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In Indien wütet das Virus aktuell besonders stark.

© REUTERS/Danish Siddiqui

US-Regierung will Patente lockern: Was taugt Bidens Plan für die Freigabe der Impfstoff-Lizenzen?

Arme Länder kommen mit den Corona-Impfungen nicht voran. Der US-Präsident will daher Patente freigeben. Doch es gibt Zweifel, ob der Plan taugt.

Die Überraschung ist groß über den Vorstoß von US-Präsident Joe Biden – die Freude ebenso, zumindest bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dass Biden die Lizenzrechte für Corona-Impfstoffe vorübergehend aussetzen will, sei eine „historische Entscheidung“, lobt WHO-Chef Tedros Ghebreyesus.

Biden hatte am Mittwoch über seine Handelsbeauftragte Katherine Tai mitteilen lassen, dass sein Land die Initiative von mehr als 100 Entwicklungs- und Schwellenländern nach einer Aussetzung der Patente unterstützt. Mit diesem Kurswechsel wolle man nun „so viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich“ bringen, sagte Tai.

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Ohne die Hürde der Patente könnten auch ärmere Länder in die Produktion einsteigen – und so die weltweite Knappheit an Vakzinen beenden. Doch ob der Plan taugt, daran gibt es Zweifel.

US-Präsident Joe Biden will die Patente für Corona-Impfstoffe vorrübergehend aussetzen.
US-Präsident Joe Biden will die Patente für Corona-Impfstoffe vorrübergehend aussetzen.

© REUTERS/Jonathan Erns

Für die Pharmafirmen Biontech, Curevac und Moderna ist der Kursschwenk der Amerikaner keine gute Nachricht. Kurz nach der Ankündigung der US-Regierung stürzten ihre Aktienkurse ab. Biontech-Gründer Ugur Sahin hatte sich bereits vergangene Woche gegen eine Freigabe der Lizenzen ausgesprochen. „Das ist keine Lösung“, sagte er.

Pharmafirmen sorgen sich um ihren Umsatz

Biontech verspricht, seine Produktion bis 2022 auf drei Milliarden Dosen zu erhöhen. „Wir sind fest entschlossen, unseren Impfstoff an Menschen auf der ganzen Welt in allen Ländern und über alle Einkommensschichten hinweg zu liefern", teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. „Patente sind jedoch nicht der begrenzende Faktor für die Produktion oder Versorgung mit unserem Impfstoff. Sie würden kurz- und mittelfristig die weltweite Produktion und Versorgung mit Impfstoffdosen nicht erhöhen.“

Die Pharmafirmen sorgen sich nicht nur um den eigenen Umsatz. Pharmaverbände warnen auch vor Negativfolgen für die Qualität der Impfstoffe und die Lieferketten. Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, fürchtet das Ausbleiben künftiger Investitionen: „Jetzt besteht die Gefahr, dass die Industrie ihre Forschungsausgaben zurückfährt.“

[Mehr zum Thema: Jung, gesund und trotzdem geimpft – die 3 legalen Tricks der Ungeduldigen (T+)]

In Berlin und Brüssel fallen die Reaktionen gemischt aus. Die Bundesregierung lehnt ein Aussetzen der Lizenzen ab. „Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben“, sagt eine Regierungssprecherin. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) appellierte an die USA, ihr Exportverbot für Impfstoffe zu überdenken. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) zeigte sich bereit, über Bidens Vorschlag zu diskutieren.

USA setzen Europa unter Druck

Der Vorstoß des US-Präsidenten setzt die EU unter Druck sich bei der Freigabe der Impflizenzen zu bewegen. „Weiter zu blockieren, das kann sich Ursula von der Leyen nach dem Signal aus den USA nicht leisten“, sagt der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. Doch die Lizenzfreigabe umzusetzen, ist schwierig. Es bräuchte dafür ein einstimmiges Votum des sogenannten TRIPS-Ausschusses, der in der Welthandelsorganisation WTO für den Schutz geistigen Eigentums zuständig ist.

Alternativ würde eine Zweidrittelmehrheit im Allgemeinen Rat der WTO reichen. Der könnte beschließen, dass die Patente der Firmen nicht wie bisher 20 Jahre rechtlich geschützt sind.

Bei Entwicklungsorganisationen wünscht man sich genau das. Karoline Lerche, Interims-Direktorin von One Deutschland, sagte aber auch: „Das alleine wird das Problem mit den Kapazitäten kurzfristig nicht lösen können.“ Und selbst wenn Bidens Idee in der WTO eine Mehrheit finden würde, die Pharmafirmen kann man kaum zwingen, ihr spezielles Know-how über die Impfstoffe offenzulegen.

