt. War Hugo Chávez 1999 angetreten, das Ölland gerechter zu machen, so endet der Chavismus nach unleugbaren Erfolgen (Armut und Analphabetismus sanken deutlich) in einem Fiasko. Es gibt fünf Gründe: 1. Die Regierung kümmerte sich vor allem darum, die Petrodollars auszugeben, die hereinsprudelten, solange der Ölpreis hoch war. Seit 2014 hat sich der Ölpreis aber mehr als halbiert. 2. Der Staat verschuldete sich international enorm. 3. Die Wirtschaft wurde ganz aufs Öl ausgerichtet. Gebrauchsgüter müssen importiert werden, von Aspirin bis zur Zahnbürste. 4. Die Regierung versäumte es, in die Ölförderanlagen zu investieren. 5. Man ignorierte die ausufernde Korruption.

Opposition ist kein Hoffnungsträger

All dies hat zu surrealen Zuständen geführt. Seit 2013 ist die Wirtschaft Venezuelas um 35 Prozent geschrumpft, wie Harvard-Ökonom Ricardo Hausmann errechnet hat. Da die Regierung keine Statistiken mehr veröffentlicht, ist man auf Daten von außerhalb angewiesen. Der Internationale Währungsfond (IWF) schätzt, dass die Arbeitslosigkeit bei 30 Prozent liegt, die Inflation taxiert er für 2017 auf 720 Prozent. Darunter leiden vor allem die Armen. Dies ist der Rahmen, in dem im März die Massenproteste gegen Maduro ausbrachen. Unmittelbarer Auslöser war die Suspendierung des Parlaments durch den obersten Gerichtshof. Seitdem erschüttern wöchentliche Demonstrationen das Land, mehr als hundert Menschen wurden getötet. Die Polizei und paramilitärische Einheiten gehen extrem brutal vor. Gruppen militanter Demonstranten antworten ebenfalls mit Gewalt.

Es gehört zur venezolanischen Tragödie, dass auch die Opposition, die sich in dem Bündnis MUD zusammengeschlossen hat, kein Hoffnungsträger ist. Ihre Führer gehören der alten Elite an, die das Land bis 1999 ausplünderte. Die Schwäche der Opposition wird durch ihre Zerstrittenheit verstärkt. Einig ist sie sich nur in ihrer Forderung nach Neuwahlen. Doch diese wird es mit Maduro nicht geben. Weil das Militär ihm bisher den Rücken stärkt, ist abzusehen, dass sich die Situation in Venezuela eher noch zuspitzen wird. Viele Menschen flüchten verzweifelt in die Nachbarländer Kolumbien und Brasilien. Dort aber drohen andere schwere Zuspitzungen.

BRASILIEN

Obwohl Venezuela das krasseste Beispiel für die Schwächung der Demokratie in Südamerika ist, erlebt auch Brasilien, das bevölkerungsreichste Land der Region, eine tiefe Staatskrise. Seit die Ermittlungen im Korruptionsskandal um die staatliche Erdölgesellschaft Petrobras 2014 begannen, haben die Brasilianer erfahren, dass fast ihre gesamte politische und wirtschaftliche Elite korrupt ist.

Die Summen, die diese Herrschaften umleiteten, sind astronomisch, es geht um Milliardenbeträge. Und das in einem Land, in dem der Mindestlohn umgerechnet 250 Euro beträgt und eine Rekordzahl von 14,2 Millionen Menschen arbeitslos sind.

Die Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass in Brasilien wieder Hunger herrscht (die UN hatte das Land 2014 von der Liste der Hungerländer gestrichen). Sie hat auch einen alten Dämon wachgerufen: die Gewalt. Die Zahlen für Rio de Janeiro lassen den Horror erahnen. 2017 wurden hier mehr als 2700 Menschen ermordet, rund 630 von Querschlägern getroffen; 91 Polizisten wurden erschossen, die Polizei tötete fast 600 Menschen.

