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Donald Trump mit Chinas Vize-Premier Liu He nach der Unterzeichnung eines Handelsabkommens im Januar 2020

© Reuters/Kevin Lamarque

USA und China: „Trumps Weg zur Wiederwahl führt durch Peking“

Der US-Politikwissenschaftler Walter Mead spricht im Interview über die Rolle Chinas im US-Wahlkampf, Trumps Gewinner-Rezept und Joe Bidens Schwächen.

Von Anna Sauerbrey

Walter Russell Mead ist James Clarke Chace Professor für Außenpolitik und Geisteswissenschaften am Bard College im US-Bundesstaat New York. Zuvor unterrichtete er amerikanische Außenpolitik in Yale. Er forscht außerdem am Hudson Institute, einer konservativen Denkfabrik in Washington D.C.

Professor Mead, Sie haben kürzlich im Wall Street Journal in einer Kolumne geschrieben, der wahrscheinlichste Weg zu einer Wiederwahl Donald Trumps führe durch Peking. Was meinen Sie damit?
Bis zur Wahl kann sich natürlich noch vieles ändern, besonders mit Trump. Aber so, wie es im Moment aussieht, liegt seine beste Chance darin, als derjenige Präsident anzutreten, der in Bezug auf China als erster die Wahrheit erkannt hat und China mit aller Härte Paroli bietet. Sein politisches Rezept ist es ja, als Anti-Establishment-Kandidat aufzutreten. Das ist schwierig, wenn man schon seit vier Jahren im Amt ist. Das China-Problem aber gibt ihm die Möglichkeit, sich gegen einen außenpolitischen Mainstream zu wenden.

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Trump kann sagen: Schaut her, jahrzehntelang haben euch Establishment-Präsidenten erzählt, dass wir mit China Handel treiben müssen. Sie haben euch erzählt, das würde die Amerikaner reich machen und China demokratisch. Und wie ist jetzt die Lage? China ist autoritärer denn je. Und nicht wir, sondern China ist durch den Freihandel reich geworden, so dass wir jetzt einen neuen Kalten Krieg mit einem neuen „Evil Empire“ führen müssen. Im Übrigen wurden eure Jobs nach China verlagert und ich bin der einzige, der es kommen gesehen hat. Das ist seine Geschichte – und die wird bei seiner Wählerschaft sehr gut ankommen.

Wie viel Wahrheit steckt denn Ihrer Meinung nach in dieser Geschichte?
Er übertreibt etwas, denke ich. Es war sicher richtig, dass die USA unter Nixon und Kissinger begonnen haben, Beziehungen zur Volksrepublik China aufzubauen. Die USA profitieren davon, dass China Teil des Weltmarktes geworden ist. Andererseits muss man sagen, dass amerikanische Regierungen die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation nicht sehr gut gemanagt haben. Die Bedingungen, unter denen das Land 2001 aufgenommen wurde, waren nicht streng und nicht klar genug, die Sanktionsmechanismen waren zu schwach und wurden nicht ausreichend genutzt. Die zentrale politische Strategie des Westens, China durch Handel zu demokratisieren, hat nicht funktioniert. Für den Durchschnittsamerikaner, der nicht viel Zeit hat, sich mit Außenpolitik zu beschäftigen, ist das eine plausible Erzählung.

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Man sollte fairerweise sagen, dass auch Präsidenten wie Barack Obama ganz ähnliche Instrumente wie Trump eingesetzt haben, um zu versuchen, China zu disziplinieren. Auch Obama hat einmal das Schiedsgericht der WTO nicht nachbesetzt und Zölle auf chinesische Güter erlassen. Aber Sie meinen, das war nicht genug?
Ja, das denke ich – und nicht nur ich. In der Regierung Obama gab es einige Leute im Außen- und Verteidigungsministerium, die das Gefühl hatte, dass die Regierung nicht genug tut. Hillary Clinton war in Bezug auf China ein Falke – und vielleicht wäre die China-Politik anders ausgefallen, wäre Sie auch in seiner zweiten Amtszeit Außenministerin geblieben. Der „Pivot to Asia“, die Hinwendung zu Asien, die Obama proklamiert hat, war im Rückblick betrachtet nicht stark genug. Es gab zum Beispiel keine effektive Antwort auf den Bau von künstlicher Inseln im Südchinesischen Meer. Aber Trump richtet sich nicht nur gegen Obama, sondern auch gegen das republikanische Establishment. Aus seiner Sicht war auch George Bushs China-Politik falsch.

Bietet Joe Bidens Haltung zu China Donald Trump eine Angriffsfläche?
Joe Biden ist ein Vollmitglied des amerikanischen Establishments. Er war 30 Jahre lang Mitglied des Senats und hat für viele Elemente der Politik gestimmt, die Donald Trump jetzt angreifen wird. Er hat zusätzlich das Problem, dass sein Sohn, Hunter Biden, Geschäftsbeziehungen zu China hat. Ich kenne die nicht im Detail, aber das wird sich Trumps Wahlkampfteam sicher genau anschauen. Schon in der Ukraine-Affäre machte Trump ja zum Thema, dass Hunter Biden im Vorstand der ukrainischen Gas-Gesellschaft Burisma saß, für 50.000 Dollar im Monat. Und es ist tatsächlich schwer zu verstehen, warum er den Job bekommen hat - wenn nicht in der Hoffnung, er könne irgendeine Form von politischem Einfluss ausüben.