Warum ist es so wichtig, alle zu impfen?

Etwa 600 Millionen Menschen sind bislang mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft worden. Das klingt viel, doch angesichts der sieben Milliarden Einwohner der Erde bleiben für das Coronavirus immer noch genug Ausbreitungsmöglichkeiten. Bislang ist es bei Appellen geblieben, die Impfstoffe gerechter zu verteilen.

Während in den reichen Industrieländern der Anteil der geimpften Bevölkerung stetig steigt, haben ärmere Länder ihre Impfkampagnen wegen fehlender Impfdosen noch nicht einmal begonnen. Während in Deutschland mittlerweile fast jeder Vierte mindestens einmal geimpft ist, ist etwa in Uganda nur einer unter 3000 Menschen vor Covid-19 geschützt.

„Länder, die jetzt jüngere, gesunde Menschen impfen, deren Krankheitsrisiko gering ist, tun das auf Kosten der Menschenleben der Ärzte, der Alten und der Risikogruppen in anderen Ländern”, sagte WHO-Chef Tedros kürzlich.

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Die Folgen sind schon jetzt offensichtlich: Weltweit geraten Covid-19-Ausbrüche außer Kontrolle, sagt Charlie Weller, Leiterin der Impfstoff-Initiativen des Wellcome Trusts. Die Coronakrise eskaliere nicht nur in Indien, sondern auch in Teilen Südasiens, Zentral- und Südamerikas und im Nahen Osten. „Wenn wir das weiter zulassen, wird das Virus mehr Gelegenheiten bekommen, sich zu vermehren und zu mutieren“, warnt Weller.

Diese Mutationen werden zu neuen Virusmutanten führen, unter denen auch solche sein könnten, die die Wirksamkeit der bisher existierenden Impfstoffe einschränken. Das setze die Fortschritte der vergangenen 15 Monate aufs Spiel. „Wir müssen diese Entwicklung unbedingt verhindern“, sagt Weller. Es sei jetzt die Zeit für die reichen Ländern, Führungsstärke zu zeigen und ärmeren Ländern ausreichend Impfstoff zur Verfügung zu stellen.

Zwar gibt es bislang noch keine Virusvariante, gegen die die bisherigen Covid-19-Impfstoffe keinen Schutz mehr bieten würden. Werden jetzt aber mehr Menschen geimpft, steigt der Selektionsdruck auf das Virus. Je mehr Möglichkeiten das Virus bekommt sich zu vermehren und damit auch zu mutieren, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter den Abermillionen Mutanten eine ist, vor der die Impfstoffe nicht mehr schützen – und die dann auch die Geimpften in Deutschland neu gefährdet.

Deshalb ist es so wichtig, möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit zu impfen und und dem Virus somit die Gelegenheit zum Vermehren, Mutieren und zum Unterlaufen des Impfstoffschutzes zu entziehen. Denn wenn es erst eine Impfstoff-resistente Variante gibt, dann wird sie an Landesgrenzen keinen Halt machen.

Nicht die Lizenzen sind das Problem

Nicht die Patente sind die Ursache der ungleichen Verteilung der Impfstoffe in der Welt, sondern politische Entscheidungen, zuerst und überwiegend die Industrieländer mit den bislang verfügbaren Impfstoffen zu versorgen. Selbst für diese Länder, für die Patente keine Hürde darstellen, war und ist noch immer nicht genug Impfstoff vorhanden.

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Außerdem haben die Firmen seit Monaten deutlich gemacht, die Patente nicht durchsetzen zu wollen. Moderna hat das bereits im Oktober 2020 offiziell verkündet. Das gilt auch für die Tübinger Biotech-Firma Curevac, für deren Impfstoffkandidat noch im Mai Wirksamkeitsdaten erwartet werden. „Wir sehen Patente nicht als den Flaschenhals zu einer höheren Impfstoffproduktion“, sagt Sarah Fakih, Curevac-Sprecherin.

Wie bei Biontech und Moderna, deren Impfstoffe sich neben AstraZenecas und Johnson + Johnsons als besonders schnell skalierbar herausgestellt haben, handelt es sich um ein mRNA-basiertes Vakzin, eine Impfstoff-Technologie, die vor 2020 zwar in Entwicklung, aber noch nie zugelassen worden war. „Es ist vielmehr der Druck auf der Lieferkette und die Komplexität der Produktion der mRNA-Impfstoffe“, sagt Fakih.

