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Hand aufs Herz. Richard Grenell, neuer US-Botschafter in Deutschland.

© Bernd von Jutrczenka/ dpa

US-Botschafter: Welches Tabu Richard Grenell gebrochen hat

In der Diplomatie lautet die Regel hinter der Regel: "Sage nicht, was du tust". Die hat US-Botschafter Richard Grenell verletzt. Doch er legt damit auch ein Problem der Demokratien offen. Eine Kolumne.

Der US-Botschafter Grenell empörte das politische Berlin mit der Aussage, er wolle Konservative in Europa stärken. Später twitterte er, „wir“ würden „das Erwachen einer schweigenden Mehrheit erfahren“, die sich, angeführt von Trump, gegen „die Eliten“ stelle. Tatsächlich sind Grenells Äußerungen mehr als Worte: Indem er sagt, dass er Konservative stärken möchte, hat er sie bereits gestärkt, weil er sich – und dadurch letztlich die ganze US-Regierung – hinter sie stellt. Indes meint er mit „konservativ“ nicht, was in Deutschland klassischerweise darunter verstanden wird. Durch die Verknüpfung von „konservativ“ mit einer vermeintlich „antielitären“ Bewegung verortet er den Begriff unmissverständlich im rechtsgerichteten populistischen Lager.

Der schmale Grat zwischen Schein und Scheinheiligkeit

Was für Unmut sorgt, ist allerdings nicht die Stärkung der rechtsgerichteten Kräfte, sondern dass Grenell sich nicht an die Spielregeln hält. Auf den ersten Blick lautet die Regel: Ein Botschafter, zuständig für außenpolitische Beziehungen, darf sich nicht einflussnehmend in die Innenpolitik des Landes einmischen, in das er entsandt wurde. Aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir doch, dass Staaten permanent versuchen, Einfluss auf die Innenpolitik anderer Staaten zu nehmen, mal verdeckt, mal offen. Gerade die USA hat da einen gigantischen Katalog an stillschweigenden Eingriffen zu bieten, einschließlich der Unterstützung von undemokratischen politischen Bewegungen. Die Verletzung dieser Regel dürfte also weder wundern noch empören. Grenell hat aber eine andere Regel verletzt: Er hat nicht das Tabu der Einmischung gebrochen, sondern das Tabu des unkaschierten Einmischens. Denn die Regel hinter der Regel lautet: „Sage nicht, was du tust / was du vorhast“.

Eine Regel, die ihren Sinn hat. Ein falsches Wort in zwischenstaatlicher Kommunikation kann mühsam erlangte Stabilität aufheben. Trotzdem widerspricht die Regel „Sage nicht, was du tust“ Transparenzansprüchen, die eine demokratische Gesellschaft auch ausmachen. Es besteht ein schmaler Grat zwischen den Schein wahren und Scheinheiligkeit. Und genau mit dieser Scheinheiligkeit schadet westliche Politik auch noch selbst ihren besten demokratischen Absichten. Angesichts der Regel „Sage nicht, was du tust“ wittern die Adressaten hinter demokratischer Rede nicht selten politische oder ökonomische Interessen.

Das eine zu sagen und das andere zu meinen, hilft nicht weiter

Man kann von Grenell und seinem Präsidenten halten, was man will. Aber vieles, was Donald Trump in seinem Wahlkampf versprochen – oder, je nachdem, angedroht – hat, setzt er um. Die Optimisten hatten gehofft, es handele sich um populistische Wahlfloskeln und Trump, einmal gewählt, würde sich besinnen. Dem war nicht so. „America First“ blieb kein leeres Wahlversprechen. Der weltweite Handelsstreit beispielsweise, den Trump angezettelt hat, mag langfristig auch den USA schaden, zunächst gewähren die Strafzölle der US-Wirtschaft den Vorrang. Trumps Vorgehensweise ist verantwortungslos, weil sie ein – mit großen Einschränkungen – funktionierendes multilaterales Regelsystem beschädigt. Aber kann man ihm vorwerfen, dass er tut, was er sagt? Und wichtiger: dass er sagt, was er vorhat?

Grenell schadet den demokratischen Kräften in Europa. Diesen wird es aber nicht helfen, an dem Muster festzuhalten, das eine zu sagen und das andere zu meinen und dabei überzeugt zu sein, zu den Guten zu gehören. Die Frage ist: Gibt es die Möglichkeit, langfristig ein politisches Sprechen zu etablieren, das die Differenz von Tat und Rhetorik reduziert und dabei nicht zu naiver Verantwortungslosigkeit gegenüber der übrigen Welt führt?

Deniz Utlu

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