zum Hauptinhalt
US-Präsident Joe Biden gibt sich in diesen Tagen als stoischer Krisenmanager.

© Mandel Ngan/AFP

US-Präsident als stoischer Krisenmanager: Joe Biden fehlt nur noch die Merkel-Raute

Von wegen altersmüde und Übergangsfigur: Der Präsident nutzt Corona, Afghanistan-Abzug und Hurrikan „Ida“, um die Zukunft zu gestalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Joe Biden wird zum amerikanischen Äquivalent von Angela Merkel: einem Krisenbewältiger mit unerwartetem Stehvermögen. Zu Beginn hatten viele seine Präsidentschaft als Übergangszeit unter einem etwas zu alten Mann eingeordnet, von dem wenig Spektakuläres zu erwarten sei. Und der nur eine Amtszeit durchhält. Die nächste neue Ära würde dann vier Jahre später beginnen unter einer jüngeren, tatkräftigen Person – und mutmaßlich erstmals einer Frau im Weißen Haus.

Wie Merkel wurde Biden unterschätzt. Wie sie entwickelt er sich zum Manager von Ausnahmesituationen. Den Bürgern scheint es zu gefallen, von ihm durch die Krisen geleitet zu werden.

Komme, was wolle – Pandemie, Waldbrände, Hurrikans: Er verbreitet das beruhigende Gefühl, dass er weiß, was er tut. Aus Erfahrung und aus Überzeugung. Da fehlt nur noch ein visuelles Symbol wie Merkels Raute für stoische Beständigkeit.

Vier Präsidenten haben den Abzug versprochen. Biden hat es getan

Von Normalität sind die USA weit entfernt. Trump hinterließ eine Gesellschaft am Rand zum Bürgerkrieg. Biden hat die Feindseligkeiten nicht befriedet, aber ins Erträgliche moderiert. In der Coronakrise überraschte er mit Impferfolgen. Nun hat er den Abzug aus Afghanistan durchgezogen, trotz Warnungen. Drei Vorgänger hatten ihn versprochen: Bush, Obama, Trump. Er hat es getan.

Als sich Selbstzweifel ausbreiteten, weil die Bilanz so viel Scheitern auflistet, als noch im Abzug US-Soldaten bei Anschlägen starben und eigene Bürger und Ortskräfte zurückblieben, hielt Biden eine erstaunlich selbstbewusste Fernsehansprache. Er bewahre die USA und die Verbündeten vor einem dritten vergeblichen Kriegsjahrzehnt am Hindukusch.

Die Zukunft der USA hänge nicht von Erfolg oder Scheitern in Afghanistan ab. Sondern davon, dass sie im Wettbewerb mit China bestehen. Darauf will Biden die beträchtlichen Ressourcen des Landes richten. Tatsächlich beginnt sich die Stimmung in den Kommentaren zu drehen. Die Kritik am Abzug sei überzogen; manche loben nun seine Weitsicht.

[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]

Große Mehrheiten der US-Bürger wollten den Abzug schon lange. Mit der Art, wie es geschah, hadern viele noch. Das geht vorbei.

Er nutzt den Hurrikan, um Gesetzesvorhaben voranzutreiben

Vom Afghanistan-Abzug bis Hurrikan "Ida": Joe Biden weiß, was er will.
Vom Afghanistan-Abzug bis Hurrikan "Ida": Joe Biden weiß, was er will.

© Mandel Ngan/AFP

Schon folgen seine nächsten Krisenansprachen: zu den Folgen von Hurrikan „Ida“ am Golf von Mexiko – doch mehr noch im Nordosten. In New Orleans haben die Schutzsysteme, die nach „Katrina“ 2005 ertüchtigt worden waren, standgehalten. New York erleidet Flutschäden in ungewohntem Maß.

Biden nutzt die Bilder, um für seine billiardenschweren Projekte zur Modernisierung der Infrastruktur zu werben. Die Republikaner wollen ein abgespecktes Paket. Wegen des Klimawandels, sagt Biden, könnten solche Wetterkatastrophen, die die USA bisher schon regelmäßig alle paar Jahr heimsuchten, häufiger auftreten und noch heftiger werden. Das mache Investitionen in die Infrastruktur umso dringender.

Aber Biden kann nicht nur Krise. Im Willen, Staat und Gesellschaft umzugestalten, überflügelt er Merkel. Er drückt aufs Tempo. Zwei Monate nach dem Amtsantritt hat er ein Konjunkturprogramm durch den Kongress gebracht, um die USA aus der Corona- Rezession zu führen. Als weitere Großvorhaben treibt er das Infrastrukturpaket voran, das er in einer Gewerkschaftszentrale als „American Jobs Plan“, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, vorstellt; und den „American Family Plan“ zum sozialen Umbau.

Kosten der drei Projekte: mehr als der komplette Staatshaushalt eines Jahres. Er will sie durch höhere Steuern finanzieren. Mit 78 ist er nicht altersmüde. Er möchte gestalten. Und er hat keine Angst mehr vor Gegenwind.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false