[Mehr zum Thema: Der Weg zum Impftermin in Berlin: Ich möchte mich impfen lassen – was kann ich tun? (T+)]

So gibt es weltweit nur wenige Zulieferer für die speziellen Ausgangsstoffe, Herstellungschemikalien und Verpackungsmaterialien, die jetzt in riesigen Mengen von Biontech, Moderna, Curevac und anderen angefragt werden – Hersteller, von denen einige darauf gar nicht eingestellt waren, weil sie vor der Pandemie nur in vergleichsweise geringen Mengen produziert haben.

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Nur ein Beispiel: Die mRNA, der eigentliche Wirkstoff der Covid-19-Vakzine von BioNTech, Moderna und CureVac, wird in Millionstel Millimeter feinen Fetttröpfchen verpackt, die von einer einzigen Firma in Kanada, Acuitas, hergestellt werden. Vor der Pandemie im Milligramm-Bereich, jetzt werden die Lipide kilogrammweise benötigt. Die Exportbeschränkungen, die etwa die USA unter anderem für impfstoffrelevante Chemikalien erlassen haben, ist diesbezüglich zumindest nicht hilfreich.

Die andere Komponente ist, dass Pharmafirmen in Indien und Brasilien mit der Herstellung von mRNA-Impfstoffen, aber auch mit der sogenannter Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson keine oder wenig Erfahrung haben. Es sei daher ein „intensiver Technologie-Transfer“ nötig, um mehr Produktionskapazitäten zu schaffen, sagt Fakih.

Es fehlt vor allem an Geld

Damit die armen Länder im Kampf gegen die Pandemie nicht noch weiter zurückfallen, brauchen sie vor allem mehr Impfstoff. Dazu bräuchte es mehr Geld und weniger Exportbeschränkungen. „Damit bis Anfang 2022 auch 30 Prozent der Bevölkerung in den ärmsten Ländern geimpft werden können, fehlen noch immer fast 20 Milliarden Dollar für Impfstoffe, Diagnostika und Therapeutika“, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU).

Die EU hat der Covax-Initiative unter dem Dach der WHO zur Unterstützung der 92 ärmsten Länder 2,5 Milliarden Euro zugesagt, die USA wollen vier Milliarden Euro beisteuern. 53 Millionen Dosen sind nach Angaben des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) über Covax bislang verabreicht worden.

Will mehr Impfgerechtigkeit: Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU).
Will mehr Impfgerechtigkeit: Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU).

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Spenden von Impfdosen können an dem Mangel bislang wenig ändern. „Bei den Schenkungen kommen wir erst jetzt langsam in den Bereich relevanter Zahlen“, sagt EU-Abgeordnete Bullmann. Die größten Geber sind China, Indien und Russland. Die Volksrepublik spendete bislang fast 20.000 Einzeldosen, Indien rund die Hälfte. Seitdem dort das Coronavirus aber heftig grassiert und mehr als 21 Millionen Menschen infiziert hat, braucht das Land das eigene Vakzin selbst.

Viele afrikanische Länder hatten auf Indien als Lieferant eines günstigen Impfstoffes gesetzt. Umso mehr müsse nun der Westen einspringen, fordert One-Direktorin Lercher. In Deutschland werde voraussichtlich Ende Juni das Angebot an Impfstoffen die Nachfrage übersteigen. „Aber so lange zu warten, wäre fatal“, sagt sie. „Wir sollten bereits jetzt damit beginnen, sukzessive Impfstoffe an Covax weiterzugeben.“

Daneben wünscht sie sich, dass die Pharmafirmen von sich aus „Lizenzvereinbarungen“ mit Unternehmen in ärmeren Ländern abschließen. Auch Müller will über solche Partnerschaften einen Ausbau der weltweiten Produktion. „Das ist möglich, bedarf aber eines Investitionsprogramms von mindestens 10 Milliarden Dollar“, sagt er. Sein Ministerium führt dazu Gespräche mit Südafrika, Ghana und Senegal.

Auch die Verteilung der Impfdosen ist im globalen Süden ein Problem. Es fehlt dort häufig an logistischer Infrastruktur, um die notwendigen Kühlketten für die Vakzine einzuhalten. Michael Knipper, Experte für globale Gesundheit an der Uni Gießen, macht hingegen Hoffnung.

Auch in armen Ländern habe es in der Vergangenheit immer wieder erfolgreiche Impfkampagnen gegeben, etwa gegen Polio. „Auf diese Erfahrungen sollte man setzen und die WHO ihre Arbeit machen lassen“, sagt er. Das habe auch die Erfahrung mit anderen Seuchen gezeigt: „Die lassen sich in den Griff bekommen, wenn lokale Behörden, WHO und internationale Partner an einem Strang ziehen.“

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