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US-Diplomat gestorben: Richard Holbrooke: Der Peacemaker

Sein Meisterwerk war das Dayton-Abkommen. An ihm arbeitete er mit kühlem Kalkül und dem heiligen Zorn eines Friedensbesessenen. Richard Holbrooke ist am Montag gestorben.

Von Caroline Fetscher

Der junge Amerikaner in Paris, damals im legendären Mai 1968, war nicht angereist, um Parolen zu rufen. Er wollte keine Hippieblumen verteilen oder gar schicke Mademoiselles auf den Champs-Élysées treffen. Richard Holbrooke, zu der Zeit gerade mal 27 Jahre alt, saß mit am Konferenztisch, als die Vereinigten Staaten in zähen Friedensverhandlungen versuchten, den Vietnamkrieg zu beenden, der die Protestierenden auf die Straßen und die Barrikaden gebracht hatte.

Ende März hatte Präsident Lyndon B. Johnson angekündigt, die USA würden sich aus Vietnam zurückziehen. In Vietnam allerdings wusste man, dass dieser Mann nicht zur Wiederwahl kandidierte. Also wartete man ab. Dann kamen Nixon und Henry Kissinger, das Vietnamdesaster war keineswegs zu Ende. Doch Holbrooke, den das US-Außenministerium 1963 als Entwicklungshelfer ins vietnamesische Mekongdelta geschickt hatte, lernte schon damals ununterbrochen.

Der begabte Anfänger der Diplomatie hörte zu, debattierte mit. Er sammelte Erfahrungen für eine Karriere, in der später so gut wie jeder Präsident der USA seinen Rat suchen sollte, in Asien, im Bosnienkrieg, den er durch seine Verhandlungen zum Dayton-Abkommen beenden half, und zuletzt in den Konfliktregionen Afghanistan und Pakistan, wohin Präsident Obama den 67-Jährigen als Sondergesandten geschickt hatte.

Richard Charles Albert Holbrooke kam am 24. April 1944 im New Yorker Stadtteil Manhattan zur Welt. Auf der glücklichen, richtigen Seite des Atlantik – vor allem für ein jüdisches Kind. Seine aus Deutschland stammende Mutter war im Januar 1933 in die Vereinigten Staaten emigriert. Ihr Vater, ein erfolgreicher Kaufmann, besaß den guten Instinkt, sofort nach der Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ das Land zu verlassen. Im selben Jahr war auch Holbrookes Vater, Sohn einer russisch-jüdischen Familie in Warschau, nach Amerika emigriert.

An der renommierten Brown-University in Providence, Rhode Island studierte der Sohn der Holbrookes Internationale Politik, Geschichte und Deutsch, die Sprache der Familie seiner Mutter. Schon 1962 stieg Richard Holbrooke, den Freunde Dick nannten, beim Foreign Service der USA ein. So sehr jedoch die Diplomatenlaufbahn vorgezeichnet schien, Holbrooke, von Aktivitätsdrang und Neugier getrieben, begab sich wieder und wieder auf Seitenpfade.

1970 bis 1972 leitete er das US-Peace-Korps in Marokko, wurde dann Chefredakteur des einflussreichen Magazins „Foreign Policy“ und 1976 Topberater für den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Jimmy Carter. Der entsandte ihn nach der Wahl als ersten Mann der USA in die Asien-Pazifikregion. Nach der Abwahl Carters, 1981, folgte ein abrupter Wechsel an die Wall Street: Holbrooke wird Berater des später so unglückseligen Finanzinvestors Lehman Brothers und gründet parallel ein Unternehmen für Politikberatung – das Leben im Wall-Street-Milieu allein hätte ihm nicht genügt, die Fäden in die Politik blieben immer stark gesponnen. Doch die lukrativen Einkünfte in der Finanzwelt sorgten dafür, dass Holbrooke, obwohl im positiven Sinn politiksüchtig, nicht angewiesen war auf Ämter im Staat. Ende der 80er Jahre holte Bill Clinton Holbrooke in sein Team für den Wahlkampf, an der Seite von Spitzenkräften wie Madeleine Albright.

Kaum war Clinton im Amt, nahm er Holbrooke voll in die Pflicht. Im Juni 1993 setzte er ihn auf den Sessel der Bonner US-Botschaft. Holbrooke, wiewohl kein frommer Jude, beschloss etwas Ungewöhnliches. Von der Columbia University lieh er sich den 1938 aus Breslau in die USA emigrierten Historiker Fritz Stern als politischen Mentor für das neue Territorium aus. Er wollte Deutschland kennenlernen, erforschen, genau wissen, wo er war. In seiner Residenz hing das Foto seines jüdisch-deutschen Großvaters als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz. Nach nur neun Monaten zog man ihn zurück nach Washington, größere, dringendere Aufgaben warteten. Zum Kernstück seiner Karriere, zur schwersten Meisterprüfung wurde 1995 das Abkommen von Dayton, das den blutigsten Konflikt auf europäischem Boden seit 1945 beendete: die Zerfallskriege des ehemaligen Jugoslawien unter Slobodan Milosevic.

Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt von Dayton, Ohio, verhandelte Holbrooke Tage und Nächte, unermüdlich, in der ihm eigenen Mischung aus Geschicklichkeit und Direktheit, aus dem kühlen Kalkül eines Finanztalents und dem heiligen Zorn eines Friedensbesessenen. Mit allen, auch den späteren Angeklagten des Den Haager UN-Tribunals für das ehemaligen Jugoslawien, setzte sich Holbrooke zusammen. Bis heute halten sich Gerüchte, er habe mit Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic geheime Vereinbarungen getroffen, um die serbischen Nationalisten zum Einlenken zu bewegen. Er selber, der erfolgreiche Verhandler, räumte später Fehler ein: „Mir war nicht genau genug bewusst, dass eine Serbenrepublik ein so ethnisches Unternehmen sein würde.“ Weder mit den Lügen der anderen noch mit den eigenen Fehlern ging er allzu sanft um. Vier Jahre darauf, als mit dem Kosovokonflikt das letzte Kapitel der Jugoslawienkriege des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde, war Holbrooke – weiter unter Clinton – als Beauftragter vor Ort. Zu Gast bei uniformierten und bewaffneten albanischen Freiheitskämpfern ließ er sich neben den UCK-Kämpfern fotografieren. Dass er als Besucher der Tradition folgte, im Haus die Schuhe auszuziehen, signalisierte der erzürnten, serbischen Seite seine Allianz mit den Gastgebern.

So direkt, so herzhaft undiplomatisch konnte der große Diplomat sein, dass nicht nur seine Gegner manchmal zusammenzuckten, wenn er seine Ansichten äußerte. Als das ehemalige Jugoslawien nur mehr aus dem auseinanderdriftenden Serbien-Montenegro bestand, hatte die American Academy in Berlin zu einem Gespräch mit Holbrooke geladen. Zaghaft meldete sich dort ein Botschafter zu Wort und stellte sich vor. „Sie sind WAS?“ polterte Holbrooke. „Botschafter von Serbien-Montenegro? Ihr Land existiert doch allein auf dem Papier!“ Verblüffung, leises Erschrecken war nicht nur seiner Exzellenz am Gesicht abzulesen, sondern auch den übrigen Anwesenden.

Derart emotional hätten die wenigsten aufzutreten gewagt.

Holbrooke, der sich während des Wahlkampfs von Barack Obama offen Hoffnungen auf den Posten des Außenministers gemacht hatte, musste sich mit der Position des Sonderbotschafters begnügen. Da Obama die Anhänger Hillary Clintons ins politische Boot bekommen wollte, erhielt sie den zweitmächtigsten Posten. Ihn hingegen schickte man ins Feld, mit annähernd 70 Jahren. Als einer, der nie Nein sagen konnte, wenn es ums Friedenmachen ging, akzeptierte er seine neue Rolle.

Bewegt erinnert sich Gary Smith, Direktor der von Holbrooke gegründeten American Academy in Berlin, an den Ausspruch seines langjährigen, bewunderten Freundes: „Auch wenn es noch so hoffnungslos aussieht, die Hoffnung darf man niemals aufgeben.“ Denn, so Smith, „Richard war aus tiefstem Herzen von der Idee des Friedens beseelt“. Zu Unrecht aber werde sein manchmal hitziges Temperament mit einem großen Ego verwechselt. Als Shuttle-Diplomat in der von Korruption, islamistischen Ideologien, Wahlbetrug, ungleicher Vermögensverteilung und massivem Drogenhandel geschüttelten Region von Afghanistan und Pakistan versuchte Richard Holbrooke auch am Hindukusch sein Glück im Stil des beherzten US-Managers, den viele so schätzten wie fürchteten. Man wisse in Amerika, dass Karsai mit einigen Taliban-Führern inoffiziell verhandle, sagte er unlängst. Das sei schon in Ordnung, aber es gebe da auch eine „rote Linie“. Wer wirklich am politischen Prozess teilhaben will, der solle sich von Al- Qaida lossagen.

Vor kurzem erst sagte Holbrooke, er denke dass die Taliban jetzt „unter enormem militärischen Druck stehen“. Es gehöre aber, sagte er, zur afghanischen Tradition, zu kämpfen und zugleich Kontakt mit dem Gegner zu halten. Wie schwer, wie unlösbar für einen Einzelnen, fern von den Washingtoner Intrigen, unter Druck von Militärs und Akteuren vor Ort, seine Aufgabe sein würde, das hatte er selber nicht vorausgesehen, räumte er gelegentlich Freunden gegenüber ein.

Bei einem Treffen mit Außenministerin Hillary Clinton am vergangenen Freitag in Washington brach Holbrooke zusammen. Ärzte entdeckten einen Riss in der Aorta. Fast einen Tag und eine Nacht lang wurde der Patient operiert. Sein Leben war nicht mehr zu retten.

Mitten im Dienst gestorben, dieses Ende passt – und passt nicht für Holbrooke. Der unter Hochdruck arbeitende Diener des Staates, den man sich in den vergangenen Jahren ohne Mobiltelefon und das Hetzen von Flughafen zu Flughafen kaum vorstellen konnte, war auch ein leidenschaftlicher Privatmann, Ehemann, Vater und Freund.

„Richard Holbrooke war ein Diplomat, wie es ihn in der Nachkriegsgeschichte der Vereinigten Staaten kein zweites Mal gibt“, sagte der Berliner US-Botschafter Philip D. Murphy am Dienstag.

Als der „New Yorker“ ihn vor einem Jahr porträtierte, lautete die Überschrift: „The last Mission“. Wissen konnte aber niemand, dass Holbrookes Aufgabe in Afghanistan und Pakistan wirklich seine letzte Mission sein würde. Am wenigsten geglaubt hätte er es selbst.

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