Nun soll das Militär Herr der Lage werden. Es ist mit 8500 Soldaten in die Stadt eingerückt. Just zum einjährigen Jubiläum der Olympischen Spiele knattern Kampfhubschrauber im Tiefflug über die Copacabana. Präsident Michel Temer tut derweil so, als ob alles bestens sei. Er sorgte 2016 dafür, dass die legitime Präsidentin Dilma Rousseff unter einem Vorwand abgesetzt wurde.

Präsident Michel Temer tut so, als ob alles bestens sein.
Präsident Michel Temer tut so, als ob alles bestens sein.

© AFP

Nun ist er selbst der erste Präsident des Landes, der wegen Korruption angeklagt ist. Doch anders als bei Rousseff, die man wegen Haushaltstricks stürzte, hat ihm das brasilianische Parlament in einem Akt moralischer Verkommenheit das Vertrauen ausgesprochen. Gegen den Willen der Bevölkerung. Nur fünf Prozent der Brasilianer vertrauen Temer.

Es war ein Sieg der alten Politik, die Brasilien seit Jahrzehnten im Griff hat. Wie in Venezuela ist auch in Brasilien mit einem Ende der politischen Krise frühestens Ende 2018 zu rechnen. Dann stehen Wahlen an. Eine weitere Parallele ist, dass der ökonomische Niedergang hier wie dort vom Fall des Ölpreises ausgelöst wurde. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die linken Regierungen in Venezuela und Brasilien (die Arbeiterpartei regierte bis 2016) ihre Entwicklungsmodelle vom Rohstoffexport abhängig machten. So, als ob die Geschichte nicht häufig genug gezeigt hätte, dass dieser Weg eine Sackgasse ist.

KOLUMBIEN

Ein weiteres südamerikanisches Land, das eine kritische Entwicklung durchmacht, ist Kolumbien. Viel stärker noch als Brasilien ist es von den Wirtschaftsflüchtlingen aus Venezuela betroffen, die dort Dinge des täglichen Lebens einkaufen oder vor den widrigen Bedingungen in ihrem Land flüchten. Zwar herrscht in Kolumbien keine akute Staatskrise, doch der Friedensprozess mit der Farc-Guerilla schafft neue Probleme. Es zeigt sich, dass der kolumbianische Staat unter Präsident Juan Manuel Santos die Kontrolle in den großen Städten des Landes hat, aber auf dem Land so gut wie abwesend ist. Dort herrschen immer noch die ungerechten Verhältnisse, die einst zum Entstehen der Farc führten.

Der kolumbianische Staatschef Juan Manuel Santos hat mit großen Problemen zu kämpfen.
Der kolumbianische Staatschef Juan Manuel Santos hat mit großen Problemen zu kämpfen.

© dpa

In diesem Zusammenhang ist die Rekordernte von Coca zu sehen. Die Anbaufläche der Pflanze, die zur Kokainherstellung dient, verdoppelte sich zwischen 2013 und 2016. Zwar sieht der Friedensvertrag die Umwandlung der Coca-Felder vor, aber der Staat hat bisher nichts getan, um den Bauern Anreize zu liefern. Denn dazu würde auch eine Landreform gehören. Diese wird aber seit Jahrzehnten von der alten Oligarchie verhindert. Zu dieser gehört der Ex-Präsident Àlvaro Uribe, dessen ultra-rechte Partei Demokratisches Zentrum 2018 wieder den Präsidenten stellen will. Uribe hat angekündigt, dass der Friedensprozess dann zu Ende sei.

Im September besucht Papst Franziskus Kolumbien. Seine Visite wird auch als Unterstützung des Friedensprozesses verstanden. Dieser hängt zwar von mehr als einem Vertrag ab. Dennoch ist klar, dass der Dialog in Kolumbien über den Konflikt gesiegt hat. Vorerst.

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