Sie schreiben auch, dass ein Wahlkampf, der stark auf China ausgerichtet ist, die Demokraten spalten könnte. Wie?
Viele Demokraten sind China-Falken. Der Investor und Philanthrop George Soros zum Beispiel hat in den letzten drei Jahren in vielen seiner Reden betont, dass China für die offene Gesellschaft weltweit eine Gefahr darstellt. Andere in der Demokratischen Partei haben große Angst vor einem neuen „Kalten Krieg“, davor, was das für die Rüstungsausgaben bedeuten würde. Viele fürchten, dass Trump durch seinen über-aggressiven Umgang mit China eine xenophobe Reaktion in Amerika hervorruft. Joe Biden bringt das in eine schwierige Situation. Er muss einerseits zeigen, dass er mindestens so hart gegenüber China ist wie Trump. Und er muss gleichzeitig erklären, warum die Dinge nicht ganz so schlimm sind, wie Trump sie darstellt.

Dieses Spiel hat bereits begonnen. Beide Wahlkampfteams haben Videos veröffentlicht, in denen der jeweils anderen Seite vorgeworfen wird, China zu zart anzufassen oder nicht zu verstehen. Wird das auch die amerikanische Außenpolitik beeinflussen?
Das ist sehr schwer vorherzusagen, zumal das Coronavirus alles durcheinanderwirbelt. Trump will mit keinem Land Krieg führen. Aber wenn er irgendetwas, was China tut, als Provokation wahrnimmt, wird er nicht schwach aussehen wollen. Wir werden wohl amerikanische Kriegsschiffe sehen, die die freie Schifffahrt im Südchinesischen Meer sichern, und andere diplomatische und militärische Aktivitäten, die darauf ausgelegt sind, Stärke zu demonstrieren. Gleichzeitig wird Trump nicht wollen, dass China wieder aus dem Handelsabkommen austritt, das er ausgehandelt hat. Das Abkommen sieht nämlich vor, dass China amerikanische Agrarprodukte abnimmt – von amerikanischen Landwirten in Bundesstaaten, die ihn unterstützen. Wie sich all diese verschiedenen Dynamiken zu einander verhalten, wird interessant.

Das Coronavirus hat die „System-Rivalität“ zwischen China und dem Westen verschärft. Ein Anzeichen dafür ist, dass China eine massive PR- und auch Desinformationskampagne in den USA und Europa fährt, um die westliche Krisenbekämpfung schlecht und sich selbst in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Macht Ihnen das Sorgen – hat China die Macht, die öffentliche Meinung im Westen zu drehen?
Bis jetzt können wir sagen, dass das meiste, was die chinesische Regierung bis jetzt getan hat, kontraproduktiv war. Die aggressive Außenpolitik, die wir teilweise beobachten, soll wohl eher nach innen wirken als nach außen. Kein Land der Welt hat vor, China anzugreifen. Aber im Inneren ist die Kommunistische Partei sehr wohl in Gefahr – weshalb sie versucht, die Debatte über das Virus zu unterdrücken. China opfert seinen globalen Rang, um sich zu Hause zu retten. Das ist eine Regierung, die Angst hat.

Viele europäische Ländern, nicht zuletzt Deutschland, nehmen eine deutlich mildere Haltung gegenüber China ein als die USA. Gerade erst hat die New York Times berichtet, dass ein Bericht einer Beobachtungsstelle des Auswärtigen Dienstes der EU zu chinesische Desinformationskampagnen in Europa abgemildert worden sei – auf Druck Chinas, auch, wenn die Kommission das bestreitet. Wie sehen Sie Europas Rolle im „Systemkonflikt“?
Was mir vor allem aufgefallen ist, wie viele unterschiedliche und auch verärgerte Reaktionen die Geschichte über den veränderten Bericht ausgelöst hat. Das spiegelt wieder einmal die große Vielfalt von Haltungen zu China innerhalb der EU und auch innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten. Aber trotzdem, wenn man mal einen Schritt zurücktritt, habe ich schon das Gefühl, dass viele europäische langsam aber sicher besorgter werden, was das Agieren Chinas angeht, zum Beispiel die Tatsache, dass China in einem frühen Stadium der Corona-Krise eine Hilfslieferung nach Italien gebracht hat. Die EU bewegt sich ja in der Regel nur sehr langsam, aber insgesamt beobachte ich die Tendenz zunehmender Wachsamkeit und Besorgnis. China war insofern erfolgreich darin, einen globalen Konsens zu erzeugen – allerdings einen Konsens gegen sich selbst.

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