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Wird Trump angeklagt? Noch laufen die Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021.

© Foto: dpa

US-Bürgermeister zu den Kapitol-Anhörungen: „Trump sollte auf jeden Fall angeklagt werden“

Austins demokratischer Bürgermeister positioniert sich regelmäßig deutlich gegen die Republikaner in Texas. Ein Interview.

Steve Adler ist seit sieben Jahren Bürgermeister von Austin, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Texas. Mehr als drei Jahrzehnte lang hatte der 66-jährige Demokrat zuvor als Bürgerrechtsanwalt gearbeitet. In seiner Amtszeit hat er sich besonders für Minderheiten und Obdachlose eingesetzt. Adler stammt ursprünglich aus Washington D.C. In dieser Woche war er zu Besuch in Berlin.

Sollte Donald Trump wegen der Ereignisse rund um die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 angeklagt werden? 
Ja, auf jeden Fall. Jeder andere hätte sich längst vor Gericht verantworten müssen. Gegen Trump zu ermitteln, ist gerechtfertigt und notwendig. Allerdings wäre das mit Kosten verbunden, weil das Land sehr gespalten ist. Ich bin nicht sicher, ob viele Trump-Unterstützer die Anhörungen zu den Ereignissen überhaupt verfolgen. Das ist enttäuschend, und es ist in einem umfassenderen Sinne enttäuschend, wenn man daran denkt, welche Rolle Begriffe wie Aufklärung und Wahrheit im politischen Diskurs Amerikas spielen. Aber zu einem Verfahren gegen Trump gibt es keine Alternative.

Steve Adler, Bürgermeister der texanischen Hauptstadt Austin, zu Besuch in Berlin.
Steve Adler, Bürgermeister der texanischen Hauptstadt Austin, zu Besuch in Berlin.

© Malte Lehming

Was ist ihm vorzuwerfen?
Es ist ziemlich eindeutig, dass der Präsident den Angriff auf das Kapitol angestiftet und organisiert hat. Dieser Angriff sollte verhindern, dass das legitime Ergebnis der Präsidentschaftswahl anerkannt wird. Das muss Konsequenzen haben.

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Gegen Trump liefen zwei Amtsenthebungsverfahren, er war sehr unpopulär. Sein Nachfolger im Amt, Joe Biden, ist ebenfalls unpopulär. Woran liegt das?
Das ist frustrierend, vor allem deswegen, weil Biden als Präsident sehr viel erreicht hat. Denken Sie an das Infrastrukturgesetz, die Covid-Hilfen, das alles ist beeindruckend. Seine Probleme sind die Wirtschaft, die hohe Inflation, die steigenden Benzinkosten. Außerdem glaube ich nicht, dass wir in absehbarer Zeit einen Präsidenten haben werden, hinter dem mehr als die Hälfte der Amerikaner steht. Dafür ist die politische Debatte zu stark polarisiert. Zustimmungswerte wie früher wird es nicht mehr geben.

Sollte Biden bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 noch einmal antreten?
Im Augenblick wäre ich dafür. Keiner weiß, wie die Lage in zwei Jahren sein wird. Er ist der Präsident, und er macht seine Arbeit gut.

Sehen Sie Alternativen zu Biden? Sie selbst sind mit Pete Buttigieg befreundet, der in den vergangenen Vorwahlen für die Demokraten antrat.
Ich hoffe, dass Buttigieg eines Tages zum Präsidenten gewählt wird. Er wäre fantastisch in diesem Amt. Aber zur Zeit sind die Wähler sehr auf Biden fokussiert.

Biden versprach, das Land zu einen und die Wunden des Wahlkampfes zu heilen. Er wollte Brücken schlagen zwischen den verfeindeten politischen Lagern. Das ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Sollten die Demokraten weiterhin versuchen, die extreme Polarisierung zu überwinden?
Es stimmt, dass Biden dieses Versprechen nicht hat halten können. Das könnte zurzeit wohl niemand. Aber Biden hat es versucht. Immerhin wurde jetzt, mit Stimmen von Republikanern, eine Verschärfung des Waffenrechts beschlossen. Eine solche überparteiliche Initiative schien vor kurzem noch unmöglich. Politische Kompromisse wird es künftig eher von unten geben, nicht auf Beschluss von Parteiführungen. Es ist möglich, dass man sich auf nationaler Ebene auch über gewisse Ausnahmen gegenüber einem totalen Abtreibungsverbot einigt, etwa bei Vergewaltigung oder Inzest. Das würde eine Mehrheit der Amerikaner befürworten, und es wäre gefährlich für die Republikaner, sich dieser Stimmung entgegenzustellen.

Der Supreme Court hatte ein historisches Urteil gefällt.
Der Supreme Court hatte ein historisches Urteil gefällt.

© REUTERS/Jim Bourg

Was können Sie, als Demokrat und Bürgermeister von Austin, bei den Großthemen Waffenrecht und Abtreibung tun, um Ihre Werte zu verteidigen? In Ihrem Bundesstaat Texas haben die Republikaner die Mehrheit, der Supreme Court ist überwiegend konservativ besetzt.
Wir können weder die Gesetze des Bundesstaates noch die Entscheidungen des Obersten Gerichts ändern. Aber das heißt nicht, dass wir auf lokaler Ebene machtlos sind. Bei der Verbrechensbekämpfung etwa können wir Prioritäten setzen und unsere Ressourcen so einsetzen, dass sich die Bürger sicherer fühlen.

Welche Auswirkungen haben die Entscheidungen des Supreme Courts auf die Kongresswahlen im November?
Bislang litten die Demokraten unter einem Defizit an Enthusiasmus und Engagement ihrer Wähler. Das könnte sich jetzt ändern. Die Demokraten, mit denen ich in Austin, in Texas und im ganzen Land rede, spüren einen deutlichen Rückenwind. Die Art, wie der Supreme Court seine Entscheidungen begründet hat, bereitet ernsthafte Sorgen.

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Die Gesellschaft ist gespalten, die Parteien sind polarisiert. Fällt nun auch noch die Judikative als neutrale Instanz aus?
Darin besteht die größte Gefahr für die amerikanische Demokratie. Es begann während der Trump-Präsidentschaft, dass die Institutionen der Demokratie angegriffen und diese Institutionen delegitimiert wurden. Es ist eine Sache, sich heftige politische Auseinandersetzungen über die Richtung zu liefern, in die das Land gehen soll. Aber es ist etwas anderes, die Legitimität der Institutionen zu bezweifeln.

Gedenken am Tatort des Massakers an der Schule im texanischen Uvalde
Gedenken am Tatort des Massakers an der Schule im texanischen Uvalde

© AFP/Chandan Khanna

Aus Ihrem Bundesland kommen zurzeit viele schlechte Nachrichten: Die grausame Schießerei in einer Grundschule in Uvalde, der Fund von 50 toten Migranten in einem Lkw nahe San Antonio und eine republikanische Partei, die Donald Trump als legitimen Wahlsieger anerkennt. Was ist los in Texas?
Ich bin fundamental anderer Meinung als die Regierung von Texas. In Austin versuchen wir, Konflikte zu vermeiden, nur es gelingt uns nicht so gut. Aber ich glaube daran, dass sich Texas ändern wird und wieder demokratisch wählt, das zeigt auch die Demografie unserer Stadt. Die Republikaner verlieren selbst in den Vororten Unterstützer. Das konnte man besonders im direkten Nachgang des Schulmassakers in Uvalde spüren. Wir sind noch immer erschüttert davon, dass so viele Kinder auf grausame Weise ermordet wurden. Es fehlte Transparenz in den Berichten des Gouverneurs über das, was in Uvalde passiert ist. Die Medien kamen nicht schnell genug an Informationen. Ich fühle, dass sich das Blatt wendet. Mehr werden wir bei den Wahlen im November sehen, wenn der Demokrat Beto O’Rourke gegen Gouverneur Greg Abbott antritt. Diese Verletzlichkeit, die wir jetzt spüren, gab es vor acht Wochen noch nicht.
 

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